598
208/2
Kgsb. den 13
Aug. Dom. XII. p Trin.
80.

3
Herzlich geliebtester Landsmann, Gevatter und Freund,

4
Nun mit dieser Woche fangen sich unsere Geburtstage an. Gott schenke

5
Ihnen allerseits so viel Freude und Seegen als ich mir selbst wünsche, und

6
3 und 7 mal mehr – Amen!

7
Hier ist alles im Aufruhr. Der Prinz von Pr. ist den 10
huj.
angekommen –

8
anfängl. hieß es, daß er flugs durchgehen
werde
, nun ist der Tag seiner

9
Abreise noch gar nicht bestimmt. Die plötzl. Ankunft eines Couriers ist schuld dran.

10
Man schwäzt durcheinander über diesen Zufall. Einige sagen, ein bloßes

11
Misverständnis des Unterscheids zwischen dem A. u N. Styl ist schuld dran, daß er

12
zu früh abgegangen und er also hier die dortige Anstalten zu seinem Empfang

13
abwarten muß, weil ihm der Gr. Fürst bis Riga entgegenkommen soll.

14
Kalender oder Staatsgrillen, können uns beyde gleich viel gelten. Ich hab ihn heute

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zum ersten mal gesehen, da er von der Wachparade kam – Ein schöner

16
wolgebildeter Riese, der gar nicht das Ansehen eines Menschenfreßers hat – Graf

17
Görz, ein Bruder des bekannten, der als Abgesandter nach Rußl. gieng, war

18
sein Begleiter. Ich habe letztern aber nicht ins Auge faßen können. Noch 2

19
Hofcavaliere, ein HE von Nostitz, von Vietinghoff – Einer ist zum voraus

20
gegangen – Seinen Leibchirurgum oder
Pensionair
wie er ihn nennt, Namens

21
Rhode führte gestern Brahl zu mir als seinen alten Schulfreund.

22
Vorige Woche erhielte von Hartknoch ein Paar Zeilen durch einen

23
Hofmeister eines jungen Pr. Galliczin, der durchgieng, deßen Namen ich aber

24
nicht weiß, er ist ein Elsaßer, etwas von Christ. Berens, neml:
Blatt zur

25
Chronik von Riga mit angezeigten Urkunden. An den Grafen von

26
Falkenstein. Im Jahr 780. Wird im StaatsArchiv aufm

27
RathHause aufbewahrt.
5 Bogen in 4
o
. Ein Exempl. für mich, das andere für

28
Kant, dem ich es gl. brachte ohne es selbst gelesen zu haben. H. gab mir den

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Wink es recensiren aber nicht gantz einrücken zu laßen, und daß das erste

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cum grano salis
geschähe. Ich habe weder diese Arbeit einem andern

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anvertrauen noch selbst thun mögen, da ich mit den Zeitungen nichts zu thun habe,

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und man seit einem halben Jahr den Oberon recensirt, ohne mit zu Ende

33
kommen zu können.
Zitterland
ist der Recensent.

34
Ist Ihnen Ihre Brunnenkur, bester Herder! heilsam gewesen. Habe

35
Biermolken vom 13
Jun.
bis zum 18
Jul.
getrunken. Darauf meine Andacht

36
gehabt und den 21 des
Hume Dialogues concerning natural Religion
zu

S. 209
übersetzen angefangen, den 7
huj.
zu Ende gebracht, über Pausch u Bogen. Eine

2
kleine Pause gemacht, an Hartkn. geschrieben ob er Verleger seyn will u kann,

3
und warte auf Antwort um die Abschrift zu machen. Auf dem Titel soll stehen:

4
Uebersetzt von einem funfzigjährigen Geistl. in Schwaben
. Sehen Sie

5
wie ich mein halbes
Saeculum
beschließen oder feyren will, als Uebersetzer,

6
so sehr ich dies leidige Handwerk verschworen. Ich denk aber dies ist das beste

7
Argument für meine ehrwürdige Landsleute u Amtbrüder, welche Judentum

8
u
Χ
stentum zur natürl. Religion – oder wie St. Luther sagt, die
Sachen fein

9
mit rauhen Worten fremd machen
. Ich bin jetzt Gottlob! im siebenten

10
Theil.

11
Mein Baruch, über den ich jetzt alle Leute, die mir im Weg kommen,

12
rathfrage ist der liebe
Retif de la Bret
onne
, deßen Geschichte meines Vaters,

13
neuen Abeilard, u väterl.
Fluch ⸂Fanchettens Fuß u wiedergefundene Tochter⸃
ich

14
gelesen habe – und seine 6 Theile von
Idées singulieres pp
ich noch zu lesen

15
wünsche. Gefällt Ihnen dieser zweite Roußeau auch so wie mir?

16
Sulzers Tagbuch habe einen Abend durchblättert, und freute mich auch

17
Ihren Namen darinn zu finden. Ich glaubte den Mann reden zu hören. Sein

18
Leben, wie hundert neue Sachen mehr, ist hier nicht zu haben. Kennen Sie

19
Ihren
Nebenbuler
den P.
Soave
u sein Werk über die Sprache.

20
Im Göttingschen Magazin fand einen
Lord Monboddo
als vermuthl.

21
Verf. des gelehrten u tiefsinnigen Werks
on the Origin and Progress of

22
Language
angeführt. Kennen Sie es auch?

23
Wer ist doch Verf. der Apologie der Apokalypse. Das Zeugnis des
Caii
ist

24
meines Erachtens glückl.
deducir
t u Semlers Dialectik entblöst. Ich bin auf

25
die Fortsetzung neugierig. Er scheint eher mit Ihnen als wider Sie zu seyn.

26
Daß mein alter Sprachmeister Bachmair auch über die Apok. geschrieben!

27
Ich habe immer so etwas unter seinem MennonistenRock
vermuthet:
aber

28
damals nicht finden können.

29
Den 20
Jul.
wie ich zum heil Abendmal war, fiel es mir schnell ein an den

30
Statthalter zu Erfurt zu schreiben. Es ist unter jüdischem
Couvert
nach

31
Leipzig gegangen und
wird
verhoffentl. angelangt seyn. Ob es Aufnahme

32
gefunden werden Sie vielleicht erfahren u mir melden können. Wißen Sie nichts von

33
unsers Layenbruders Schicksal. Verdient es Beyleid oder Glückwunsch? Ist

34
Seine Ehe Schadloshaltung und Ruhe für
Sein
Alter? Ich habe was von

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einer Schrift in der Bahrdtschen Sache munkeln gehört? Es wär kein Schade,

36
wenn er wider Schriftsteller würde; denn Arbeit scheint ein Element und

37
Erbstück zu seyn. Erfahrung ist das gröste Talent.

S. 210
Wie hält es mit der Prophezeyung? Das
Datum
war ausgelaßen. Wünschte

2
das
corpusculum delicti
in meinen Pult, und etwas mehr Licht von der

3
kabbalistischen
Antiquität.

4
Kant denkt mit Michaelis fertig zu werden mit seiner
Kritik der reinen

5
Vernunft
.
Metaphysik der Sitten
, die sehr kurz gerathen wird, und

6
Metaphys. der Natur
werden drauf folgen. Ich bin recht neugierig, wie auf

7
Leßings Briefe, nach denen ich schon doppelte Commißion gegeben habe.

8
Kraus wird an
Christiani
Stelle erwartet; ich hab ihm die Marschroute

9
über W. vorgeschrieben, aber noch keine Antwort erhalten. Diedrich ist
med. pr.

10
angekommen, geht wie ein Kind, das die engl. Krankheit gehabt auf der

11
Straße. Ich muste ihn
volens nolens
besuchen, weil an dem Morgen wo ich

12
meine Andacht gehabt, seine Bücherkasten aus dem Packhofe abgeholt

13
wurden u eine halbe Woche zu viel an Lagergelde eingehoben worden war in

14
meiner Abwesenheit, daher ich Gelegenheit nahm ihm die 27 gl. abzugeben.

15
Er freute sich sehr mich zu sehen, hatte mir einen Gruß von
Nicolai

16
abzugeben, versprach mir seinen Besuch –

17
Seine Grammatik gehe ich mit Hänschen durch u bin bis zu dem
Verbo

18
gekommen. Das
Pronomen
hatte wol vorhergehen sollen; da er die

19
Endungen daraus herleitet, und bey seiner Kürze manches überflüßige. Seinen

20
Simson u Chandlers Uebersetzung habe noch nicht gelesen, erwarte aber

21
selbige nächstens von unserm OberHofprediger, der ein sehr gefälliger

22
dienstfertiger liebreicher Mann ist. Eichhorns Einl. hat mir gefallen. Diedr. soll mehr

23
politisch u ästhetisch
seyn
werden; wie Sie leicht erachten können. Ich

24
begegnete ihn den andern Tag auf der Straße, wo wir beinahe eben daßelbe

25
widerholten über diese Materie was wir den Tag vorher gesprochen hatten.

26
Goldbeck Feldprediger des Regiments von Rohr zu Graudenz will auf

27
Mich.
Weynachten
Litterarische Nachrichten von Preußen
auf

28
Pränumeration herausgeben. Hospitalprediger Fischer besuchte mich deshalb –

29
Er ist nicht wider gekommen und ich habe weder Zeit noch Neigung mich

30
damit abzugeben. Vielleicht könnte dies ein
vehiculum
seyn in Ansehung der

31
Gadebuschschen
Blunders,
wenn es der Mühe lohnen sollte selbige zu

32
rectificiren. Wenn u was Sie wollen, theilen Sie mit.

33
von Baczko, Unternehmer des preuß. Tempe, hält sich seit langer Zeit im

34
Kanterschen Buchladen auf, wo er sich ein Gewächs am Auge operiren laßen,

35
das andere hat er schon in den Pocken verloren; soll wenig Hofnung haben

36
zum Widersehen.

37
Ist der Herausgeber B. der Rosalie in Weimar? Bode oder Bertuch oder

S. 211
ein anderer? Was macht denn unser
Compere Asmus?
Arbeitet er an einer

2
Prophetenschule? Eben jetzt soll ein
Couri
er angekommen u die Abreise auf

3
den 15 (wo sich meine Nachbarinn mit 3 Kronen noch einen Besuch

4
versprochen) festgesetzt seyn, in welchem Fall er auch mein Haus

5
vorbeygekommen wäre, vielleicht wird es morgen bey Zurückkunft von der Jagd geschehen.

6
Gott begleite Ihn!

7
Ey! ey! Mir nicht ein Wort zu melden von Ihrem erhaltenen Preise zu

8
München! Bald hätt ich auch meinen Glückwunsch vergeßen. Wird die

9
Abhandlung auch besonders gedruckt werden? oder komt sie in den Abhandl.

10
heraus. Bitte mir einen Wink darüber aus und wo mögl. die Samml. Ihrer

11
Schriften voll zu machen.

12
Ich habe Sie, bester Herder! an meinem Kummer Theil nehmen laßen.

13
Gottlob! ich bin nun mit meinem
Ad
vokaten aus einander und meine Sachen

14
sind wenigstens auf gutem Wege in Ordnung zu bleiben. Mein auf Gründe

15
ruhendes Kapital ist zwar auf die Hälfte geschmoltzen u die letzte Gerichtl.

16
Unkosten belaufen sich auch auf 100 rthl; doch behalt ich Gottlob! mehr übrig

17
als ich gedacht; mein
Etat
ist jetzt rein und ich habe einen ehrl. Mann

18
f
gefunden
der sich damit abgiebt die Häuser zu unterhalten und die Zinsen

19
einzufordern. Vielleicht beßern sich die Zeiten, daß ich beym Verkauf der Häuser etwas

20
von der verlornen Hälfte ersetzen kann. Lehrgeld ist mir nöthig gewesen und

21
wie viele unzählige Menschen haben von ihren Eltern u Verwandten nichts.

22
Jetzt ist mir das Erbtheil wegen des dabey gehabten Verlustes und Verdrußes

23
als wenn ich wie mein seel. Vater selbst erworben hätte durch meinen eignen

24
Schweiß u Fleiß, zum neuen Seegen geworden, wofür ich Gott danke.


25
Den 22
Aug.

26
Heute frühe ist unser Prinz erst abgereist, und ich habe bisher nicht zum

27
Schreiben kommen können; doch den Einfall bekommen das Berenssche Blatt

28
zu recensiren. Wenn es diesen Donnerstag in die Zeitungen komt, werde sie

29
beylegen. Den letzten Sontag war er in der Schloßkirche u hörte unsern

30
Oberhofpred.
Den
vorigen ist er in die Garnisonskirche gewesen. Sind Sie, liebster

31
Gevatter! Verf. eines
Sendschreibens an den Bremischen

32
Beantworter
. Ich habe davon niemals das geringste gewust. Vergeßen Sie nicht mir diese

33
Frage zu beantworten. Hahns 2 Bände habe durchgelaufen –
Ohe iam satis

34
est

35
Hartk. meldet mir daß sein Sohn über Warschau nach Zürich gegangen. Er

36
übernimt den Verlag der Humischen Dialogen und ich werde mich künftige

S. 212
Woche an die Abschrift machen. Zugleich trägt er mir auf, Sie u
Claudius
zu

2
bitten, daß die
Uebersetzung angekündigt werde
, wozu Sie leicht Mittel u

3
Wege haben.

4
Pf. Fischer hat mich besucht u wartet seit einigen Tagen auf seiner Frau

5
Niederkunft. Kant hat ihm ein Verzeichnis seiner Schriften gegeben, und ich

6
hab ihm auch von uns beyden alles was ich weiß, mittheilen müßen. Haben

7
Sie etwas zu erinnern, oder hinzuzufügen, so erwarte es. Goldbeck wird mir

8
wie ein artiger Mann gelobt. Crichton ist hier Saml. den Zeitungen zu folge.

9
Cleßens Magazin
habe mit so viel Vergnügen gelesen, daß ich eine

10
Recension
davon gemacht, die den letzten
Aug.
eingerückt
se
werden
wird,

11
nachdem die
Berenssche
Recension
so verunstaltet worden, wie zu ersehen.

12
Von dem
BasedowSemlerschen
Lerm habe nichts als die
Urkunde
a. c.

13
gesehen, welche mich nach dem übrigen u der Entwickelung neugierig macht.


14
Den 28
Aug.

15
Nun mit Ihrem Erstgebornen schlüßen sich heute unsere Geburtstage. Am

16
Ihrigen sind meine Gedanken zwischen Ihrer doppelten Feyer und meinem

17
seel. Bruder der vor 2 Jahren an selbigem einschlief, getheilt gewesen. Bin

18
3 Tage schwarz gegangen, gestern mit den Meinigen gantz allein gewesen u

19
Nachmittags mit allen 4 Kindern meine alte unglückl. Freundin die Baroneße

20
Bondeli besucht, im Heimwege bey Hippel mit Hänschen angesprochen, dem

21
diese Aufmerksamkeit sehr zu gefallen schien.

22
Gott wolle alle unsere Wünsche erfüllen! Ich umarme Sie in Gedanken so

23
vielmals als ich Jahre auf dem Rücken habe – und meine lieb- u Ehrwürdigste

24
Frau Gevatterin – Viel Glück zum
überstandnen
ersten Stuffenjahr! Gott

25
seegne mein Pathchen u seine Brüderchen. Marianchen macht Knickchen u

26
Mäulchen – Gottlob! alles wol – bis auf meinen wüsten Kopf u mein

27
schmachtend Herz. Diese Woche denke zur Abschrift meiner Humischen Uebersetzung

28
erst zu schreiten; möchte gern erst Meiners Buch
de Deo
lesen. Pf.
Fischer
hat

29
mich besucht u empfiehlt sich Ihrem Andenken. Seine Frau ist noch nicht

30
entbunden.

31
Leben Sie nach Herzenswunsch u hören Sie nicht auf mein alter Freund zu

32
seyn, wie ich der Ihrige ersterbe

33
J G H.


34
Adresse:

35
HErrn / HErrn
Herder
/ General-Superintendenten / pp / zu /

36
Weimar
/
franco
Berl
.
Hale

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 206–207.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 156 f.

ZH IV 208–212, Nr. 598.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
209/13
Fluch […] Tochter⸃]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Fluch, Fanchettens Fuß u wiedergefundene Tochter
209/19
Nebenbuler
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Nebenbuhler
209/27
vermuthet:
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
vermuthet,
209/34
Sein
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
sein
211/18
f
gefunden
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
gefunden
211/30
Den
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
den
211/34
est
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
est.
212/10
se
werden
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
werden
212/12
BasedowSemlerschen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Basedow Semlerschen
212/36
Hale
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Halle