573
135/31
Kgsb. den 3 Adv. 79.

32
Herzlich geliebtester Gevatter, Landsmann u Freund,

33
Der Tag schien nicht mehr für meine Augen, und Licht anzuzünden war es

34
zu früh. Machte also aus der Noth eine Tugend und sung ein Liedchen, indem

S. 136
ich mit meinen 3 Kindern herum spazierte. Eben bey dem letzten Verse

2
Ich steig hinauf zu Dir im Glauben

3
kam mir meine Magd Anna Euphrosyne Gigantin mit einem Briefe, auf dem

4
ich sogleich Ihre liebe Hand erkannte: Und da wurde gleich nach Licht! und

5
Licht! geschrien, daß es im ganzen Hause
scholl
. Marianchen erfreute mich am

6
Tage Jonathan den 27.
Nov.
am heil. Abend des 1. Adv. mit ihrem ersten

7
Zahn, hat aber an der heutigen Freude wenig Antheil nehmen können,

8
vermuthlich wegen neuer Arbeit, die Gott auch überstehen helfen wird. Gott Lob! daß in

9
Ihrem Hause alles nach Wunsch wider geht; denn unruhig bin ich doch ein

10
wenig gewesen wegen der Nachwehen bey gar zu glücklichen Entbindungen, die

11
bisweilen zu sicher machen. Der
Himmel auf Erden
ist häusliche

12
Glückseeligkeit, bleibt aber immer
ecclesia pressa,
kaum ein tausendjähriges Reich,

13
als im geistlichen Verstande.

14
Nächst dem bin ich noch wegen zweyer
Vorfälle gewesen in Unruhe gewesen
und

15
in Sorgen Ihrenthalben. Erstl. wegen Ihrer vorigen Einlagen, von der ich

16
die eine nach Riga sehr sicher glaubte anvertraut zu haben an Hartkn.

17
Schwager. Da ich wegen eines sehr verdrüßl. Umstandes mit dem jungen

18
Berens, Karl’s Sohne, deßen Ankunft ich Ihnen wo nicht irre gemeldt und

19
mir sehr verekelt worden, an Hartkn. zu schreiben hatte, erkundigt ich mich

20
an jenen Brief und einen andern, der durch Berens nebst einem Exempl.

21
des Konxomp. für Arndt bestellt worden war. Er wuste von beyden nichts, u

22
gab mir zugl. seinen Verdacht in Ansehung des Schwagers zu verstehen,

23
dem keine Briefe anzuvertrauen wären, weil er bereits Proben von seiner

24
Gleichgiltigkeit gehabt hätte. Ohngeachtet ich im Grunde unschuldig war: so

25
machte ich mir doch die bittersten Vorwürfe, und klagte über mein Schicksal,

26
das mir nicht einmal erlaubte in solchen kleinen Angelegenheiten nach Wunsch

27
gefällig zu seyn ohne einen Bock zu schießen.

28
Bei dieser Gelegenheit schoß es mir aufs Herz daß ich noch keine Antwort

29
aus Morungen erhalten und ob ich gleich unmittelbar diesen Brief

30
abgefertigt, war ich doch in der grösten Furcht, weil ich den Tag nicht selbst hatte

31
ausgehen und den Brief eigenhändig auf die Post liefern können. Schrieb daher

32
an Ihre Frau Schwester, die mir zwar auf mein inständiges Ersuchen sogl.

33
den Empfang bescheinigte, aber zugleich die traurigste Nachricht von Ihrer

34
gegenwärtigen Lage an der ich zu viel Antheil nehme um nicht darüber mit

35
Ihnen zu Rath zu gehen, besonders da es scheint, daß Sie Ihr Gewißen in

36
Ansehung einer Ehscheidung gebunden haben. Ungeachtet aller
meiner

37
römischen Denkungsart über das Sacrament der heil. Ehe
, denk

S. 137
ich doch die Wohlthat der christl. u bürgerl. Freyheit einer armen Frau

2
einräumen zu können, die ihres Lebens nicht sicher ist „bei einem so unbändigen

3
Mann, der mit einem halben Brandwein den Tag nicht auskommt und mit

4
der Axt Schaffe entzwey haut um seinen mordbrennerischen Durst zu stillen“.

5
Das eine mal, da ich Sie hier gesehen, lobte sie noch ihren Mann bey aller

6
seiner Wildheit, daß er auch im vollsten Muth noch Achtsamkeit für
s
Sie

7
hätte; aber nun scheint dieser letzte Funke von Vernunft auch in ihm

8
ausgelöscht zu seyn. Sie hat mir also aufgetragen Ihr bisheriges Stillschweigen zu

9
entschuldigen und haben Sie
die Liebe Sie davon zu versichern, und Ihr

10
Gewißen wo möglich zu erleichtern
oder Ihr mit Rath und Trost

11
beyzuspringen.

12
Meine herzl. Freude einen Sohn von Karl Berens hier zu haben ist auch zu

13
Waßer geworden. Der junge Mensch war sehr nach meinem Geschmack bis

14
auf einen einzigen Fehler, der mich immer aufmerksam machte,
das

15
schändliche Lügen
. Er klagte mir im Kenkelschen Hause zu eingeschränkt zu seyn und

16
ich machte Plane ihm Luft zu schaffen und seine
Principal
en so wol als

17
Umstände zu untersuchen. Mit diesem Faden von Ideen komm ich zum
Compagnon

18
Bruinvisch, der eben so vor Verlangen brennt mich zu sprechen, mir die

19
traurigste Beschreibung von des jungen Menschen Gemüths- u

20
LeibesBeschaffenheit macht, daß er fast alle Nacht einen Anfall von Epilepsie bekäme u an den

21
Vater schon entschloßen wäre die Unmöglichkeit mit diesem Lehrburschen

22
fortzukommen zu melden. Zu gleicher Zeit meldte er mir auch von einer

23
Schrift die sich lange auf seiner Stube herum triebe und mich zum Verfaßer

24
haben müste, weil ich Anmerkungen dabey geschrieben, mit dem Wink, daß

25
dergl. Blätter nicht für so einen halb gestörten Kopf zuträglich seyn könnten.

26
Ich konnte mich auf nichts besinnen,
als
daß ich ihm vor vielen Wochen einen

27
Brief an Hartknoch nebst Einschluß an Arndt
übergeben
, der mir immer sein

28
Petersb.
Journal
treu überschickt ohn daß ich ihm seit 2 Jahr dafür einmal

29
gedankt habe. Ich hielt dem jungen Menschen in Gegenwart seines
Principal
s vor

30
ob er den Brief hatte abgehen laßen, zu deßen Bestellung er sich selbst erboten

31
hatte weil er so wol als sein
Comptoir
mit jedem Fuhrmann Bestellungen

32
hätten. Er behauptet steif ja! und ich schreib an Hartknoch, der mir antwortet

33
nichts erhalten zu haben. Der junge Mensch bleibt beym Lügen, ich treib die

34
Sache in Gegenwart seines
Principal
s aufs höchste, um ein Augenzeuge des

35
vorgebl.
Paroxysmus
zu seyn. Statt des
epilepti
schen Zufalls finde ich nichts

36
als einen
ungezogenen Knaben
, der sich booset – und viel
Talent
eines

37
Acteurs
verräth. Nach einigen Theater
Rotomonta
den erhalt ich das

S. 138
Exemplar meiner Sibylle. Hiebey ist noch zu merken, daß
D. Bruinvisch
der die

2
epileptischen Zufälle des Lügners bescheinigt hatte, eben der
D.
Tütenhüt ist

3
in Etwas zum Bollingbroke u Hervey. Dies war der Anlaß zum Briefwechsel

4
mit Hartknoch, der noch durch einen Umstand für mich merkwürdig wurde.

5
An einem Sonnabend lese ich Lenzens Aufsätze mit recht vieler Sympathie

6
für den Verf. von dem man hier sagte, daß er durch eine falsche Behandlung

7
mit
bey
Schloßer gantz
incurable
geworden wäre. Den Dienstag drauf macht mir

8
Hartkn. in seinem Briefe ein
Compliment
von ihm u beschreibt ihn als einen

9
bescheidenen liebenswürdigen Jüngling, deßen Vater
Gen. Superint.
in

10
Liefl. wäre. Ich habe auch schon einen Brief von ihm selbst erhalten, aus dem

11
ich aber vermuthe daß er an seinen Fähigkeiten des Geistes gelitten auch diese

12
Schwäche selbst erkennt. Melden Sie mir doch, ob er zu Ihrer Zeit in W.

13
gewesen und Ihr Urtheil von ihm und seinem Character.

14
Hier fällt mir noch ein tummer Streich ein, den ich Kanter zu Gefallen

15
begangen. Er besucht mich bey einer sehr elenden Witterung wo ich nicht irre am

16
Geburtstag meiner mittelsten Tochter oder Marianchens. Klagt daß Krichton

17
der den gelehrten Articul bisher übernommen ihm aufgesagt mit dem neuen

18
Jahr; bittet mich daher an Wetzel zu schreiben u ihm 200 rthl nebst freyer

19
Station bey sich oder dort die Hälfte anzubiethen falls er die Zeitungen

20
übernehmen wollte, wie Ebeling vor einigen Jahren. Ich schrieb (Sie können

21
leicht denken wie?). Lieber wär’s mir doch wenn der Brief nicht abgegangen,

22
wie ich auch fast vermuthe; denn es geht hier zu Ende.

23
Oncle George
sollte schon diesen Monath seinen ungerathnen
Neveu

24
abholen
kommen;
seine Anherkunft bleibt aber bis auf künftigen
Febr.

25
ausgesezt. Von
Me Courtan,
Hartkn. u
Rapp.
Schwägerin, meiner

26
Vice-
Gevatterin erhielt endl. Nachricht und ein schriftl.
Billet
des letztern, gemäß

27
welchem Ihre Einl. nicht verloren gegangen sondern liegen geblieben u erst

28
mit meinem Briefe an Hartkn. an einem u demselben Posttage befördert

29
worden, worauf noch keine Antwort erhalten aber aus H. Stillschweigen

30
schließen kann, daß alles nunmehr in Ordnung seyn wird. Sie können, bester

31
Gevatter! versichert seyn, daß ich dem ungewißenhaften
Banco-Dir.
keine

32
Einl. mehr anvertrauen, sondern die Ihrigen unmittelbar befördern werde.

33
Ihr
Maran Atha
liegt Tag und Nacht fast immer unter meinem

34
Kopfküßen. Ich habe ihn zum zweyten mal durchgelesen und seinethalben den

35
Josephum
vorgenommen, von dem heut das 10te Buch seiner Alterthümer

36
geendigt; weil ich endl. nach langem Warten ein Exempl. aus des seel. Kypke

37
Bibl. bekommen und
vorigen Freytag
die
Havercam
sche
Ausgabe von

S. 139
Graf. Kayserlingk erhalten, dem ich gern den ersten Theil sobald mögl.

2
zurück geben möchte um den andern desto länger nutzen zu können. Für den

3
Aufschluß über den Hyppol. danke recht sehr, denn ich hatte lange darnach

4
suchen können. Vom
Resultat
meiner Arbeit werde Ihnen bester Gevatter!

5
zu seiner Zeit Rechenschaft geben.

6
Was Sie mir vom Gr. G. melden schein ich so ziemlich aus seiner Seele

7
gelesen zu haben. Er war
Ursache
daß ich das
Universum
an K. lehnen muste

8
und man hatte es wider verlehnt an einen Ort, wo ich ins zweyte Jahr ein

9
Buch durch Hippel ausgethan. Ich drung daher mit etwas Ungestüm auf

10
Auslieferung, die
vorigen Freytag
mit Wucher geschah. Unter andern

11
Gründen war, daß ich dies Buch als einen noch
unbeantworteten
Brief und als

12
ein
doppeltes
Andenken von
Ihnen
u dem
Verf
. ansehen müste. Es fehlte

13
mir auch zur Arbeit an meinen Blättern von 777 die ich wider vorgenommen

14
hatte und noch nicht aufgeben kann ohngeachtet des
Zwischenspiels
von

15
Josepho,
den ich gegenwärtig zu Ende bringen muß.

16
Wie ich den Brydone im Engl. las, bekam ich
falsche Wehen
etwas über

17
das Univers. zu sagen auf seinem feuerspeyenden Berge, statt einer Kanzel.

18
Nun fallen mir die
Pudenda
als das
einzige Band
zwischen
Schöpfung
u

19
Schöpfer
ein. Der Titul bleibt:
ער וענה
(Malach
II.
12)

20
Schürze von Feigenblättern.

21
Ein Brief an Wiel. 2. an Büsching u 3. Voß.
I.
Theil: Nachhelf eines

22
Vocativs ist fertig seit Jänner 777 und bezieht sich gantz auf des Asmus

23
Nachtwächter
.

24
Der
II.
Charfreytagsbuß für Capuciner = ist angezapft

25
III.
Die Brücke ohne Lehne – ist eine unbekante Größe für mich.

26
Die ganze Idee entstand aus dem Misverständniße, daß ich mir jetzt kaum

27
selbst vergeben kann, in Ansehung der Auflösung über die Aufgabe der

28
Luciane u Platoniker im T M. für deren Verf. ich Sie hielt und eben so gieng es

29
mir mit dem Gideon über die Schwärmerey: da Stoltz dafür erkannt wird u

30
ein Mitarbeiter des
Χ
stl. Mag. ist: so will ich mich durch Pf. nächstens eine

31
Sinneserklärung über die Brücke von ihm ausbitten.   Pathchen Marianchen

32
winselt sehr – Gute Nacht!


33
Den 13
X
br.

34
Mit Marianchen ist es weder beßer noch schlechter, hoffe mit
Gott
daß alles

35
gut gehen wird – daß ich also zeither an den Statthalter
nolens volens

36
gedacht, haben Sie liebster Gevatter! gesehen. Mein ernster Wille ist es auch

37
niemanden einen Dank schuldig zu bleiben, er mag so lang währen und so schlecht

S. 140
gerathen wie er wolle. Das Publicum hat seiner Schrift alles mögl. Recht

2
widerfahren
laßen
. Eher zu viel als zu wenig Lob; weil Ansehen der Person

3
doch immer Einflus auf unsere Urtheile hat. Chymie scheint sein Steckenpferd zu

4
seyn bis auf Bunians Reise. Sollte ich mit meinen Blättern fertig werden: so

5
würde ich mir die Freyheit nehmen und vielleicht vor Freuden einen Brief an

6
Ihn ausschütten können. Allenfalls bitte mir wegen der
Curiali
en zum voraus

7
zu melden. Ich erinnere mich das Beywort Erl. gelesen zu haben.

8
Mosers Heyrath hat mich herzlich gefreut. Ich wünsch Ihm tausend Guts.

9
Von den beyden vornehmen
Passagi
ers ist hier nichts zu hören. Unter

10
einpaßirten Fremden von 27
Nov
– 1
huj.
fand ich einen engl.
Cavali
er HE von

11
Bentham nebst seinen Sekretair Bickel. Bey diesen Namen fühlte ich eine

12
Unruhe und ich vermuthe sie erst bey ihrer Rückreise zu
attrapi
ren; denn das

13
klügste ist wohl das strengste
Incognito
auf dem Hinwege zu beobachten. Ich

14
werde mit aller mögl.
Discretion
lauren: weil mir gar zu viel daran
gelegen

15
Aber noch mehr liebster bester Gevatter! Ihnen zu melden, daß ich von Ihren

16
mir zugedachten
muneribus
nicht einen Buchstaben erhalten, ohngeachtet ich

17
wenigstens Ihr Gesangbuch zum Advent u Heil. Christ einzuweyhen

18
gewünscht; ich würde
ohn
untröstbar seyn wenn
Georgi
für Sie u mich

19
verloren gehen sollte, denn hier läg er im treuen
Depot.
Ohngeachtet ich im

20
Hartungschen Buchladen nichts zu thun habe u mir fast vorgesetzt in diesem Jahr

21
nicht weiter als nach meiner Loge zu gehen, will ich doch selbst bey Hartung

22
anzusprechen suchen der sehr krank liegen soll. Erkundigen Sie sich doch auch

23
gleich darnach; vielleicht ist es in Hartkn. Pack gerathen. Sorgen Sie doch bey

24
Zeiten, zu erfahren wo das Pack hingekommen.

25
Auch vom Asmus weder eine Zeile noch seine Uebersetzung des
Ramsay.

26
Von Pf. 2 Briefe mit der
leeren
addresse
von der Fortsetzung seines

27
Magazins. Kleukers Uebersetzung von Plato ist auch in Leipz. liegen geblieben,

28
Benzlers Brief aber in den Kanterschen Buchladen eingelaufen. Kurz es ist ein

29
Elend hier und die Buchbinder gehen auch drüber zu Grunde. An statt daß

30
Hart. den Ausfall des Kanters nützen sollte, fehlt das neueste im
Katalog

31
so wohl als im
Laden
, weil nur immer ein paar Exempl. von jeden da seyn

32
müßen. Ich muß meine Neugierde wie verdorbene Kaufleute mit fremden

33
Credit oder Capitalien befriedigen. Des
Notarii publ.
Hinz Schicksal scheint

34
sich auch zu entwickeln, weil er eine Hofmeisterstelle in Curl. antreten wird.

35
Also bleibt mir niemand als der kranke Hartk. übrig, dem ich mehr schon

36
Verbindlichkeiten schuldig bin, als ich ihm zuzumuthen oder zu erwiedern im

37
stande bin.

S. 141
Bey der Nachricht die er mir von Lenz gab beklagte er, daß er ungeachtet

2
seiner Verdienste dort unbrauchbar seyn würde. Unter allerhand wilden

3
Einfällen erklärte ich den Hartkn. zu meinem Verleger u seinen jungen Freund

4
zum Sammler u Herausgeber meiner
Operum omnium.
Lenz bedankte sich im

5
Ernst für meinen Scherz und Hartk. that mir noch einen umfänglichern

6
Vorschlag. Worinn der Ihre besteht, ist mir noch ein größer Räthsel als jener

7
Episcopus portus romani.
Will Hartkn. Verleger seyn:
fiat!
Sind Sie nicht

8
der Prälat im lezten Qvartal des T. M. bey Gelegenheit des Schlözerschen

9
Briefwechsels. Der Laye gegen Bahrdt ist ohnstreitig Wiel. selbst. Ich

10
verlange nach seinen Gedanken über Vernunft u Schrift. Vorige Woche habe

11
die allg. d. Bibliothek gelesen. Was sagen Sie zum Streit des Nicolai u

12
Wiel.? für mich ist es ein sehr
interessant
es Meteor! Daß Sie daran gar nicht

13
gedacht haben, wundert mich. Wer ist der neueste M. W. über das Genie?

14
Er that mir sehr gut auf den kindischen Briefwechsel über die neueste

15
Orthographie. Ist denn
Spitzbart
nicht auszukundschaften. Ich halte den Verfaßer

16
der physiognomischen Reisen für eben den M.
Hase
der in Curl. mein Nachbar

17
u guter Freund war.

18
Wie
heist
denn Ihr Freund und Nachbar, der Stiftsprediger? Ich finde ihn

19
hinten u vorn aber nirgends seinen Namen, ohne den ich mir keine Person

20
recht vorstellen kann. Ihren Gruß an †feld werde bestellen so bald er zu mir

21
kommen wird, vielleicht heute, auch Ihre Dachsche Wünsche nicht vergeßen.

22
Weder den Oberhofpr. noch meinen Beichtvater habe seit langer Zeit besucht,

23
und ich entferne mich je mehr u. mehr vom Umgange. Keine Hofnung zum

24
Mst
der
leßingschen
Gespräche?

25
Erlauben Sie mir eine Probe Ihnen meiner Handschrift mitzutheilen, ob

26
Sie es der Mühe werth finden, daß ich mich damit zu Ende qväle.


27
I.

28
Daß alle drey Gratien Deines lucianischen Aeons zu eben so viel

29
kaltblütigen Furien – und die 777 meines andern tausendjährigen Reichs dich krauen,

30
kützeln und kämmen mögen – fernige Schaafwolle – heurige

31
Schweinsborsten – aber noch kein gutes Haar!

32
Kennst weiter kein Ideal der Menschheit als den „schwachköpfigen,

33
hasenherzigen, schleichenden, listigen, eigennützigen, frostigen, selbstischen

34
Bonifacius
Σεαυτον εν Σεαυτῳ
, ohne ein Jota noch Deut zu verstehen, wie

35
demjenigen zu Muthe sey, deßen
Pudenda
lebendige Glieder sind, die nach ihrer

S. 142
Auflösung und Verklärung schmachten –
Von Seinen Lenden über sich

2
und unter sich sah ich’s wie Feuer glänzen um und um

3
Siehe da! eine Hand gegen Dir ausgereckt, mit einem zusammengelegten

4
Briefe, den breite aus vor Dir. Auswendig und inwendig steht darinn

5
geschrieben W! W! W! Iß es in Deinen Leib und fülle Deinen Bauch damit

6
Und brumme wie ein wilder Bär

7
Wenn er vom Honigbaum kommt her.


8
II.

9
Ew. Hochwürden geruhen immerhin in Ihren wöchentl. Nachrichten
1)

10
mich einen ungelehrten und übelgesinnten Saalbader zu schelten, wenn Sie

11
nur so freygebig seyn wollen Dero erheblichem Magazin nächstens die
Fastos

12
oder dasjenige
Αυτογραφον
einzuverleiben, worinn der Name des ägyptischen

13
Ordens- und Glaubens Bruders geschrieben steht. Ich mag Ihrem

14
allotrioepiskopolypragmatischen Eifer mit Zeit und Ort
in mundo hoc spectabili

15
et seculo currente
zu wuchern keinen weiteren Eingriff thun, um mich zu

16
rechtfertigen, warum ich kein
nomen proprium
eines Psevdocophten und

17
Zigeuners
2)
, sondern dafür lieber zwey heilige Worte des letzten Propheten
3)

18
minorum gentium
εν
εδαφῳ
S – S –
4)
der Sprache Kanaans dem Nachhelfe

19
eines Vomitivs vorgesetzt habe. Die langen Noten u
allegata Heph. Theb.

20
betreffend laße aus.


21
III.

22
Ey! Ey! lieber Herr – Sie haben dies Jahr vergeßen mir Ihre poetische

23
Blumenlese zu opfern und ich voriges Jahr, Ihnen dafür zu danken. Wir sind

24
also mit einander qvit –
salvo errore calculi et pudore nominis mei.

25
Reineke Schwarz.


26
Den 24 Jänner 777.

27
Diese Jahrzahl 777 muß auch auf dem Titul kommen, gesetzt daß
selbige

28
ich auch erst 80 fertig werden sollte.

29
Nachhelf eines Vocativs.

30
Unter allen Watrachomyogigantologomachieen und komischen

31
Erzählungen ist keine so kurz und gut und züchtig gerathen als der poßierliche

32
Wortkrieg des Nachtwächters und Bürgermeisters in dem
Göttinger

33
Musen
allmanach für dieses Jahr S. 151.

34
Der Wächter hatte, wie ein kaltblütiger Philosoph, die Kraft seines

S. 143
neutralen Horns bis auf den zehntausendsten Theil eines Fliegenhauchs, und die

2
harmoniam praestabilitam
seines Methodus zum
orificio
bis auf die kleinste

3
Fragmente aufgelöset, daß er sagen konnte:

4
Der
Glock reimt nicht zu meinem Horn

5
Drum will ich
das
Glock halten.

6
Des wortführenden Bürgermeisters reine, harmlose, unparteyische

7
Absicht Wißenschaft und Kunst zu schützen, das Schwert kritischer Gerechtigkeit

8
im Namen seiner guten Stadt und des hochweisen Raths für die Ehre des

9
Gen’ris masculum
in dem weiten Umfange der teutschen Sprache zu

10
handhaben, giebt seiner Brunst über das verhunzte Genus eine so feyerliche

11
Wichtigkeit, daß es kaum möglich ist das doppelte Misverständnis und öffentliche

12
Aergernis über die etymologische
Pudenda
einer Glocke schaamhafter und

13
lächerlicher zu besingen.

14
Hätte der Heldendichter
in nuce
nur
hinten
seinen römischen Dactylum und

15
in der
Mitte
(medio ne discrepet imum)
Wipp’s symbolischen Namen

16
verschweigen können, wie er die Enthaltsamkeit gehabt die Namen des
Orts

17
und dasiger streitenden Parteyen – kurz, wenn er alle Personalitäten oder

18
nomina propria
als stumme Sünden unterdrückt hätte: so wäre sein Werk

19
das vollkommenste
Chef d’oeuvre d’un Inconnu
für die außerordentl.

20
Vorlesungen des jüngsten Meister Mathanasius und seiner gelehrten Zeigefinger –

21
Jedoch ich eile zu einer eben so wichtigen als verwickelten Frage: Wird

22
durch die Bemühungen kaltblütiger Philosophen u lucianischer Geister für

23
und wieder das, was man schöne Wörter und bekannte Oerter nennt, Mehr

24
oder Weniger gestiftet?
p p p p

25
Ohe iam satis est!
Kommt Ihnen, liebster Gevatter! nicht alles wie

26
Seilentänzerey und Gaukelspiel vor? Alle Anspielungen in diesem ersten

27
Abschnitt beziehen sich auf den Aug. u Sept. des T. M. 776.

28
Es geht mir eben wie Ihnen mit den
Sephiroth.
Auffallend ist es doch

29
immer daß unsere erste
Erkentnis
des Guten u Bösen sich auf die
Pudenda

30
bezog; daß im 9 von Adam selbige zu einem Fluch u Seegen über ⅔ u ⅓ des

31
neuen Menschengeschlechts Anlaß geben; daß im 9ten von Noah das Zeichen

32
eines göttl. Bundes an eben dem Orte geschah. Diese allgemeine Formel

33
scheint mir wirklich ein gnostischer Schlüßel der gegenwärtig herrschenden

34
Streitfragen zu seyn, theils selbige öffentlich Schau zu tragen, theils selbige

35
durch eine
Popula
rität aufzulösen, die unsers
argen und ehebrecherischen

36
Geschlechts
würdig ist,

37
Qui Curios simulant et Bacchanalia viuunt.

S. 144
Die Untersuchung und Behandlung dieser
Tiefen
ist aber wirklich eine

2
Brücke ohne Lehne für meinen schwindlichen Kopf – und ob ich jenseits

3
kommen werde, weiß ich nicht.

4
Mein armes Marianchen stöhnt u wimmert, hat keinen Schlaf heute in den

5
Augen gehabt. – Ich bin heute den ganzen Tag zu Hause geblieben, habe ein

6
wenig
medicini
rt, und meinen
Josephum
kaum ansehen können, doch mit

7
Hänschen 2 Kap. aus dem Matthäus, eins aus den
Historiis selectis
u einen

8
§. in
Ernesti Initiis exponi
rt auch den
Phaedo
im
Plato
angefangen.

9
Schreiben Sie doch bald an Ihre arme Schwester und geben mir ein Wink

10
über Ihre Gesinnungen.

11
Der Gräfin Kayserlingk werde die Veranlaßung Ihres Salamalecs

12
mitzutheilen suchen.
So
Je saurer mir auch der Umgang wird: desto

13
wohlthätiger. Sie hat Ihren
Maran Atha
auch auf 24 Stunden
en depot
gehabt

14
und es war ihr nicht lieb, daß ich auf
ponctuelle
Widergabe bestand. Ich

15
versprach ihr auf längere Zeit ein ander Exemplar, das ich vielleicht meinem

16
Beichtvater zugedacht habe, dem ich auch mit den Brüdern Jesu ein Andenken

17
machen müßen. Die Lehre des Gesetzes habe mit viel Zufriedenheit gelesen;

18
aber nach dem Buche vom Glauben bisher umsonst gesucht; von beyden auch

19
die frostige u tückische Recension in der Allg. d. Bibl. gelesen. Daß Ihre

20
Schrift vom Erkennen u Empfinden noch nicht beurtheilt ist, wundert mich.

21
Meiner Abigail weist man die Thür; das war für die Feigen. Was Ihnen

22
Mendelssohn antworten wird, bin ich neugierig.

23
In Kypke Katalog wird erst mit dem Neuen Jahr gedruckt werden. †feld

24
hat die Besorgung. Ich habe mich auch nach Zusätzen seiner
Obseru.
oder

25
Mst
e erkundigt; es ist aber nichts vorhanden. Noch vorige Woche sprach

26
darüber mit †feld der nichts als ein durchschoßen N. T. gefunden hat, aus dem

27
die
Obseru.
genommen sind.
Alemberts Eloge
des
Mylord Marechal
verdient

28
auch von Ihnen angesehen zu werden wegen der kleinen philosophischen

29
Klätscherey, Koketterien u
Coyonnerien.
Ich hab es zweymal gelesen der

30
lieben Verbindungen wegen mit unserm nordischen Salomon.

31
Nun wie soll ich diesen Brief schließen, der vermuthl. nach verrichter

32
Festarbeit eintreffen wird. Gott wolle selbige im Geistl. u. Leibl. reichlich geseegnet

33
seyn
laßen.
Ihrer und der Ihrigen Wohlthäter und Vergelter seyn.

34
Empfehlen Sie mich Ihrer liebsten Hälfte mit Herz, Hand und Mund. Viel Glück

35
dem kleinen Schreibmeister zur Schule. Mein Jung kann noch gar nicht

36
schreiben in seinem 11ten; es liegt aber freylich nicht gantz an ihm. Mein ältestes

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Mädchen zeichnet sich in der Arithmetik aus, und beynahe auf ihre eigene

S. 145
Hand. Meinen kleinen gnugsamen Pathen hoff ich noch Selbst zu sehen von

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Angesicht zu Angesicht.

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Ach lieber Herr Gevatter! Unsere 12 Kinder 7 Mädchen und 5 Knaben auf

4
einer Wiese wie die hinter meinem Garten. Was für Carricaturen von Seelen

5
– und von Gedanken unter den respectiven Schlafmützen, Kopfzeugen u

6
Cornetten ihrer Eltern. Ich sinne hin u her wie ich es machen soll dies Neue

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Jahr
incognito
zu begehen. – – – –


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Den 14 des Morgens.

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Marianchen hat gegen Morgen ein wenig geschlafen. Ist wenigstens nicht

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schlechter, wenn auch nicht beßer. Will heut wider zu Haus bleiben und im

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Josepho
nachholen was gestern versäumt. Gott walte über Sie und Ihr

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ganzes Haus mit Seinen Seegen früh und spat. Amen! Eine so glückliche Kinder

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Mutter als Sie, meine verEhrungswürdige Freundin, soll weder schreiben

14
noch lesen. Ein Ablaß für uns beyde; und hiemit Gott und Immanuel

15
empfohlen. Amen! Amen!
Voller Unruh u Eil.


16
Adresse:

17
HErrn / HErrn
Herder
/ GeneralSuperintendenten / pp / zu /
Weimar
/

18
franco

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 186–189.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 106–110.

ZH IV 135–145, Nr. 573.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
136/14
Vorfälle […] gewesen]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Vorfälle in Unruhe gewesen
138/7
mit
bey
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
bey
138/24
kommen;
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
kommen:
138/37
Havercam
sche
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Havercamp
sche
139/7
Ursache
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Ursache,
139/34
Gott
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Gott,
140/14
gelegen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
gelegen.
141/24
leßingschen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Leßingschen
142/18
εδαφῳ
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
εδαφω
143/29
Erkentnis
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Erkenntnis
144/33
laßen.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
laßen,