559
88/33
Bester Hamann! Eben kommt Herr Christoph Kaufmann u sagt mir, daß,

34
da von ihm Bericht u. Rechenschaft
in puncto
der Existenz meines

S. 89
Individuums bei ihm gefordert worden, ich solle selbst auftreten um wegen meines

2
Thun u. Lassens, Seins u. Werdens bestimmt treulich u. ohne Gefährde Red

3
u Antwort zu geben. Berichte also hiemit, daß ich hier noch in der Schweiz

4
u. in Kaufmanns häuslichem Kreis lebe, u. lebenslang, wenn nicht ein sehr

5
böser Feind, da Gott für sei!! mich wegkapert, darin zu leben gedenke. Dabei

6
ist mein Wunsch u. Absicht als Mensch, nicht als Philanthropist, u. nur in so

7
fern es zur Menschheit gehört, nüzt u. frommet als Theolog, Humanist, als

8
Theilnehmer an Hausväterlichen, Landwirthlichen Geschäften, als Mitwärter

9
K. eigener u. angenommener Kinder – in meinem schwachen Maase, zu

10
existiren, unter gutem Rath u. treuem Beistand allerlei unächtes in Straßburger,

11
Lothringer u. Sächsischer Luft eingehauchtes, meine Konstituzion zieml.

12
fatal infizirendes Zeug auszuschwizen u. so für das was einem Menschen so

13
eigentlich innerlich u. überall
wohl
macht nach u. nach empfänglich zu werden.

14
Mein bisheriges Schicksal war erstl. Kaufmannschaft od. Krämerei bei

15
meinem Vater der mich von großmüthiger Prävenzion für m.

16
scientifischen Anlagen u. Kenntnisse vollgepfropften, von aller Anleitung zu sicherm

17
Gang auf dem Weg des menschl. Lebens, so in als auswendig entblösten

18
Jungen vom 15.
ten
bis ins 24.
te
Jahr zum vermeintl. dereinstigen Wohl

19
seiner 6 jüngern Kinder mit dringendem Zureden in seinem Kattun u.

20
Bäurinnenkleidungzeug-Ausschnitthandel, wider meine Inklinazion, als welche

21
immer aufs Lesen u. Schreiben u. Rechnen (noch allenfalls) gieng, vesthielt.

22
Es that in die Länge je länger je minder gut u. ich machte mit einigen mir

23
ähnlich welt- u. selbstkenntnislosen von allen Seiten – u. am meisten von

24
sich selbst Prodigien erwartenden schwindelnden Jungen philanthropinische

25
Projekte. Mir wäre es dabei wie meinen mankirten, bis dato noch in den

26
Sphären der
selbst
self conceited
esten, schwindelndsten Projektmacherei

27
flatternden Associ
é
s, gegangen, wenn nicht eine Hand mich ergriffen hätte, an der

28
ich sicht- u. unsichtbarlich geleitet durch die dünstige windichte, Ebb u. Fluth

29
ohn Unterlaß wechselnd philanthropinische Wirthschaft mit halbblauen Auge,

30
oder wenigstens mitm Leben davon kam. Mein Vater starb am Michaelistage

31
1778 an einem seiner Tribskonstituzion nach unausbleiblichen Schlagflusse.

32
Ein ehrlicher, seinen Einsichten, was man so nennt, getreuer Mann ohne

33
einige künstliche oder unkünstliche Delikatesse auf keiner Seite. Meine Mutter

34
führt den von jeher fast ganz auf ihrer Aktivität u. Loquacität allein

35
beruhenden Handel oder Kram fort. Von den 6 Geschwistern die ich habe sind das

36
3 älteste, Mädchen, die aber
we
einer mit Frucht u. Nuz verknüpften

37
Verpflanzung u. obschon in hohem Grad nöthigen Umwandelung eben so

S. 90
entwachsen u. unfähig als ungeneigt dazu sind. Zwei Knaben von 12–13 Jahren

2
u. ein noch jüngeres Mädchen sind die übrigen. Mir lag ob u. an diese letztern

3
meiner Mutter abzunehmen also gerad aus mit ihr zu theilen. Dem zu folge

4
ist die kleinste Schwester in Zürich bei ein paar stillen, guten fleissigen, treuen,

5
frommen Jungfrauen in Kost u. Zucht; der jüngere Knabe kommt zu einem

6
lieben, wackern Herzensfreunde von K. der Tag u. Nacht drob kämpft daß

7
er zum Wohl mehrerer durch ihn allein glücklich subsistirender Familien,

8
obschon mit Aufopferung seines eigenen Vortheils in allen Stücken, – Kauf- u.

9
Handelsmann sein muß: der ältere zu einem guten Freund dieses lieben

10
Edlen, nur 2 Häuser von ihm. Der Mann heißt Eberhard Gaupp in

11
Schafhausen, u. ich bin so glücklich erwarten zu dürfen daß er mit mir, statt meiner

12
u. für die vorhandene Bestimmung m. Bruder besser als ich Vaterstelle an

13
ihnen vertreten werde. So viel von meiner wenigen über alles Verdienen so

14
wie über alles Erwarten glücklichen Person.‥ Den Wohnsiz von dem ich

15
Ihnen schrieb haben wir nicht bezogen; wachende Mächte haben K. in zeiten

16
gewinkt von dem Manne sich zu trennen, der seit dem als Schurke öffentlich u.

17
bekannt worden, sonderl. durch einen der häßlichsten Bankrotte ob welchem

18
nun die Kreditoren selber einander scheuhlich in den Haaren liegen.

19
Wahrscheinlich aber ist uns ein anderer stiller, herrlicher Plaz am Bodensee bestimmt,

20
den wir bald in Besiz nehmen u. froh das Feld bauen werden davon wir alle

21
genommen sind. Uebrigens leben wir hier von aller grossen gelehrten,

22
politischen u. galanten Welt sehr isolirt, entbehren seligl. all ihre Reichthümer

23
Weisheiten u. Herrlichkeiten, fragen u. wissen auch sehr wenig was in ihr

24
vorgeht – sonst aber wenn man ein wenig den Kopf aus unserer natürlichen

25
freien Tonne, in die kunstvolle Tonne der Welt hinausstreckt so findet man

26
des Unwesens was in der ganzen Welt herrschet, auch in der Schweiz alles

27
vollauf. Zum Pröbchen, so beseufzen die HE. Schweizerkaufleute nichts so

28
sehr als daß die fatalen Amerikaner nicht sich stille gehalten, das unsanfte

29
Joch der
Merepatrie-Marâtre
fein geduldig aufgenommen haben, wodurch

30
dann der jezige Krieg der freilich die französische u. alle mit derselben

31
verbundene Handlungen in keine gute Umstände sezt, entstanden u. den guten

32
Herren manchen Profit entzogen. – – Doch was hilfts von Dingen erzählen

33
die nun nicht anders sein können, die mit dem ganzen Gange des jez.

34
Zeitalters Eins – bekannt genug u. nichts desto erfreulicher sind. Selig wen das

35
nicht anfechten darf. Leben Sie recht glücklich, bester Hamann. Mit herzlicher

36
Liebe u. Verehrung Ihr ergebenster

37
Hegi 9 Brachm. 1779.
Ehrmann.


S. 91
Inlage an Kanter
mußte
K. um seiner Brüder willen wegen bürgerlicher

2
Verhältnissen in denen sie mit Buchh. Steiner stehen durch HE Hamann zu

3
bestellen übernehmen. Nicht gerne that ers, indem er wohl fühlt wie wenig

4
solche Commissionen sonderl. wenns Leute betrifft denen man allerlei

5
unschuldige Freuden zu danken hat, angenehm u. erfreul. zu verrichten sind.

6
Bittet indes, bester Hamann, Sie möchten thun hiebei was Sie können u.

7
wenigstens des Effektuirten halber doch ja baldige Nachricht ertheilen.


8
Adresse mit rotem Lacksiegel:

9
Herrn Joh. Georg
Hamann
/ königl. Packhofsverwalter /
Königsberg
/

10
in Preußen.


11
Vermerk von Hamann:

12
Erhalten den 26
Junii
79.

13
Geantw den 7
Aug

14
Einl an HE
Dir
Kanter an HE Friedrich den 7
Julii
abgegeben.

15
Einl an die Gräfin v Kayserlingk abgegeben den 4
Sept
79.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2553 [Gildemeisters Hamanniana], I 29.

Bisherige Drucke

ZH IV 88–91, Nr. 559.