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Von fremder Hand:

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21 May 79


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Hier, bester H., sind also die Nachbleibsel, die ich zu schicken haben: Einige

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Ex. von Ihrer Sibylle (die auszusenden waren, sind ausgesandt) Ein

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Gesangbuch und der 2te Theil Volkslieder; wünsche, daß Ihnen alles

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wohlbekomme
, u. bestens behage.

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Das erste Ex. Ihrer Schrift schickte
ich
,
in großer Beklemmung und Noth

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meines Herzens. Ich hatte meinen Gottfr. aufs Pferd genommen, u. ob ich

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wohl Schritt vor Schritt fragte, ob ihn was drücke? u. er immer Nein

25
antwortete, so hatte sich doch sein Vorhäutchen zurückgeschoben, das
dur

26
nachher durch Unwißenheit u. üble Behandlung der Schlingel
und
Esel sehr

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geschwollen war. Im grösten Punkt der Noth schickte uns Gott den Profeß.

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Loder aus Jena zu, der ihm durch die leichtesten, würksamsten Mittel den

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Schwulst benahm, es endlich Mittwoch, den Tag vor Himmelfahrt, ohne alle

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Beleidigung, wie wohl nicht ohne Schmerz zurückbrachte u. uns alle aus der

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tiefsten Angst, Sorge u. Beklemmung, dergleichen wir Lebenslang nicht

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gefühlt, in unaussprechliche Frohheit u. Freude setzten. Jetzt gehts recht gut, und

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der Bube ist, wie ein Engel lustig: so wie er auch immer gesund und herzhaft,

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und selbst an seinem
membro,
(
das
die
Vorhaut
quaest.
ausgenommen) ohne die

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mindeste Inflammation geblieben. So kann aus dem kleinsten Nichts das

S. 83
fürchterlichste Kreuz u. Schreckniß werden. Verschließen Sies bei sich, lieber

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H. u. danken u. preisen mit uns Gott. Ich kriegte während der Angsttage vom

3
4ten Mai Abends an immer den Psalm in die Finger: der HE. behütet ihm

4
alle seine Gebeine, daß deren
nicht
Eins zerbrochen
werde
.
,
u. so ists

5
geschehen, ohne Meßerspitze u. Stahl, ohne Schaden u. Unfall – wofür wir ihn ewig

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loben. – –

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Je mehr ich Ihre Sibylle frage u. sie mir hie u. da näher wird, desto mehr

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geht mir auf, zumal ich Starks Schriften nochmals gelesen. Der Kern von

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ihr ist Milch u. Honig, Würze u. Balsam. S. 8 vermuthe ich einen

10
Dru
Schreibfehler
, weil ich Z. 8 das
sondern
nicht zu referiren weiß. Im Hesych. ist

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κονξ. ομπαξ
getheilt u. wird erklärt
επιφωνημα τετελεσμενοις. κ. της

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δικαστικης ψηφου ηχος, ως ο της κλεψυδρας. παρα δε Αττικοις
Βλοψ
,
welches mir

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alles vorzügl. auf
Κογξ
zu gehn scheint. In der Note wird statt
ομπαξ

14
Βομβαξ
gerathen und auf
Πυππαξ, εποποι
hingewiesen. Ohne Zweifel haben

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Sie eine entscheidendere Stelle, die ich mir anzuzeigen bitte. Göthe dankt

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sehr. Er hat Ihre Schriften sehr sorgfältig in einer Schachtel u. auch an

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dieser mit großer Lust gesogen. – In weniger Zeit wird Merk hier erwartet,

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den ich so wenig sehen werde, als angeht. Meine KirchenRechnungsabnahme

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fängt an, – eine wüste Arbeit: nach der Pfingsten um so ruhiger u.

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erfreulicher seyn wird; das gebe Gott Ihnen, mir u. uns allen. Amen. Ihr ewig

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treuer H.

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Lavaters Schreiber d. i.
amanuensis
hat sich am 2ten Ostertag in seinem

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Zimmer, bei Lavaters Abwesenheit erschossen; das Lavat. bis an die Seele

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wird gegangen seyn. Ihm ist Ostern fatal wie mir die Zeit vor Pfingsten,

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wo ich vor 2 Jahren Gelbsucht hatte
pp.
Meine ganze Maschiene dürstet nach

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Ruhe u. Labsal. Viel Grüße von Ihrer Gevatterin u. Freundin.


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Wider Vermuthen muß ich einen 2ten spätern Brief auf dem Rücken des

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ersten machen. Das Pack, nebst den Exemplaren sollte durch einen jungen

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fähigen Kaufmanns Sohn, der nach Berlin, Königsb., Memel u. Riga reisen

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wollte, bestellt werden u. siehe! er wird den Tag vor der Abreise krank u. ist

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heut morgen – todt. Also muß es, nicht länger zu warten, über Post, u. so

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bleibt das Gesangbuch bis auf beßere Gelegenheit. Wenn Ihr 2tes

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Schriftchen gedruckt werden soll, so bitte es mir nur her; ich wills besorgen. Von

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diesem habe ich nur 200. Exemplare machen laßen u. da diese bald vergriffen sind,

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so hat mich der Buchhändler fragen laßen, ob ich gegen eine 2te Aufl. was

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hätte? Ich frage Sie darum u. bitte mir etwa die Änderungen
p
anzuzeigen,

S. 84
die Sie vor gut fänden. Auch kommts mir in den Sinn, ob man nicht die

2
2. kleinen Schriftchen „Schriftsteller u. Leser“ u. „Schr. u. Kunstrichter“

3
die kein Mensch hat
, neu könnte abdrucken laßen, wenn es der Buchhändler

4
wollte, u. es allenfalls nicht noch beßer wäre, daß Sie aus
Ihnen
ihnen,

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Ihren Zeitungsbeiträgen u. sonstigen verflogenen Kleinigkeiten eine

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Sammlung wie die Kreuzzüge, selbst machten. Nehmen Sies doch in Gedanken,

7
lieber Alter, u. schreiben mir Ihre Meinung. Ich hielts nicht für übel u.

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blos die Einfaßung derselben würde
Ihr
Ihnen Blut u. Athem wieder in

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Gang bringen. Auch melden Sie mir alsdenn, was ich als Gratial zu fodern

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hätte. Sehen Sie diesen Gedanken als einen Pfingstferieneinfall an u.
beschla

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laßen Sie
ihn ihn
grünen u. blühen. Mein Gottfr. ist gesund, meine

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Kirchrechnungen sind Einem Stoß nach, abgenommen, so daß ich jetzt ein paar Tage

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frischen Othem schöpfe. Nathan ist gekommen u. hier mit allgem. Begierde

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verschlungen worden. Der 2te Th. der Lebensläufe hat mich noch 10. mal

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begierger gemacht auf den Verf., als der 1te; nur Hippel ists nicht, ists nicht.

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Mir geschähe eine Wohlthat, wenn ich ihn kennen lernte. Denis Bücherkunde

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scheint trocknes Stroh, sonst habe ich noch nichts gekostet. Starke habe ich

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noch nicht
gesehn;
es ist mein Mann nicht u. ich kann nicht begreifen, wie Sie

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nur Augen u. die edle Salbe Ihres Geists über den unbekannten,

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unerkannten Erdklos verschwenden. Abauzit habe ich selbst; nichts besonders, u. völlig

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meine wie Ihre Meinung. Adieu, Lieber, Bester. Meine Frau empfielt sich

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Ihnen herzl. Gott segne Sie u. Ihr ganzes Haus.

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Eilig. den 21. Mai 79.


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Vermerk Hamanns:

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Erhalten den 4 Junii.

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 178.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 85 f.

Herders Briefe an Joh. Georg Hamann. Im Originaltext hg. von Otto Hoffmann. Berlin 1889, 147–149.

ZH IV 82–84, Nr. 556.

Zusätze fremder Hand

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Unbekannt
84/25
Johann Georg Hamann

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
82/21
wohlbekomme
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
wohl bekomme
82/22
ich
,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ich
82/26
und
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
u.
82/34
das
die
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
die
82/34
membro,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
membro
83/4
werde
.
,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
werde,
83/4
nicht
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
nichts
83/10
Dru
Schreibfehler
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Schreibfehler
83/12
Βλοψ
,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Βλοψ
83/36
p
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
p.
84/11
ihn ihn
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ihn
84/18
gesehn;
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
gesehn,