574
145/19
Den 1 Jänner 1780.

20
Laßen Sie mich das Neue Jahr mit einem Briefe an Sie, bester Gevatter,

21
Landsmann und Freund! einweyhen. So ungedultig hab ich auf kein einziges

22
gewartet, warum weiß ich nicht?
Fiat voluntas TVA!
sey unser Wille, unser

23
Wunsch und unser Glück. Hab weder die Weynachten die Kirche besucht und

24
meine Hausandacht heute mit dem Lied:
Herr
!
besänftige mein Herze

25
geschloßen. Ist es von Schade oder Herrenschmidt?

26
War diesen Montag bey Hartung mich wegen des Päckchens zu erkundigen.

27
Wen fand ich? Herrn Johann Jak. Kanter. (Wie gefällt Ihnen das lustige

28
Triumvirat?
Bey Gelegenheit des
Mst.
von
Zweifeln u Einfällen
lief es

29
mit in meinen tollen Plan die beyden Buchführer auszusöhnen u zu

30
vereinigen zum Besten des Publici und ihrem eignen. Meine damalige Aufführung

31
hat dem Hartung immer auf dem Herzen gelegen denn ich inducirte ihn

32
wirklich zum ersten mal in den Kanterschen Laden.
Nun
, dacht ich,
ist es erfüllt
,

33
aber zu spät.) Hartung gestand mir wirkl. ein klein Päckchen zu haben, und

34
noch oben ein, daß ihm die Bestellung deßelben von Hartknoch war empfohlen

35
worden. Sie können leicht denken wie ich kochte – aber vor Freuden des

S. 146
wiedergefundnen Schaafs mich zähmte. Er schickte seinen Herrn
Friseur,
der eine

2
Hauptrolle bey diesem Kreuzzuge für mich spielte. Zum zweyten mal ward

3
geschickt und ich erhielte endl. ein doppelt eröffnetes
Couvert
zu dem Ihrer

4
Frau Schwester bestimmten Exemplar des
Maran Atha.
Ungeachtet meine

5
Freude vereitelt war, so war es mir doch lieb in Morungen eine unverhofte

6
Neujahrsfreude machen zu können, und ich schrieb hinter Ihrem offenen

7
Briefe, der zum Glück nichts enthielt, was nicht Jedermann wißen konnte,

8
brauchte die umgekehrte Seite Ihres eignen
Couverts
zu meinem – und alles

9
ist mit der letzten Post abgegangen und hoffentl. zur Freude und zum Trost

10
dort schon angelangt. Geben Sie doch Hartkn. von dem groben Betragen

11
Hartungs gegen seine Aufträge einen Wink. So wenig Einfluß hat sogar

12
meine Packhofverwalterstelle – Ein Maculaturkrämer würde mehr

13
Achtsamkeit für einen Besucher des
Licent
s gehabt haben. Bey der Gelegenheit

14
entfuhren von mehr Sachen Winke, die vielleicht dort liegen müßen von Claudius,

15
Kleuker u Pfenninger.

16
Eben erhalte einen Brief vom Kraus aus Göttingen, den ich schon für tod

17
gehalten. Er führt einen Hermes aus Charlottenburg, mit dem er sehr

18
zufrieden ist auch mit seiner ganzen Lage. Alles Fleischeßen aufgegeben und sich

19
auf Obst u Milch eingeschränkt. Weil diese Diät für die Jahreszeit aufgehört:

20
so befindt er sich schlechter. Ob mein
Konxomp.
gar nicht nach Göttingen

21
hingekommen? Vielleicht thut er einmal eine Ausflucht nach W. Haben Sie

22
kein Exempl. erübrigt von der Sibylle für ihn: so ist
nichts daran
gelegen.

23
Liegt aber die Schuld nicht an Ihnen; so wünscht ich es zu wißen,
damit ich

24
Sie rechtfertigen könnte
. Er meldt mir daß er nicht den allgeringsten

25
Umgang dort hat und Lindner schrieb mir neulich, daß ein Pack aus Berlin ihn

26
nirgends hat finden können. In der algebraischen Zerstreuung sagt er mir,

27
daß er an Claudius schreiben wollte des Kx. halb. Wünschte daß ers
thäte

28
Vor allen Dingen, liebster bester Herder! sorgen Sie jetzt für das verirrte

29
Päckchen, damit ich nicht um das mir zugedachte Gesangbuch, und wir beyde

30
nicht um
Georgi
kommen. Hätte erstes gern die Feyertage zu meiner

31
Hausandacht gebraucht. Bin mit Josephi Werke fertig, den ersten Theil bereits den

32
Montag vor dem Fest dem Grafen v Kayserlingk abgegeben, muste zum

33
Unglück den Grafen Muschepuschi
circa
mit seiner Gemalin antreffen der aus

34
London zurück komt u nach Stockholm als
schwedischer
ruß. Gesandter

35
geht. Es thut mir leyd daß ich Sie nicht ins Gesicht gesehen.

36
Ich hoffe bey der nächsten Gelegenheit der Fr. Gräfin Ihr Compliment

37
anbringen zu können. Josephus hat mich sehr unterhalten, wiewol ich ihn nicht

S. 147
in der Beziehung auf die
Apokalypsen
sondern mehr auf das Judentum

2
überhaupt gelesen. In den
allegatis
scheinen einige Druckfehler untergelaufen zu

3
seyn. z. E.
p.
70. f) sollte wol
Cap
5 seyn u
Lib. VII. c.
31 hab ich gar nicht

4
finden können  
p.
145
a) p.
149.
g)
hab ich auch nicht finden können.

5
Die Kleinigkeiten in Ihrer Uebersetzung werden Ihnen schon selbst

6
aufgefallen seyn. So einig ich auch mit Ihnen in der Hauptsache bin: so halt ich

7
dennoch nicht das Buch für
ganz
erfüllt, sondern wie das Judentum selbst

8
für eine theils stehende theils fortschreitende Erfüllung. In ihrer Theorie ist

9
das selbst enthalten was ich meyne, nemlich, daß die Erfüllung des Buchs

10
nichts als eine Figur einer höheren Erfüllung sey. Folglich ist eine

11
buchstäbliche Auslegung nicht möglich – und eine historische
Approximation
kann den

12
Geist und Sinn nur auf die Hälfte aufschlüßen: das übrige bleibt immer

13
prophetisch und geistlich und heterogen für alle Geschichte: so wie das, was kein

14
Auge gesehen, kein Ohr gehört, in keines Menschen Herz kommen kann.

15
II.
Die jüdische
Cabbala,
welche Sie im
Plan des Buchs
finden, scheint

16
mir eben so wahrscheinlich in dem Entwurf der ganzen Zeitfolge zu liegen,

17
und jüdische Geschichte ist immer für mich die einzige universal Geschichte

18
gewesen, wie das Volk selbst ein Vorbild des Christentums sowol als Zeichen

19
des menschl. Geschlechts. Hier liegt noch ein reiches Feld die Lästerungen

20
unserer unwißenden Hephästione über das Judentum auszudreschen und

21
auszuflegeln. Ein Wunder aller Wunder der göttl.
Vorsehung
Regierung und

22
Staatskunst – mehr als Noahs Kasten und Loths Weib u Moses brennender

23
Busch ist für mich jeder Jude.

24
III.
bin ich nicht so streng gegen die arithmetischen Kannengießer der

25
apokalyptischen Chronologie wie Sie doch nur in einigen Stellen. Daniels

26
Aufmerksamkeit auf die Zahl der Jahre erweckte ihn zu dem schönen Bußgebet,

27
und darauf erfolgte jene Offenbarung der berühmten prophetischen Wochen.

28
Nach
Franckens Chronologie
bin ich neugierig geworden; auch er scheint mit

29
der Apokalypse sich beschäftigt zu haben. Können Sie mir Ihre Meynung

30
über das was er davon sagt mittheilen; denn die Berl. berühren es blos mit

31
Lächeln. Was kein Mensch auch nicht des
Menschensohn
in seiner

32
Erniedrigung gewußt, wurde St. Johannes in Gesichten mitgetheilt. Größere

33
Wunder also auch größere Einsichten als Er bey seiner willkührl. Entäußerung

34
gehabt, gehören zu Seinen Verheißungen. Giebt es nicht wirkliche Ausnahmen

35
von Menschen die ihren Lebens
termin
ohne daß man weiß wie? bestimmen

36
können. Astrologische, oneirokritische physiognomische Grillen alles ist rein

37
und
vehiculum
oder
vestigium
Seines Einflußes in unser Fleisch u. Blut und

S. 148
des
Commercii
der Ober- und Unterwelt. Die ganze sichtbare Natur ist nichts

2
als das Zifferblatt und der Zeiger oder das Speer; das ganze Räderwerk

3
und das rechte Gewicht sind Seine Winde und
Feuerflammen

4
Der Brunn des Lebens thut aus Ihnen entspringen

5
Gar hoch vom Himmel her aus Seinem
Herzen
! Dem Heiligtum

6
seines Throns.

7
Ohngeachtet dieser roher unverdauter Gedanken, ist Ihre Behandlung immer

8
die beste, nüzlichste und klügste, die wohlthätigste für die Mittelstraße eines

9
bescheidenen Publici und die bescheidenste gegen die Misbräuche der
rohen

10
Verächter und Schwärmer.


11
Den 2 –

12
Kreutzfeld besuchte mich und bald drauf kam Hinzens Freundin
Mlle

13
Stoltz, die auch
bald nach Mitau ziehen wird
zur Schwester der jezigen

14
Herzogin, einer Fr. von der Reck – an die ich auch einmal einen langen

15
Hirtenbrief geschrieben und seitdem keine Zeile mehr – Sie von der Scheidung

16
ihres Gemals abzurathen, die wie es heist, bald vor sich gehen soll. Durch den

17
seel. Hartmann ist sie mit den Schweitzern in genauer Verbindung u Bleßig

18
in Straßburg der den hiesigen Oberhofpredigerberuff ausschlug hat in einer

19
Standrede u den Personalien auf ihren Bruder auch Extracte ihrer

20
Correspondenz verewigt. – Kr. gieng zu seinen Eltern und ohngeachtet ich des

21
Abends nichts als Butterbrodt eße, war mein Hausmutterchen so gut ihre

22
beyde letzte Enten braten zu laßen, die ich mir recht gut schmecken lies – Aber

23
kein Tropfen Wein; es blieb beym reinen Waßer, das mich gestern

24
außerordentlich schmeckte. Wie ich allein war beschloß ich das erste Fest im Jahr

25
mit meinen kräftigen
Bouteill
en Bier. Vorigen Weynachten erhielt ich noch

26
ein halb Dutzend
Bouteill
en Wein, die ich mit meinem Beichtvater theilte, den

27
ich sonst öfters zu beschmausen pflege. Aber dies Jahr bin ich
rein
und
gantz

28
unschuldig
davon
b
gekommen
. Noch eine Freude von vorgestern her. Wie ich

29
meinen Abschluß machte, fand ich Ausgabe 1522 fl. Einnahme 1522 fl. 9 gl.

30
Also 9 gl.
Plus.
Eine Freude
ich
die
ich seit 1774 nicht geschmeckt; denn

31
75 war ein
Minus
über 200 fl. in der
Bilanz.

32
76      –       300 –

33
77      –       650 –

34
78      –       150 –

35
Gestern schickte mir ein guter Engel, hoff ich wenigstens, just als die Vesper

36
angehen
sollte,
eine beredte
s
alte
s
Sibylle ins Haus, die mir eine Stube

37
nebst dem Gärtchen, fast möcht ich sagen, abschwatzte in dem mir zugefallnen

S. 149
Häuschen. Ich erlaubte auch wider meine Gewohnheit der Hausmutter den

2
Gottespfenning anzunehmen, weil ich den halben Gulden
pro arrha
zum

3
Seegen des N. Jahrs annahm. Uebermorgen ist der letzte
Termin
für das

4
2te Haus. Vielleicht geht alles beßer als man denkt. Kein Jahr habe so mit

5
Zittern u Zagen mit Angst und Ueberdruß als das überstandene beschloßen –

6
und beynahe möchte ich, wie Sie scherzen, Engel und Geister an meinem

7
Schicksal hammern gehört zu haben. Unterdeßen stehen auch unsere

8
Phantasien, Illusionen,
fallaciae opticae
u Trugschlüße unter Gottes
Gebieth

9
Den 18 Nov. am Geburtstage meiner jüngsten Tochter komt Kanter zu mir

10
voller Begeisterung mit einem Plan sein Zeitungswesen auf einmal wider zu

11
heben, u bittet mich
Wezel
hier einzuladen mit 200 rthl Gehalt freyer

12
Station u 50 Reisekosten oder 100 rth um dort zu besorgen weil
D.
Crichton, der

13
nach Penzel das
Directorium
geführt, aufgesagt; denn er hat sich alle neue

14
Sachen selbst verschreiben müßen und fügl. thun können wegen seiner

15
Leihbibliothek die er hier aufgerichtet. Schon Jahre lang hat K. kein Meßgut mehr

16
gehabt. Die Zeitungsleser auswärtig u einheimische werden nicht viel über

17
200 ausmachen. Als Erbherr von
Trutenau
wo er eine Königl. Papiermühle

18
u seine Schriftgießerey angelegt ist er an das
Kade Compt.
über 50 000 fl.

19
schuldig und als Lotteriepächter sollte er alle Tage aus Berl. für 18 000 fl.

20
exequi
rt werden. Alle diese Dinge sind stadtkundig. Wie mir also bey dem

21
Auftrage zu Muthe war, können Sie leicht erachten. Bey allen dem

22
bewunderte ich den Mann, der den gantzen Abend bey mir zubrachte mit einer Ruhe,

23
Gleichgiltigkeit u Zufriedenheit, auch keinen andern Gedanken zu haben schien

24
als Wezel und sein Zeitungswesen. Ich that alle mögl. Vorstellungen – wie

25
viel ich selbst
risqui
rte
blos
einem ganz unbekannten Menschen Vorschläge

26
zu thun, und wie leicht es seyn würde durch hiesige
Fabrikant
en sicherer u

27
wohlfeiler der gegenwärtigen Verlegenheit abzuhelfen. Nein alles sollte auf Neujahr

28
im stande seyn. Ich schrieb so daß Kanter den Brief lesen u einschließen konnte.

29
Ich freute mich schon daß K. den Brief unterdrückt hatte, weil merkliche

30
Anspielungen darinn waren, die beyde
Interessent
en merken konnten. Siehe da! den

31
15
p.
komt Antwort von
Wezel,
nach Herzenswunsch für mich. Er sagt
j
Ja
u

32
übernimmt die Arbeit von dort aus. Die Hauptschwierigkeit u der Knoten für K.

33
war eine
Assignation
an einen dortigen Buchladen wegen der zum
Recensi
ren

34
nöthigen Bücher. An diesen kleinen Hauptumstand hatte der Projectmacher

35
nicht gedacht. Nun hat sich Hofger. Rath Graun,
nomen et omen habet,

36
ein Vetter des
protocolli
rten verstanden. Er heyrathet Hartungs Schwestertochter

37
und ist also im stande den Mangel an Büchern zum
Recensi
ren zu bestreiten.

S. 150
Der prß. Mercur hat sich in ein Pr. Tempe verwandelt. Der erste Monat ist

2
heraus. Eine preuß. Blumenlese kommt auch nächstens unter Mohr und

3
Döhrk
. Der erste ist des Stadtraths Sohn u als ein Sodomit hier verschrien.

4
Der letzt ist ein Referendarius u hat wenig Antheil als Eitelkeit.
Eleonore

5
aus zeitverwandten Nachrichten
soll ein Roman seyn von einem jungen

6
Refer.
W
annowius
,
der ein paar Bogen unter dem Titel:
Mein

7
Saytenspiel
schon herausgegeben. Noch habe nichts davon gesehen. Soviel von

8
unsern afrikanischen Neuigkeiten u Seltenheiten.

9
Von Ihren irrenden Rittern u ihrem Kreuzzuge nach Norden ist hier nichts

10
zu hören gewesen. Nach dem Engl. hab ich mich unter der Hand erkundigt. Es

11
ist ein wahrer Engl. gewesen von dem es heist daß er die Küsten wo ich nicht

12
irre der caspischen See aufnimmt. Den Stallmeister hätte für mein Leben gern

13
gesehen. Ich weiß nicht wer von uns beyden die erste Idee gehabt hat einen

14
Geistl. aus Schwaben zu spielen.

15
Ich bin wieder auf meinen alten Fleck, liebster Gevatter, Landsmann u

16
Freund! Wenn ich nur nach Berlin kommen könnte so käm ich als ein

17
50jähriger Apostel nach W. zu Fuß. Aber
hic Rhodus, hic salta.
Ich habe schon mehr

18
als einen Versuch gemacht mit
Rabelais Extra
Post statt D. Faustens Mantel.

19
Sie wißen die Historie mit dem Ratzenpulver. Was meynen Sie zu dem

20
Meteor der Gerechtigkeit auf unserm Horizont? Wollte Gott daß es ein Stern

21
würde für Ihren Magum aus Norden.

22
Ich lebe hier im Fegfeuer. Meine ganze Maschiene ist verrostet, alles gl.

23
einem zerstoßnen Rohr und glimmenden Tocht. Bewegung und Zerstreuung

24
daher noch nöthiger als damals bey meiner Wallfahrt nach Frankf. am Mayn.

25
Wie meine Gesundheit: so ist meine ganze äußerl. Verfaßung. Aus

26
Neigung hab ich mein Vaterland niemals geliebt, aber je länger je mehr aus

27
Mitleiden. Wer nicht wagt, komt nicht nach W.

28
Kurz, ich komme Ihnen, liebster einziger Herder, mit Vorschlägen

29
zuvor und frage um Ihren Rath wegen neuer Sammlung meiner

30
gallicanischen Sottisen
. Ich habe am heil. Abend unter Angstschweiß die

31
Essays à la Mosaique
gelesen. Sie sind ein wahrer Miststall aber in diesem

32
sterquilinio
liegen noch immer manche unerkannte Körner die bey der

33
gegenwärtigen Gährung vielleicht beßer verstanden und gefaßt werden

34
könnten.

35
Unter dem alten Titel:
Essays
à la
Mosaique
würden die
Lettre

36
neologique et provinciale
2. die
Glose Philippique
3. die
Lettres d’un Sauvage du

37
Nord
und die
Cochenille de Pologne
nebst meinen 2
Pastoral
Briefen an die

S. 151
Gen. Adm.
und vielleicht einigen andern
Extra
i
ts
auch
Quintus
Icilius

2
Antwort etwas zusammenhängendes und zugl. gedrungenes.

3
Von der
Cochenille
hab ich kein Exemplar selbst, würde aber wol noch eins

4
vom Verleger Hartknoch auftreiben können. Ich glaube daß Sie alle diese

5
Blätter vermuthlich haben. Die alten
Essays à la Mosaique
müsten ziemlich

6
umgearbeitet werden. Darf ich Ihnen wohl bey einer recht kalten und

7
müßigen Abend- und Morgenstunde zumuthen diese Blätter zu lesen; was

8
ausgelaßen
und
deutlicher ausgeführt
werden müste ein wenig auf einen Zedel

9
anzumerken in bloßen Winken und Fingerzeigen, mir Ihre Meynung über

10
den Eindruck und Gehalt des Ganzen zu berichten und wo mögl. und so viel

11
Sie können ohne Sich selbst dabey auszusetzen mit Ihrem Rath zur

12
Ausführung an die Hand zu gehen. Von der franz. Hälfte des
Msts.
habe keine Zeile

13
mehr, kann mich auch auf den Innhalt noch Werth besinnen, weiß daher gar

14
nicht, ob es Ihnen anständig und Ihrer würdig ist auch mit eingerückt zu

15
werden. Daß es beym Layenbruder im
Depot,
ich weiß nicht mehr durch welchen

16
Circul von Schwärmerey, gekommen ist Ihnen bekannt. Ich habe den Gräuel

17
der Verwüstung in Pr. von 67. vom 25
May
da sich just das Finanzjahr

18
anfängt bis zum Geburtstag des Königs 77, da meine letzte Bestallung

19
ankam, angesehen. Durch ein besonder Schicksal hab ich nicht mehr dem Könige

20
als ein einzigmal wie Cammer Canzellist geschworen u bin immer übersehen

21
worden bey der
Regie
– vielleicht das einzige Exempel. Kurz an Zeichen u

22
Wundern hat es nicht gefehlt –
Das
Billet
mit dem
ich des Abts
Coyers

23
Inoculation du bon sens
erhielt steht in der Vorrede der Kreuzzüge. Der

24
Streich kommt
vom ältesten von Witten meinem
ungerathnen Zügling

25
her, der nicht einmal die Achtsamkeit hatte den Wisch zu
franqui
ren – der bey

26
seiner Rückkunft von der österreichischen Armee in unserm Hause für lieb

27
nahm, mir aber nicht die geringste Gefälligkeit bey meinem traurigen

28
Aufenthalt in Mitau bewiesen – und jetzt zum Bettler geworden seyn soll, samt

29
seinem Bruder. Von meinem ersten Zügling dem Baron v Budberg höre

30
desto mehr gutes. Seine Beschreibung des Schlangenbads habe noch nicht

31
können zu sehen bekommen.

32
Hartknoch wird mit seiner Frau auf Ostern erwartet. Sorgen Sie ja für

33
Ihr Päckchen daß es nicht verloren geht. Sollte es noch hier
ankommen;
so

34
gebe sogl. Nachricht davon. Dem
Wezel
habe vor Beschluß des Jahrs

35
geantwortet; so wenig ich auch im stande war zu schreiben. Von
Asmus
keine

36
Sylbe, habe ein paar Zeilen vorgestern beym Aufstehen geschrieben nach einer

37
sehr unruhigen u schlaflosen Nacht, die was seltenes bey mir ist. Bin ich erst

S. 152
in Berl. so gilt es eine Wette, wer eher zum
Rendezvous
komt, ich zu Fuß

2
oder der Herr
ExLandCommissair
mit
Extra.

3
Ich glaube daß ich Ihnen Abschriften von meiner
Corresp.
mit der
Gen.

4
Adm.
mitgetheilt. Meine Einbildungskraft ist bisweilen so stumpf und

5
bisweilen so lebhaft, daß ich beynahe auf alles gesunde Urtheil u
sensum

6
communem
Verzicht thun muß. Eins von meinen ebentheuerlichsten Wagstücken

7
hatte das Hirngespinst zum Grunde Kindelbier in Bückeburg halten zu

8
können. Daher ist eins von meinen
Lieblings
Motto
aus den letzten Worten

9
Davids:
All mein Heil und Thun ist, daß nichts wächst
. Ich schrieb es für

10
Mendelson auf, der nicht mehr davon verstund als ich. Hat er Ihnen schon

11
geantwortet? Mir geht es oft wie den lieben Nonnen und Layen des Pabstums

12
beym Psalter, wie Luther sagt, von dem treflichen edlen Geruch deßelben, bey

13
dem man auch aus den unbekannten Worten Andacht u Kraft empfindt und

14
das Büchlein darum lieb hat.


15
Den 3 –

16
Kein Gottespfenning sondern Hexengeld wars! Es soll mir kein alt Weib

17
mehr kommen am Neuenjahrstag unter der Vesper! Ich bin ein rechter

18
Einfaltspinsel, den jedes Kind hinters Licht zu führen im stande ist; daher mir

19
der Angstschweiß schon bey jedem Dinge, was zum Handel und Wandel

20
gehört ausbricht.
Abeat cum ceteris erroribus!!!

21
Prof. †feld hat mir gestern die Unterlage meines Kopfküßens

22
mitgenommen. Ich muß Ihnen noch ein naives Urtheil eines vertrauten Freundes

23
mittheilen, der am ersten Ihren
Maran Atha
gelesen mit vielem Geschmack, der

24
mir aber aufrichtig bekante daß die Apokalypsis selbst dadurch in seinen Augen

25
von ihrem Werth verloren hätte; weil ein so lang erfülltes Buch ihn jetzt

26
weniger
interessi
rte als eine Erwartung noch bevorstehender Erfüllungen.

27
Ich denk Göttingen liegt zieml. nahe, daher ich Sie beschwere Beyl. zu

28
besorgen nach Beqvemlichkeit. Kypkens
⸂an deßen Stelle ein
M.
Dietrichs aus

29
G.⸃
Katalog soll Ihnen werden; u an Dachs Portrait auch gedacht werden.

30
Ich bin so tief in Ihrer Schuld
u
so unvermögend, so ungeschickt, so

31
unglücklich in
retours
– daß ich ohne Schaam u Aergernis nicht dran denken kann. In

32
dieser Verlegenheit meiner Gesinnungen seh ich es als eine Entweyhung an

33
zu schreiben: desto inniger huldige ich dem Ideal meiner Verehrungswürdigen

34
Gevatterin. Gott seegne Ihr ganzes Haus!!! Verzeyhen Sie mein

35
apokalyptisch-apokryphisch Geschmier. Ich umarme Sie und ersterbe Ihr alter treuer

36
verpflichteter

37
Johann Georg.


S. 153
Vergeßen Sie nicht für das Päckchen zu sorgen daß es nicht verloren geht.

2
Werde keine Ruhe haben biß ich sein Schicksal weiß.


3
Adresse:

4
HErrn / HErrn
Herder
/ General-Superintendenten / ppp / zu /

5
Weimar
/
franco Halle.

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 190–192.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 110–116.

ZH IV 145–153, Nr. 574.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
146/27
thäte
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
thäte.
147/1
Apokalypsen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Apokalypse
147/21
Vorsehung
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Vorsehung,
147/31
Menschensohn
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
MenschenSohn
148/3
Feuerflammen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Feuerflammen.
148/28
b
gekommen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
gekommen
148/30
ich
die
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
die
148/36
sollte,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
sollte
149/8
Gebieth
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Gebieth.
149/31
j
Ja
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Ja
150/3
Döhrk
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Dörck
150/6
W
annowius
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Wannowius
151/1
Icilius
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Icilius’
151/33
ankommen;
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ankommen,
152/8
Lieblings
Motto
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Lieblings
motto
152/28
–29
⸂an […] aus G.⸃]
Geändert nach der Handschrift: über der Zeile eingefügt; ZH:
(an deßen Stelle ein
M.
Dietrichs aus G.)
152/30
u
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
u.