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Auf keine Frage würd ich so verstummen, wie auf die: warum ich Ihnen
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zwei Bändchen Predigten von Zürich nach Königsberg sende? Bitte also
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mich damit zu verschonen und mit der etwannigen
δικαιοσυνη
meines
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unanatomirten Kinderglaubens die Unverschämtheit meines Zutritts und den
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Unwerth der Gabe meiner Armuth zu tilgen.
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Wer die Blinden sehend und die Sehenden blind macht – hat mir das
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Kreditif ächter Autorschaft, der Geburth und Sendung von oben herab – ich
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werf’ mein Netz hin und folge ihm nach. Mag er dann mit einem: „Füchse
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haben Gruben – –“ die Wahrheit meines innerlichen Zuges prüfen.
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Meine Seele hat einen durch Jahre, lucianisches Gelächter und kaltblütige
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Argumente geläuterten Lust und inniges Verlangen in Ihren allegorischen
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prophetischen und apokalyptischen Vorhöfen zu wandeln. Auf meinen
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verrufnen Waldgängen und Bergklimmen erschienen Sie mir – Deiner Kleider
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Geruch wie der Geruch Libanon – Es war ein Augenblick, wie bei Schöpfung
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und Liebe. Der Augenblick würket bis izt und mir ist alles sehr gut.
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Jezt bin ich aus Wald und Hölen heraus an einer Eke der Stadt mit Weib
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und Kind und der Herr theilt meine Tage in Schweiß und Erholung zum
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Andenken des Fluchs der Sünde und der Verziehungsfülle des Vaters, von der
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ich noch ein Mahl hoffe von reinem Wein, darin kein Hefen ist.
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Ihres Gehaßtseins freut sich mein Herz. Denn also haben Sie den
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Propheten gethan, deren Lohn groß ist am Tage der verhaßten Erscheinung der
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Ersten und Lezten.
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Eine Frage in einem Ihrer Briefe an Pfenninger soll ich Ihnen
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beantworten, da die merkurialische Sünde gegen Lucian und Plato vor meiner Thüre
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liegt. Aber ich schäme mich siebenfaltig. Ihr allegorischer Genius, der Liebe
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gleich, sieht ein mystisches Schloß, wo wahr und wahrhaftig nichts ist, als die
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einfaltigste Thürfalle, wozu der Schlüssel das fünfte Rad am Wagen wäre
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und die dem leichtesten Drucke aufknallt. „Wer vorangeht, hüte sich bey der
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Brüke ohne Lehnen“, Nichts mehr und nichts minder, als ein ungefärbter
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Zipfel von dem Rock des Tapetenwürkers, der gesprochen hat: „Wer steht der
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sehe zu daß er nicht falle!“ Die gefährlichste Brüke ist die, die zum Dieb und
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Bräutigam am Ende der Tage hinüberführt Offenb. Joh.
XIII.
und das
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Geheimnis der Bosheit würket schon izt. Übrigens hat jedes menschliche
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Alter, Stand, Genius und Charakter seine Brüken ohne Lehnen, wo Gottes
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Engel weichen und Satan hinzutritt zu sichten den Vielversprecher wie Waizen.
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Ich überdenke nochmals das Sonderbare und Unverschämte meines
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unvorgemeldeten Eintrits, weiß, an wen ich glaube und ergebe mich auf Gnad
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und Ungnad.
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Johann Caspar Häfeli
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D. g. W.
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Zürich am 20. Merz. 780.
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Vermerk von Hamann:
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Den 31 May im Pack des HE Wulff
Friedlaender
mit den
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Schellenbergschen Kupfern. Geantw den 30
Junii
– 2
Julii
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2553 [Gildemeisters Hamanniana], I 29.
Bisherige Drucke
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, II 310–312.
ZH IV 172 f., Nr. 585.
Zusätze fremder Hand
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Johann Georg Hamann |