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Königsberg den 2 Jänner 80.

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Liebster Freund Kraus,

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Gestern des Morgens erhielt Ihren lang erwarteten Brief, nachdem ich

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beynahe alle Hofnung aufgegeben hatte, zum Neuen Jahr. Ich habe diesmal

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keiner Seele eins gewünscht, nicht einmal mir, bin weder Weynachten noch

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heuer aus dem Hause gewesen. Kreutzfeld hat sich Gottlob! ein wenig erholt,

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mich gestern u heute besucht u läßt Sie bestens grüßen, zweymal. Ihre

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Anekdote soll niemand von mir erfahren, kann ihm aber schwerlich ein Geheimnis

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seyn. Sein Husten hält noch an, und scheint schwindsüchtig zu seyn; ein

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Erbtheil seines Vaters. Unterdeßen da Sie beyde Freunde sind, so wird Gott für

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beyde sorgen.

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Ich hoffe morgen oder übermorgen Ihren Auftrag im Müllerschen Hause

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zu bestellen, wo ich in langer langer Zeit nicht gewesen bin. Das
Thibet
sche

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Alphabeth hab ich Hoffnung durch meinen Weimarschen David zu erhalten.

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Als einen Auftrag von mir will ich eben nicht zumuthen Nachfrage zu thun.

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Sollten Sie aber Gelegenheit haben den gelehrten Mann kennen zu lernen,

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oder bey einer anderweitigen Veranlaßung denken Sie
in petto
an das

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Problem
und meine hungrige Neugierde. Den Namen Ihres Gesellschafters,

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an dem mir so viel gelegen gewesen, hab ich schon zum voraus erfahren. Ich

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habe vorigen Sommer seinen Namensvetter, den Verf. der reisenden Sophie

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kennen gelernt. Ein Mann den ich wie Ihre Milch- und Obst Diät bewundere;

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aber ich habe nicht das Gebiß, desto mehr den Magen eines fleischfräßigen

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Thieres, und könnte Ihnen Wunder erzählen von den Rinder- Enten- und

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Sauerbraten, die ich dies Jahr so jung es ist, bereits verzehrt. Ihr Geschmack an

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der griechischen Litteratur ist mehr der meinige. Daß der
Paauw
sche

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Aeschylus
nichts taugt hab ich gewußt; aber des
Askew
Ausgabe die nur eine

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Guinee
kostet, hatte ich mehr zugetraut. Mit Hänschen les ich jetzt im

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Plato
und zwar den
Phaedo.
Mit den 4
Speciebus
nach
Ernestii Initia

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sind wir auch im alten Jahr fertig geworden. Ihr Graf
Muschepuschi

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ist vor 14 Tagen hier durchgegangen und ich habe das Glück gehabt ihn zu

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sehen bey Ihro Excellenz. Er geht mit seiner Gemalin, die es mir leid thut

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nicht beßer ins Auge gefaßt zuhaben, nach Stockholm, wenn ich recht gehört.

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Vergeßen Sie doch nicht HE von Auerswald zu schreiben. Er setzt seine

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Freundschaft mit mir fort und besucht mich öfters zu Pferde auf dem Wege nach

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dem ▭ erinnert sich Ihrer mit den wärmsten Wünschen. Vielleicht wären Sie

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mit Ihrem Auszuge schon fertig, wenn es nicht mehr um Ihre eigene

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Befriedigung als des Mäcens zu thun wäre. Haben Sie nicht auch dem Kant an

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diesem Auszuge gedacht?

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Des HE von Baczko preuß. Tempe und die neue poetische Blumenlese

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der HErrn Mohr u
Comp.
und des HE
Wannow
Eleonore sind die neueste

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Phänomene. Statt
D.
Crichton wird Hofger. R. Graun Unternehmer der

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gelehrten Zeitungen.

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Meine 3 Gratien thun es Gottlob! den Lilien auf dem Felde zuvor. – Wie

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gefällt Ihnen denn Meiners. Falls Ihnen die sibyll. Fragmente aufstoßen

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sollten, bitte S. 27. anstatt
Brauchs
:
Bauchs
zu lesen. Alles übrige versteht

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sich am Rande.

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Beym nächsten Neujahrswunsch bitte nicht ein Gegen
Compliment
an

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Ihre
Cousine
zu vergeßen; und daß Sie weder Ihr noch dem HE

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Oberhofprediger das kleine
peccatum omissionis in formalibus
zu einem
peccato

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commissionis in materialibus
anrechnen. Ich habe für Ihre philosophische

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Denkungsart und Unterscheidungskraft zwischen Freundschaft
in petto
und

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Höflichkeit
au bout de la plume
gutgesagt. Erfreuen Sie mich bald mit guten

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Nachrichten von Ihrer Entbindung, und ohne ein Staatistiker zu seyn, lohnt

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es gar nicht der Mühe ein Sclav viel weniger ein Märtyrer seines Wortes

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gegen Leute von der großen Welt zu seyn. Laßen Sie mich wider ein Jahr auf

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einen Brief warten, so schick ich einen
Extract
der sich gewaschen hat, in Ihrem

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Namen, und hiemit Gott empfohlen!

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Johann Georg Hamann.


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Brahl
hat Antwort erhalten. Haben Sie auch
D. B.
deßhalb einen Wink

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gegeben?
Vale et faue!
Es macht uns doch immer eine kleine Freude wenn

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ein vornehmer Mann sich herunterläßt uns selbst zurecht zu weisen über ein

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quid pro quo.


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Adresse mit Mundlackrest:

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à Monsieur / Monsieur Kraus / homme de lettres / à /
Goettingue
. /

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Abzugeben in der
/
Grünenstraße
.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 3.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 116 f.

ZH IV 153 f., Nr. 575.