592
189/27
Dom. III. p Tr.
den 11
Jun.
80.
28
Herzlich geliebtester Gevatter Landsmann und Freund,
29
Der erste Tag im Monath May war für mich sehr glücklich. Erstlich eine
30
herrliche Witterung, die heiterste, mildeste Luft, nach dem Eßen ein herrlich
31
Gewitter, und des Abends der schönste Regenbogen. Zweytens war der
32
Meß
Catalog
angekommen und der Oberon, die ich alle beyde verschlung, und
33
besonders in Ansehung des letztern meine Erwartung so übertroffen fand, daß
34
ich mir selbigen recht wünschte. Der
letzte
May war in Ansehung der
35
Witterung dem ersten ganz ähnlich, den einzigen Regenbogen ausgenommen. Des
S. 190
Morgens kamen die Schellenbergsche Kupfer an nebst einem gantz
2
unerwarteten Briefe u Geschenke von Joh. Casp. Häfeli. Ich hatte immer Lüsternheit
3
gehabt nach den Predigten u Predigtfragmenten, aber keine Gelegenheit
4
selbige zu stillen. Der noch fehlende Regenbogen wurde aber durch die Ankunft
5
des guten Hartknochs ersetzt in seinem bunten Sommerrock und Ihren und
6
Seinen Gaben mannigfalt, worunter auch ein Oberon war, der als ein
7
Donum Auctoris
mir doppelt willkommen seyn muste. Und so war mir der
8
letzte Tag im Monath May der glücklichste von allen.
9
Aber der
erste Junius
, an dem ich mir zwar Urlaub genommen hatte von
10
allen Berufsarbeiten, war gar kein Feyertag für mich, sondern ich habe mich
11
müde u matt geschleppt von des Morgens früh bis auf den späten Abend mit
12
den Schellenbergschen Kupfern – und kurz vor der Mahlzeit schwer geärgert
13
über einen Brief aus Hamburg, der mir 34
gl. Porto
kostete u in einem
14
gedruckten Kaufmannsbriefe nebst einem gedruckten
Catalogo
seines
15
Waarenlagers bestand. Vielleicht wird Ihnen Fr. Aug. Kühtze eben so
par renommée
16
bekannt seyn, wie mein Nahme diesem
paradoxen Correspondent
en das
17
Unglück gehabt ruchtbar zu werden. Ich bin seit vorigen Donnerstag mit dem
18
current
en Monath völlig ausgesöhnt, und wünsche daß der
letzte Tag
19
deßelben den ersten übertreffen und mit meinem letzten May
correspondi
ren möge.
20
Laval
hatte aus Berl. die Nachricht von Ihrer Krönung hieher gemeldet um
21
Hartknoch an dieser Freude Theil nehmen zu laßen; ich hätte sie also einen
22
Tag früher erfahren können, als ich es wirklich erfuhr.
Optatis meis
23
respondeat FORTVNA,
laß ich gestern in
Cicero
u dachte an Sie, und wünsche, daß
24
das
arme
1780 Jahr
wol gerathen möge
. Amen!
25
Auf Hartknoch hatte ich mich wie ein Kind gefreut, und war so voller
26
Fragen die ich bey seiner Ankunft alle vergeßen hatte, daß ich immer wie ein
27
Suchender, der nicht weiß was? noch wo? in Verlegenheit war, so bald ich ihn
28
sahe. Er hat mich fleißig u treulich besucht seit seines Hierseyns vom letzten
29
May bis zum 5ten Junius, wo ich zum zweyten mal von ihm Abschied nahm
30
u zum letzten mal gesehen. Gott gebe, daß es künftig Jahr wider geschehe und
31
alle
pia desideria
erfüllt werden mögen. Von Ihnen und Ihrem ganzen Hause
32
hat er mir lauter erwünschte Zeitungen mitgebracht, und meinen Hunger
33
geschärft ein Augenzeuge Ihrer häusl. Glückseeligkeit, vor meiner
34
Friedensfahrt, zu werden. Mein Eckel vor allem
Thun
und
Leiden
des
Seculi
nimmt zu.
35
Bin morgen entschloßen mit einer
Reformation
meines
Stomachi
durch eine
36
kleine
Dosin Tartari emetici
u
Aqua comm.
den Anfang zu machen zu einer
37
förml. Biermolkencur.
S. 191
Hartkn. hat mir von dem Hallelujah in der einen Arie des Meßias einen
2
Begriff gemacht. Wenn die
Intimation
zum Bußtage vom 6
X
br. 76 die
3
erste
ist von Ihrer Gen. Superintendentur: so fehlt noch zur vollständigen
4
Samml. der Winterbußtag von 77.
⸂Der Sommerbußtag ist
in duplo
5
gekommen; davon ich das eine
Exemplar
dem Lauson zum
Depot
in seiner
6
öffentl. Bibliothek geben werde, wohin auch Ihre ihm
versprochene
7
Volkslieder
gehören. Er hat mich dran erinnert, und ich melde es
Ihrent wegen
.⸃
8
Ihr Gesangbuch habe noch den ersten Abend durchgeblättert, finde aber nicht
9
die in der Hahnschen Postill angeführten Gesänge. Das köstl.
Alphabetum
10
habe angefangen, aber noch kein recht Herz noch Zeit fortzufahren. Bin jetzt
11
im sechsten
Theil
der Lutherschen Werke meiner leider! im dritten Theil
12
defect
en Jener Ausgabe. Die Walchsche habe Hofnung hier zum Durchlesen
13
zu bekommen. Hierinn besteht jetzt mein
einziges
Tagewerk.
14
Den 19 May überraschte mich Ihr erster Brief nebst meinen Scherflein.
15
Ich zähle diese Hebammenhülfe mit zu Ihren
Donis
u
m
mich für alle auf
16
einmal zu bedanken. Alles nach Wunsch. Die Dyadik erstreckt sich bis auf zwey
17
kleine Druckfehler W. R. J. V. R. W. S. 22. unnahrhaften S. 29.
18
Fractionen, statt Fictionen. Mein gelehrter Pinsel ist wol an beyden Schuld, um
19
keinen Zankapfel zwischen Mann u Frau, und Frau und Mann Preis zu
20
geben, die so beyde einig sind und so innig mich zu lieben, als Ihr eigen
21
Fleisch u Blut. – Erfreuen Sie doch Ihre arme Schwester mit einer Antwort.
22
Die Frau Pf. Skubich ist vorige Woche hier gewesen und
hat
mir von Ihrem
23
Kummer über Ihr bisheriges Stillschweigen u der vermehrten Auflage ihres
24
Leidens Hiobsposten gebracht. Ihrem Mann geht es nach dem alten
25
Sprichwort
ὑς λουσαμενη εις κυλισμα βορβορου
.
26
Unter meinen
Subscribent
en zu den Schellenb. Kupfern war auch der
27
Pfarrer
Fischer
im großen Hospital, der mich bey der Gelegenheit besuchte
28
u sich nach Ihnen erkundigte, als eines alten genauen Freundes. Ich kann mich
29
aber nicht
besinnen
daß er mit Ihnen öfters in Gesellschaft bey mir gewesen,
30
wie er mir versicherte. Er trug mir auf Sie seiner zu
erinnern
31
Von Prof. Kreutzfeld werd ich immer mehr u mehr geschieden. Sein
32
schwindsüchtiger Gesundheitszustand erlaubt ihn zum Theil nicht, wie sonst mich zu
33
besuchen. Erst gestern hab ich gehört, daß er nicht selbst eine Zeile zum
34
Kypkeschen
Catalog
beygelegt. Er hat sich die Arbeit ganz
abgewel
zt
tzt
, u scheint sich
35
mehr mit der Kgl.
Bibliothek
zu beschäftigen. Ich verlier mehr einen
furem
36
temporis
als einen
amicum
an ihm. Brahl ist verliebt und ich werde bald mit
37
meinem Umgang auf Hänschen Michel eingeschränkt seyn, mit dem ich diesen
S. 192
Monath die Odyßee angefangen habe, so sehr ich selbst einen gr. Sprachmeister
2
nöthig habe, und den 2ten Theil von
Gesneri Isagoge.
3
Heute vor acht Tagen erhielte zum zweiten mal die Erziehung des Menschl.
4
Geschlechts;
ich habe von den Rest eine Abschrift genommen als eine Beyl.
5
zu den Beyträgen, die ich selbst habe. Im Grunde der alte Sauerteig unserer
6
Modephilosophie; Vorurtheil gegen Judentum – Unwißenheit des wahren
7
Reformationsgeistes. Mehr Wendung, als Kraft. Die Briefe, so Gott will,
8
werden mehr entscheiden, und ich warte mit gr
oßem
Verlangen darauf.
9
Sollte S. nach Weimar kommen: so wünschte ich Sie barmherziger gegen
10
seine feige Seele gesinnt zu seyn. Von den neuesten Basedowschen Händeln
11
weiß noch kein Wort, als die Titul aus dem Nicolaischen
Catalogo,
den
12
Hartkn. mitbrachte. Abbts Schriften habe durchgelaufen – das Denkmal auf
13
Baumgarten hat mich am meisten gerührt. Das ist auch alles, was ich von
14
der Meße gelesen habe. Der Brodtkorb gelehrter Näscherey hängt hier
15
ziemlich hoch. Den Oberhofprediger Schultz dörfte wol diesen ganzen Sommer
16
nicht stören wollen in seinem
Decanat,
u er war einer von meinen
mediis
17
terminis
im theol. Fach. Kanter soll seinen Laden verkauft haben an seinen
18
alten Gesellen
Wagner,
der gegenwärtig
Intelligenz Factor
zu Marienwerder
19
ist. Der Nachfolger ist wol ein guter Freund, aber treibt den Handel auf
20
Frankfurter Art und dörfte nicht so gefällig als Kanter seyn, der sich auch
21
offenbaren Schaden dadurch selbst gethan, aber sich an andern wider bezahlt gemacht.
22
Was denken Sie von der herkulischen
Expedition
gegen die
Chicane?
Auch
23
hier ist eine Gesetz
Commission
bereits ernannt u Hippel ein Mitgl. derselben;
24
wiewol einige sagen, nur
prouisorie.
Hier hält man den Hirtenbrief vom
25
14 Apr. für ein
Chef d’oeuvre
der neuen Kreatur
de se ipso ad se ipsum.
Ich
26
habe mich nicht satt dran lesen können. Ein wahrer
Virtuosen-
Styl; im
27
Grunde nichts als Gaukeley und ein neues philosophisches Experiment in
28
nostro vili corpore.
Das gröste Glück u der höchste Trost ist, daß Gottes
29
guter, gnädiger Wille mitten unter diesen und durch diese widersprechende,
30
krumme u verkehrte Anschläge geschieht.
31
Starks Vorrede kenne nur von Hörensagen. Prof. Reusch versicherte mir,
32
daß bey aller seiner Beflißenheit alles mit Urkunden zu belegen, grobe Lügen
33
in seiner Nachricht von seinen hiesigen Schicksalen vorkämen, wenigstens in
34
all den
factis
welche die Bibl. beträfen u zum Theil unsere Regierung. Was
35
die Kirchengeschichte des
I. Sec.
mit seiner
privat
geschichte gemein hat, weiß
36
ich nicht. Sein
Collegium
möchte so dürftig gewesen
seyn
, warum es aber
37
drucken laßen?
S. 193
Dom. V.
den 26.
25. Juni 1780
2
Meine Molkencur geht ziemlich von statten. Bin vorigen Sonntag mit
3
meinem ganzen Hause, das aus 7 Seelen besteht, in einer Kutsche nach
4
Fuchshöfen gewesen und den Freytag zuvor nach Aweiden zu Fuß. Lauter
5
Zerstreuungen, die mir wie gebratene Tauben ins Maul geflogen – Mit dem heutigen
6
Evangelio gieng ich aus Engl. u wurde in Riga damit bewillkommt – das
7
sind schon über 20 Jahr. Was ist die Zeit für ein
Ruin.
Was mir Ihr dritter
8
Lorbeer für eine wolthätige Nachricht gewesen, läßt sich gar nicht melden.
9
Machen Sie es doch wie mit Ihrem Maran Athan – so warm wie er aus dem
10
Backofen kommt. Hartknoch ist wolbehalten den Sonntag drauf angekommen.
11
Hinz hofmeistert bey einem HE Landrath von Firks und läst seinen Laden
12
durch einen Gesellen
administri
ren. Seine Freundin Stoltz, mit der ich durch
13
ihn bekannt geworden, hat mir eben dieses gemeldet und hält sich ein paar
14
Meilen von ihm auf bey einem Vetter v Firks, ohne ihn bisher gesehen zu
15
haben, trotz widerholter Einladungen. Diese Lücke im Kinnbacken ist durch
16
einen andern holen Zahn ersetzt; Brahl hat seine Freundin, ein litthauisches
17
Mädchen, namens
Schimmelpfennig
eingeführt. Der Umgang gefällt mir
18
nicht recht, weil sie bereits einen Bräutigam hat, der auf Reise ist, und jedem
19
des andern Eigentum heilig seyn soll. Vergleichen Sie nur nicht, liebster bester
20
Gevatter! mein Haus mit einer Akademie, wie neul. mit einer Republik. Ich
21
bin so feig, daß ich kein Herz habe die Wahrheit zu sagen, weil mein Auge zu
22
dunkel sie zu sehen und alles Nebel in u um mich ist, und ich mich selbst u
23
andere gehen laßen muß, wie sie geführt werden. Es ist mir nicht möglich laut
24
zu seyn, bis ich meiner Sachen gewiß bin. Diese Woche ist der alte
Christiani
25
als
Magnificus
gestorben, besuchte deshalb
Kant,
den ich seit langer Zeit nicht
26
gesehen und der zum guten Glück eben an den Minister schrieb, der ihm
Eng
l
els
27
Vorlesungen über Platon mitgetheilt, und noch denselben Abend vorm
28
Schlafengehen gab ich Nachricht dem Kraus, dem die erste Stelle zugedacht ist. Ich
29
hab ihn zugl. gebeten seinen Rückweg über Weimar zu nehmen. Sie sehen, daß
30
ich fleißig an Sie denke – und denken ist
alles
was ich
thun
kann. –
31
Bey meinem mäßigen Appetit überfiel mich ein unüberwindlicher Schlaf,
32
und ich legte mich weil ich nicht anders als liegend schlafen kann. Komt ein
33
jüdischer Student
Lachmann
von mir Abschied nehmen auf eine kurze Reise
34
nach Litthauen. Komt mein
Caffé
– komt der Prof. den ich seit langer Zeit
35
nicht
Sonntags
gesehen – Wir gehen u sitzen im Hayn Mamre; er raucht u
36
trinkt. Ich hatte beydes gethan. Komt Hänschen u meldt mir einen Brief von
S. 194
Ihnen an, den Lieschen selbst bringen wollte. Ich schelte ihn zurück u kann der
2
Zeit nicht erwarten. Allerdings drückt mich das
Jus talionis
– aber nicht wie
3
Sie es meynen: sonder im ganz andern Sinn. Ich wuste nicht, was ich alles
4
Hartknoch fragen sollte und weiß Ihnen nichts zu antworten – als Worte auf
5
Sachen. Unterdeßen hat Ihre freundschaftl. Aufmerksamkeit der Evangelist
6
Ihres Sieges zu seyn seine ganze Wirkung auf mich gethan. Nun der kleine
7
Ernst wird auf seinen jüngern Bruder nicht eifersüchtig seyn, und für sein
8
Warten ein doppelt Maas erhalten. Die päbstl.
triple couronne
muß einem
9
jeden einfallen.
10
O daß ich
Gleiches mit Gleichem
vergelten könnte! Ich habe eben die
11
Ursachen zu schweigen, die ich habe mich von allem Umgange zu entziehen.
12
Furcht u Mistrauen andere mit meiner Hypochondrie und Heavtontimorie
13
anzustecken – Nichts als ausdrückl. Geschäfte oder Anliegen sind im stande
14
mich zu einem Schritte aus dem Hause zu bewegen. Meine Gesetzliche
15
Stunden
währen von 7 bis 6 und muß müßig sitzen mit einem Buch für die Nase
16
par contenance
– halbe Stunden mich abstehlen um Hänschen
taliter
17
qualiter
abzuwarten, wie oft! mit Ungedult u Verdruß. Wie viel bleibt mir
18
übrig zu wirkl. Arbeiten? An Dahlberg die Feder angesetzt; weder Kraft noch
19
Nachdruck zum Denken u Schreiben. Ein halb Dutzend Briefe zu beantworten
20
und mit nichts komm ich von der Stelle, und werde immer von meinem guten
21
Willen übertrieben, dem ich nichts als eine künstliche Schlafsucht und das
22
opium
der Verzweifelung entgegenzusetzen weiß. Wie glücklich sind die Leute
23
die sich an der ersten der besten Erklärung des Weltlaufs begnügen u sich das
24
nil admirari
des Weisen getrost zueignen können. Ich kann aus jeder
25
Kleinigkeit des menschl. Lebens die mir alle Tage zustöst nicht klug werden und staune
26
über meine häusliche u öffentl. Lage – Unser
Director
soll versetzt werden
27
und der Mann ist ein wahrer brennender unversehrter Dornbusch für mich.
28
Jetzt ist er seinem Weibe nachgereist, die bereits den zweyten Sommer an der
29
polnischen Gränze mit einem verabschiedeten
Offici
er zubringt, ohngeachtet sie
30
schon den Mann durch eine alte Freundschaft mit einem Project- u
31
Fayence
macher ruinirt, der sich Hofr. Ehrenreich nennt. Die Infamien gehen so weit
32
daß ein ehrl. Mensch sich
scheuen
u
fürchten
muß einen solchen Nachbar zu
33
seinem
Chef
zu haben, und dem ohnerachtet zieht er mich bisweilen bey den
34
Haaren zu sich. Die traurige Figur in meiner Seele bey einem solchen
35
vis-à-vis
läst sich denken. Unterdeßen
ist
soll sein Nachfolger abermals ein
36
Maitressen
fänger seyn, deßen
Pension
man ersparen will.
d’Alembert
wird in
37
Berl. erwartet.
S. 195
Cramers Klopstock habe in zwo Stunden mit Vergnügen durchgelaufen,
2
und für mich in aller Beziehung ein sehr wichtig Buch. Ich bin schon
3
beyläufig angeführt und verspreche mir noch beßer Glück künftig
4
Des armen Dusch Ferdiner habe in 2 Tagen durchgepeitscht. Ist noch das
5
beste von seinen Werken das ich gelesen habe. Zwey Braute zerfließen in keine.
6
Es hat mich unterhalten u gerührt, wie in Sophiens Reise zween
7
Bräutigamme – doch die neuste Auflage ist mir noch unbekannt.
8
Die freymüthige Betrachtungen habe sehr früh zu lesen bekommen durch
9
Hippel, der sie vom
Canzler
Korff erhielt u dem sie aus der Preße zugefertigt
10
worden, ich habe aber nicht erfahren können ob vom Verf. oder Verleger oder
11
seinem
Commissionair.
Hartk. wuste den Autor nicht. Der Verf. hat mir
12
beßer gefallen als Bahrt u Steinbart. Aber im Grunde einerley
πρωτον ψευδος
13
wie in der Erziehung des menschl. Geschlechts. Erstl.
natürl. Religion
ist
14
für mich was
natürl. Sprache
, ein wahres Unding, ein
ens rationis.
15
Zweytens, das was man natürl. Religion nennt, ist eben so problematisch u
16
polemisch als Offenbarung. Und warum Freymüthigkeit, dasjenige zu widerkäuen
17
u zu verfeinern, was der wahre
ton du siecle sub vmbra alarum
tua
ist
. Vernunft
18
ist der
leibhafte Moses
– und unsere heutige
φφ
ie
der
leibhafte
19
Pabst
verklärt –
Judentum
, sein Geist natürl. Religion, ist die allgemeine
20
Losung, nach Jerusalem, Büsching
pp.
An
Meßias
kaum gedacht. Aus dem
21
Verstande unserer Apologisten vom
Judentum
läst sich auf ihren Verstand
22
des
Χ
stentums
schließen – u ohne beyde sind
Pabstum
u
Lutherthum
23
Stückwerk. Dies Vierek ist mein altestes u jüngstes
Thema
– und so Gott will das
24
Ey zu meinen
Schiblemini:
Das Motto der erste Vers aus dem alten Liede
25
von
D.
M.
Luther.
26
Sie ist mir lieb die werthe Magd.
27
Meine
Schürze von Feigenblättern
sind
cassi
rt. Häfeli ist der Verf. der
28
Auflösung im Mercur und mit Wieland bin ich ausgesöhnt.
Starken
traue
29
ich nimmermehr ein solch Buch zu. Es scheint mir zu stark für ihn, oder
30
wenigstens ist es seine Eigenliebe hinter dem Schirm zu arbeiten.
31
Gott gebe Seegen u Gedeyen und Freude zur Brunnenkur. Die Reyhe zu
32
reisen wird auch an mich kommen. Hat keiner mehr göttl. Beruff dazu als
33
dieser arme
stipes in terra.
Asmus hat ein Lied im Namen der
34
Schwindsüchtigen gemacht. Er gehört doch nicht zum Orden selbst? Hat mir noch nicht
35
zum Podagra Glück gewünscht. Ein recht tiefgeholter Seufzer thut mir so
36
wol wie eine Motion. An Kraft zum Athemholen scheint es mir also nicht zu
37
fehlen. Alles was mir gefällt, macht meine Augen wäßrig. Scheint ein
S. 196
Character der finstern Schriftsteller zu seyn, und der Fehler mehr aus dem Herzen
2
als dem Verstande zu qvillen.
3
Meine Nachtigall nicht zu vergeßen, welche mir so manche himml.
4
Augenblicke Morgens u Nachts gemacht seit acht Tagen aber so gut wie verstummt
5
ist. Sie war ein Vogel nach der Uhr, fieng mit dem Nachtwächter um 10 Uhr
6
an u hörte
precise
um 7 auf
à l’heure du Bureau.
Wechselte in meinen u
7
meines Nachbars Garten, je näher dem St. Johannis, desto lauter wurde sie
8
auch am Tage – Wenn sie doch künftig Jahr widerkäme.
9
Den 26 –
10
Den Georgi bereits durchgelaufen, ohne das geringste weder in Ansehung
11
des Worts noch der Sachen für meine Vermuthung gefunden zu haben; denke
12
ihn noch einmal ohne diese Rücksicht zu lesen, weil ich ihn überhaupt wenig
13
verstanden. Kant arbeitet noch immerweg an seiner Moral der gesunden
14
Vernunft und Metaphysik, so viel ich weiß, und thut sich auf seinen Verzug was
15
zu gut, weil selbiger zur Vollkommenheit seiner Absicht beytragen wird. Des
16
Daubigné
Denkw. werde auch zu sehen suchen. Ist Mornays Leben auch schon
17
übersetzt. In Hartungs Katalog steht nichts, und was noch steht, ist schon
18
vergriffen. Muß alles durch die dritte Hand zu erschleichen suchen, und nach der
19
dritten Hand muß ich bisweilen so lange suchen, daß mir die Lust darüber
20
vergeht. Allerdings hatte ich Ursache mit Hartkn. einen
längern
Brief zu
21
erwarten, weil Sie mir noch einige Antworten u eine kl. Anzeige vom
Jaques le
22
Fataliste
schuldig sind. Aber Ihre Zeit! – ich bedaure wenigstens die, welche
23
die Entzifferung meiner Briefe kosten muß – meiner unnahrhaften, aber nicht
24
unwahrhaften Briefe – Von Hartkn. habe bereits alles gemeldt, was ich
25
weiß. Seine Erhaltung ist ein Wunder, wenn Sie allen den widersprechenden
26
Nachrichten wegen seiner damaligen Krankheit so nahe gewesen, als wir
27
hiesigen Orts. Also hoff ich noch, Gott wird ihn wider verjüngen und noch einige
28
Jahre schenken; um meines Michels so wol als der Seinigen willen; denn er
29
ist ein rechtschaffener Vater und Freund. Seine Schlafsucht ist mir nicht so
30
merklich gewesen als es in seiner Familie seyn soll. Ich erwarte seinen Sohn
31
mit Fueßli.
32
Dietrich ist noch nicht hier, 4 Kasten an Kirchen R. Lilienthal
addressirt
33
stehen in meinem Packhofe, und enthalten vermuthl. seine Sachen. Er soll
34
aber wirkl. unterwegs u in Berl. krank gewesen seyn.
35
Sollte Kraus über Weimar heimgehen; so werden Sie Buchholtz
36
Physiognomie nicht übersehen, u ihn als meinen
Deputi
rten bewillkommen. Lindner
S. 197
studiert in Halle, u hat mir geschrieben in einem Ton, der mir viel Gutes von
2
ihm verspricht. Ich werde ihm diese Woche antworten wegen einer Einl. von
3
seiner alten Mutter.
4
Hartknoch hat mir noch einige Scherfl. aus Riga versprochen. Note 14.
5
gehört zu S.
25
.
gerade u krumme Grundstriche
.
6
Wißen Sie nichts vom unglückl.
Waser
? – Kaum hatte ich seinen Namen
7
ausgeschrieben wie mir die Nachricht seiner
Execution
aus den Zeitungen
8
hinterbracht wird.
9
Endl. mit genauer Noth habe ich Spittlers Geschichte des kanonischen
10
Gesetzes hier auftreiben können u heute zu lesen angefangen mit viel
11
Zufriedenheit. – Eben erhalte einen Brief vom ehrl. Hartknoch vom 11
hui. st. v.
„hat
12
viel zu thun mit seinem Meßgut, ist vor 8 Tagen gesund angekommen, seine
13
Frau lebt im Garten unsers Landsmann Schenk, u er schläft daselbst.“ Das
14
übrige ist ein
Commissions
verzeichnis auf die Kypkische
Auction.
– Da
15
kommen die Denkw. des
Aubigné
– Habe Michaelis sämtl. poetische Werke
16
durchgelaufen, weil Brahl so ein großer Verehrer dieses fast mir unbekannt
17
gebliebnen Dichters ist. Eine Ausgabe von Gleim wäre wol beßer gerathen.
18
Yoriks u Elisens Briefe sind auch nicht der Rede werth. Der 5te Theil von
19
Gozzi liegt auch da. Daß dieses Mannes Briefe so wenig bekannt sind. Ich hab
20
sie in Curl. gelesen und weiter nicht zu sehen bekommen. Wer mag der deutsche
21
Ungenannte seyn deßen Handschrift
Foster
eben Engl. ausgiebt? Habe blos
22
einem guten Freunde zugefallen den Artikul über die Gesetze angesehen. Weder
23
viel körnichtes noch neues läst sich aus dem Eingange vermuthen. Auf heute
24
gnug gelesen, aber ich besorge auf Kosten meiner Verdauungskräfte – und
25
nichts zur Sache oder sehr wenig –
26
Meine Kinder lachen, vorzügl. Marianchen, nach Herzenslust. Hänschen
27
hat seine Schreibstunden angefangen mit
Courtans
Kindern. Gott woll doch
28
Hartknoch erhalten, wie ich hoffe. Vergeßen Sie doch nicht die Weißagung des
29
Zellerfelder. Erfreuen u trösten Sie doch Ihre liebe Schwester. Ich habe sie
30
um eine Einl. durch die Strauchin bitten laßen, aber nichts erhalten. Der
31
Himmel schenk Ihnen und den Ihrigen so viel Freude zum letzten Junius wie
32
mir zum letzten May. Mein Stillschweigen ist keine
Liquidation,
sondern
33
Mangel an Stoff und Oel im Lämplein. Sie leben im Mittelpunct und ich am
34
äußersten Rande. Ich umarme Sie, die auserwählte Frau und Ihre Kinder,
35
und ersterbe in der besten Hofnung Ihr alter treu ergebener.
36
Heil zum Brunnen! Auch ich sitz in meinem Schlafpeltz und Winterwams.
37
Morgen wills Gott wärmer.
S. 198
Meine Verehrungswürdige Frau Gevatterin und Freundin,
2
Wie sehr Sie das meiner ganzen Seele sind, kann und darf ich nicht erst
3
sagen, und würd’ auch der Mühe nicht lohnen gelesen zu werden.
Me
4
Hartknoch, die ich als eine sehr liebenswürdige, launichte und gutherzige Frau
5
mehr ahnden als kennen gelernt, weil ich sie nur zweymal, erstens beym
6
Einpacken eines großen
Coffres,
und letztlich bey Ihrer
Toilette
beobachten
7
können, hat mir die aufmerksame Besorgnis in Ansehung des
Alphabetums
8
Thibetanums
mit allen kleinen Umständen auf die angenehmste Art
9
mitgetheilt. Keine Erinnerung, die aus der Fülle des Herzens
komt
, ist
10
überflüßig, sondern des Danks werth; denn hätte das
Alphabetum Thibetanum
11
nicht würklich eben so leicht vergeßen werden können, als das
Datum
in dem
12
heutigen für mich so erfreulichen Briefe, wodurch das darinn befindliche Wort:
13
Gestern
seine ganze bestimmte Genauigkeit verliert, wegen des
in petto
14
gebliebenen
Dati?
15
Adelbertchen wird gewiß seinen Verlust lebhafter empfunden haben als
16
seinen Antheil am Väterlichen Siege. Himmel und Erde vereinige Seinen
17
Seegen „und mache das Halb Dutzend voll“ ich meyne Pfänder und Siege!
18
Empfehlen Sie mich Ihrem kleinen Reisegefährten nach Illmenau und
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entschuldigen Sie mich bestens bey meinem lieben Pathchen, daß wir uns
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einander noch nicht kennen, weder nach einer Silhouette, noch von Angesicht zu
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Angesicht. Sagen Sie ihm nur, ich wohne hier hinter 7 wo nicht Berge doch
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wenigstens Hügel, daß mich die Leute meiner eignen Heimath kaum kennen;
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aber Er soll mich gewiß kennen lernen. Das ist kein Mährchen, sondern meines
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Herzens höchster und letzter Wunsch, den ich mit Mund und Hand versiegele,
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oder in Erwartung seiner Erfüllung ersterbe
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Meiner Verehrungswürdigen Frau Gevatterin und Freundin ergebenst
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verpflichtester
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Johann Georg Hamann.
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Weder
Name
noch Weißagung des Zellerfelder Propheten ist bis zu uns
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gedrungen. Sie wißen daß sich meine Neugierde bis auf Ziegenpropheten
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erstreckt, trotz einer Nachtigall. Cabalistisch, ein Buch
Chevilah,
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Hieroglyphenschrift – das ist lauter Lockspeise für meinen verwöhnten Geschmack, wahres
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Wildbret für meinen
Adlerhunger
.
Daß der verwünschte Knebel sie
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mitgenommen u bis nach der Schweitz!
Ressouvenez-vous en, Madame! Ce sera
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un autre
Alphabetum Thibetanum
pour mon envie.
Provenienz
Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 201–203.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 136–147.
ZH IV 189–198, Nr. 592.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
191/4 –7
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⸂Der […] wegen.⸃] |
Einfügung am Fuß der Seite. |
191/11 |
Theil ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Teil |
191/29 |
besinnen ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: besinnen, |
191/30 |
erinnern ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: erinnern. |
191/34 |
abgewel zt tzt ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: abgeweltzt |
192/4 |
Geschlechts; ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Geschlechts, |
193/26 |
Eng l els ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Engels |
193/30 |
alles ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: alles, |
194/15 |
Stunden ]
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Geändert nach der Handschrift; in ZH Druckkorruptel: Stund-|den |
195/9 |
Canzler ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Kanzler |
195/17 |
tua ist ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: ist |
195/18 |
φφ ie |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Philosophie |
195/25 |
Luther. ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Luther: |
197/5 |
25 ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: 26 |
197/21 |
Foster ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Forster |
198/9 |
komt ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: kommt |
198/33 |
Adlerhunger . |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Adlerhunger. ; das Wort wurde in der Handschrift aus Platzmangel bei der Zeile in den äußersten rechten Rand gedrängt. |