576
155/2
Kgsb. den 23 Jänner
Dom. Septuag.
80.

3
Herzlich geliebtester Landsmann, Gevatter und Freund,

4
Vorige Woche brachte mir der Postbothe auf einmal einen Brief von Ihrer

5
Frau Schwester u Kraus. Erstere ist voller Freuden über die Bekehrung ihres

6
Mannes nach einem schweren Lager, das ihm alle starke Getränke nunmehro

7
verekelt. Letzterer meldt mir von 2
Recensionen
Ihres Maran Atha, neml.

8
in den Häll. u Gothaischen. Letztere soll sehr sarkastisch seyn und mich auch

9
angehen; erstere desto glimpflicher. Hier kommt alles mit der Ochsenpost an.

10
Ich habe eine poetische Auslegung der Apok. durchgelaufen, die sich
in duplo

11
auf der Hiesigen Schloßbibliothek befindet. In einem Exemplar fehlte ein

12
Blatt und in dem andern sollen auch
Defect
e seyn. Das
Mst.
scheint aus dem

13
XIV Saec.
Vor jenem war eine alte Uebersetzung der
Apocalypse,
die in

14
diesem fehlen soll. Der Verf. hält Amen für ein gr. Wort u streitet gegen
Beda

15
daß
Philadelphie
nicht Bruderliebe sondern ich weiß selbst nicht mehr was

16
bedeute. Er schien es von
φυλασσω
herzuleiten, wo ich nicht irre.

17
Heinrich is min rechter name

18
Hesler ist min hus genant.

19
Sonst habe ich nichts von historischen Umständen finden können, die den

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Autor oder seine Zeit betreffen. In Ansehung der alten Sprache hat es mich

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unterhalten. Bey Gelegenheit alter Urkunden fand ich neul. bey Lauson die

22
Copia
der Handfest über Gerdauen und Nordenburg von
Ao
1469 für den

23
Ritter Georg von Schlieben u seinen Bruder
Christoph
von
Hoemeister

24
Heinrich Reuß von Plawen
, und als Zeuge war
Stephanus Herder,

25
unser Caplan
angeführt.

26
In Kypke
Bibl.
ist nichts von Handschriften als ein durchschoßenes N. T.

27
das ich bey mir habe aber keinen Nutzen davon mir verspreche. Es sind lauter

28
Anführungen aus Autoren nach den
pp.
seiner Ausgaben, und daher für

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einen andern unbrauchbar. An alle übrige Aufträge wird fleißig gedacht; aber

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es ist nichts angefangen. Vergeßen Sie doch unser
Päckchen
nicht. †feld hat

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auch einen Brief von
Voß
die Odyßee betreffend vom
Sept.
erst diesen Monat

32
durch Hartung erhalten, mit dem K. im Handel steht. Der König hat letzterm

33
sein gnädiges Ehrenwort gegeben wegen der gesuchten
Bonification
nebst

34
einem
Inhibeatur
für seine
Gläubiger

35
Diesen Krönungstag besuchte mich ein Sohn des
Pleßings
von der

36
Abgotterey, der seit
Oct.
hier ist seines Vaters Familie in Polnisch Preußen

S. 156
besucht hat und eine heil. Rede über die Vorsehung hier drucken laßen, die er

2
seinen Eltern u seiner Muhme, der BürgerMeisterin zu Konitz
dedici
rt nebst

3
ein paar Abhandl. über Josephs Character u
Lebens
auch
Pensées

4
philosophiques sur la faculté d’abstraire
unter der Preße hat. Er sagte mir Sie auf

5
einen Augenblick in Weimar bey seinem Abschiede besucht zu haben, und

6
erzählte mir Benzlers Schicksal, das mir nahe geht. Ich bin noch nicht ganz im

7
stande zu übersehen den Mann, der an einer
singulai
ren Hypochondrie zu

8
labori
ren scheint.

9
Meine Lust zu den
Essais a la Mosaique
ist verraucht. Heut vor 8 Tagen

10
erhielt ich durch Hippel die erste Fortsetzung der Klopstockschen Fragmente und

11
ich arbeite seit Mitwoch mit zieml. Fortgang
an ein paar Provinzial Briefen

12
unter dem Namen
Hochberg
ad imitationem Lud. Montaltum
. Da Sie mich

13
gegen den neuen orthographischen Unfug Selbst aufgeboten: so würd ich es

14
abermal wagen, – sich des armen kleinen Fündlings anzunehmen. Gott

15
gebe daß ich wie Hiob sagen könne:
Mein Bogen beßert sich in meiner

16
Hand
! D
er
as erste
Brief
hat zum Text des Kaysers Augusti

17
Zesianismum
nach dem Sveton. D
er
as andere betrift das Grundgesetz des Gehörs

18
u der Sparsamkeit in der Klopstockschen Darstellung. Also 2
Scherflein zur

19
neusten deutschen Litteratur
. Wer mag der elende Schmierhans seyn von

20
der allerneuesten deutschen Orthographie des
XVIII.
Jahrhunderts? Das

21
Beste ist der Titel; u deßhalb will meinen aus ihm entlehnen.

22
Vergeßen Sie mir nicht, bester Herder, auf allen Fall des Statth. zu Erfurt

23
Titulatur
in extenso et abstracto
auf u in dem Briefe; auch diese alte Schuld

24
so gut ich kann abzutragen. Kraus qvält mich immer um einen
Konxomp.
und

25
redt wider von einem Briefe an
Asmus
wenn ich ihn nicht schicke. Ist es Ihnen

26
mögl. seinen Wunsch zu befriedigen?


27
Den 24 Jänner.

28
Gott seegne den König!
– Heute ist sein Geburtstag und vor 3 Jahren

29
empfieng ich an selbigen meine Bestallung. Ein kleiner Fluß im Halse u

30
Munde hält mich einheimisch. Bin in diesem Jahr noch in keiner Kirche

31
gewesen. Will mit Fastnacht anfangen. Was machen Sie? – und Ihre beste

32
Frau? – und Ihre lieben Kinder?

33
Ich fieng gestern Ihren Brief in voller Fluth an; und darauf kam eine

34
solche Ebbe der Lebensgeister, daß ich mich den ganzen Abend nicht

35
erholen konnte, und so befind ich mich immer in einem unnatürl. Zustande der

36
Spannung u. Erschlaffung, daß ich mir kein gesundes Urtheil kaum zutraue,

S. 157
und auf meinem Lebenskahnchen auf und nieder, hin
u
her taumele und

2
schaukle.

3
Jerusalems Betrachtungen, Büschings Judentum u Semlers Antwort auf

4
Bahrdt habe gelesen. Letztere hat mir am besten Gnüge gethan. Walch hab ich

5
noch nicht über das Leßingsche Theorem oder Problem bekommen können.

6
Hab ich Ihnen schon geschrieben daß
Notar
Hintz wider Hofmeister wird.

7
Von Hartkn. habe keinen Laut. Wie gut wäre es wenn er mit K. einig werden

8
könnte zum Besten seiner Frau u ihrer Familie. Vielleicht schreib ich ihm

9
darüber. Wird der Buchhandel ein Hartungsches Monopol: so ist es hier aus für

10
alle die durch Kanters Gutherzigkeit und wirkl. Grosmuth oder

11
Gleichgiltigkeit in Verwaltung eigner u fremder Güter verwöhnt worden sind zu einem

12
Freytisch u offnen Tafel in seinem Buchladen.

13
Pathchen Marianchen hat den 14
h.
allein zu gehen angefangen und gab am

14
Krönungstag dem Vater ein sehr angenehmes
Concert
über die Laute Pa–pa.

15
Sie ist die erste und einzige die ohne Leitband u Fallhütchen und so früh gehen

16
gelernt. Hänschen scheint von allem musicalischen Gehör enterbt zu sein.
Tant

17
mieux pour lui – mais tant pis pour moi.
Sie wißen was für ein Freund ich

18
von Vocalmusik bin und von Kirchenliedern, und daß ich Ihnen nichts so sehr

19
beneidet, als das ganze Gesangbuch und alle Melodien auswendig zu können.

20
Minister von
Görne
der unser
Departement
hat wird hier erwartet, man

21
sagt des schwindsüchtigen u in letzten Zügen liegenden Handels wegen.

22
Auch sagt man, daß der König
(risum teneatis amici!)
die Ausarbeitung einer

23
deutschen Grammatik veranlaßt, ferner
sagt man
, daß Semler 2
Ephorate
u

24
die
Emolumenta
davon verloren u Nößelt solche erhalten hätte.

25
O liebster Herder! unser Päcklein, daß Ihr
Georgi
nicht verloren geht!

26
Find ich in ihm nichts was meine Vermuthungen in Ansehung des

27
Thibet
schen bestätigt, so will ich Kraus auftragen,
Büttner
darüber zu
consuli
ren.

28
Vielleicht zu einer zweyten Ausgabe zu der ich alle
unterdrückte
allegata
u

29
Citation
en oder Anspielungen auf wirkl. Stellen sammle. Nun denk ich an

30
nichts als meine
zwey Scherflein
unter dem Motto –
ι η
י
ου μη
Matth. V.

31
18. Wie alle Haare unsers Haupts unter göttl.
Providentz so
alle
gerade

32
u
krumme
Striche unserer Handschrift, (wo ein
ι
jota
u
Jod
י
als die

33
einfachsten
Symbola
anzusehen) unter
Theopneustie
. Daß diese Erkenntnis zu hoch

34
ist – mag immerhin seyn aber weder für den
philosophischen
noch
christl.

35
Glauben
.

36
Pleßing – und hierauf Kreutzfeld mich besucht mit ein paar Exempl. seines

37
Gedichts. Vielleicht macht’s Ihnen eine kleine
Diversion
an Ihr Vaterland

S. 158
zu denken. Mit künftigem Monath wird der Abdruck des
Catalogi
angefangen

2
werden. Von Kypkens
Observationum mstum ad N. T.
habe schon geredt, daß

3
sie lauter allegata nach den
s
S
. seiner Ausgaben enthalten. Sie scheinen aber

4
jünger als die
gedruck
t
en
zu seyn
, weil er sich auf solche bisweilen bezieht

5
mit der Beyschrift:
Vide impressa
.
Nun erinnere ich mich in seinem Leben

6
gehört zu haben, daß er seine
Observ.
um ein Beträchtliches vermehren

7
könnte; daher ich vermuthe, daß dies
Mst.
in Bey- und Nachträgen dazu

8
besteht
. Ich werde aber die Sache noch genauer u mit Vergl. der gedruckten

9
untersuchen. Nun so viel zum
vehiculo
der Einlage aus Morungen.

10
Verzeyhen Sie es mir, liebster Gevatter Landsmann und Freund! daß ich so oft

11
an Sie schreibe. Sollte ich mit meinen 2 Scherflein nach Wunsch fertig seyn:

12
so sind Sie nicht sicher dafür, daß ich vor Freuden Sie Ihnen am ersten

13
mittheile. Empfehlen Sie mich bestens Ihrer treusten Hälfte. Gott seegne Sie

14
und Ihr ganzes Haus. Erfreuen Sie mich bald mit guten Nachrichten von

15
Ihrem allerseitigen Wohlbefinden. Ich ersterbe Ihr ewig verpflichteter und

16
mit Herz und Sinn ergebenster

17
Johann Georg Hamann


18
Adresse:

19
HErrn / HErrn Herder / General-Superintendenten / pp / zu / Weimar. /

20
Gedruckte Einlagen. /
franco
Berlin

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 193–194.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 117–120.

ZH IV 155–158, Nr. 576.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
155/34
Gläubiger
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Gläubiger.
156/3
Lebens
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Leben
156/28
Gott […] König!]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Gott seegne den König
!
157/1
u
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
u.
157/35
Glauben
.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Glauben
.
158/3
s
S
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
S
158/4
gedruck
t
en
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
gedruckten