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S. 80
Kgsb. den 17 May 79.

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Das war gestern eine Freude,
Exaudi und Himmelfahrt

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zusammengezogen
– ohngefehr wie Sie mir Ihre beschrieben bey der Geburt der

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Erbprinceßin. Aber alles gedruckt und fertig zu sehen, konnte mir gar nicht

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einfallen und war ein rechter
Deus
oder
Dea ex machina.
Gott bezahle Ihnen

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doch Ihren
Eifer und Treue
! Ich weiß nicht womit ichs verdient habe; aber

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das soll mich nicht anfechten – Bis Johannis hatte ich mir den Termin

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gesetzt nicht dran zu denken; und bisweilen kam es mir als ein dummdreister

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Streich vor, Sie bey Ihren mannigfaltigen und eignen Arbeiten damit

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überladen zu haben. Ich wußte mir aber gar nicht zu helfen; und ich meynte doch

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etwas zur Sache und für den gegenwärtigen Augenblick gesagt zu haben.

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Auch Ihnen tausend Dank, meine Verehrungswürdige Freundin

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und Gevatterin, für Ihre Bey- und Nothhülfe
an der armen Adelgunde –

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Ich weiß Ihnen das gar nicht auszudrücken, was ich alles auf dem Herzen habe

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und da behalten muß, möcht ich fast sagen, wie ein unzeitig Geschwür –

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Gottfriedchen ist doch wider gesund – Nun Gott erhalte und seegne Sie und

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alles was Er Ihnen gegeben und noch zugedacht hat.

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Der Druck ist ein wahrer Kupferstich gegen alle meine
Opera omnia,
die wie

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Sie wißen, bester Herder! von Schreib- u. Druckfehlern
cet.
wimmeln.
Mit

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genauer Noth
hab ich
einen einzigen
entdeckt:
Brauchs
an statt
Bauchs

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die Widerholung des letzten Worts hilft aber dem Verstande. Ein doppeltes

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Gewiß
nach Joh.
VII.
26 hat Ihnen als ein Schreibfehler vorkommen müßen.

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Und dies ist alles, was ich mit einem
Microscop
habe auftreiben können,

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auch nicht der Rede werth sondern blos eine alte Gewohnheit
ευκαιρως

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ακαιρως
offenherzig zu seyn.

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Vielleicht wißen Sie noch dort nicht die Neuigkeit, daß unser alte

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Hausvater endl. so glückl. gewesen auf seine alte Tage einen
deutschen Plato
zu

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finden, neml.
Garve
, der ihn tag tägl. unterhalten muß. Kennen Sie den

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Mann – so wünscht ich Ihre Winke über seinen Character. Was ist seine beste

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Schrift?

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Kraus ist mit dem Schluß des
pr.
nach Göttingen gegangen, in eine sehr

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günstige Lage, die er mir aber im Rätzel meldt und mehr Aufklärung von

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dort aus hoffen läßt. Er hat das Vertrauen des dortigen Ministers v.
Z.

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auf Kants Empfehlung genoßen und ist ein Mensch von großen Talenten –

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auch ein
intimus
an deßen Beobachtung mir viel gelegen ist. Falls sein Brief

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bey Uebersendung des Dachen
etwas mehr als eine bloße Höflichkeit

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gewesen ist; so wünschte ich u bäte beynahe, daß Sie bey Besorgung eines

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Exempl. nach G. ein paar freundschaftl. Zeilen an ihn beylegten – als
wenn

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es Ihr eigner Einfall gewesen wäre ihm damit
allenfalls
u mir einen

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Gefallen zu thun, da Sie vermuthen könnten, daß ich noch selbst

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kaum ein Exempl. des Abdrucks haben könnte
. (Niemand als Br. weiß

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das mein
Mst.
nach Weimar gegangen, soll es auch keiner erfahren. Bitte also

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auch gegen Kr. sich nichts merken zu laßen.)

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Ich habe einen sehr frommen liebenswürdigen Geistl. an dem Morungschen

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Pf. Skubich kennen gelernt. Seine jetzige Frau ist eine
Niece
des seel. Lindner,

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verwittwete Strauchin u geborne Steinkopfin, und eine sehr herzl. Freundin

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Ihrer lieben Schwester – Von Semler soll ein Exemplar hie seyn welches

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ich noch nicht auftreiben können. Die Beyl. macht mich sehr neugierig. Gestern

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besuchte mich unser neu angekommene
Dr. Juris Holtzhauer
aus Halle an

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L’Estocq
Stelle u erzählte mir auch, daß Leßing dadurch gereitzt werden würde.

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Beyl. von Luther ist mir sehr werth. Habe vorige Woche am alten

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Himmelfahrtsfeste meine Andacht gehabt, nach länger als JahresFrist. Von

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Claudius habe dies ganze Jahr noch keine Zeile erhalten; den 1ten May an Frau

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Rebecca geschrieben. Es ist mir lieb daß er die Reisen des Cyrus übersetzt hat,

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die mir fehlen und ich ohnlängst mit Gefallen gelesen habe. Jetzt den
Apuleium

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mit
Beroaldi Commentario
über den goldnen Esel, den ich noch vor dem Feste

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zu endigen hoffe. Mein ganzer Versuch ist
à priori.
Ich habe noch kein einziges

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alligatum
nicht einmal
Ciceronis verifici
rt, und auch
Meursium
noch nicht

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gesehen. Etwas mehr als Ahndung läst mich hoffen,
à posteriori
vielleicht

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mehr
manches zu finden, um das erste aufzuklären im Fall der Noth.

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Klopstocks Grundsatz für
das Ohr zu schreiben
gab mir Anlaß Ihre

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Plastick zu lesen, weil ich eine Beziehung zu finden glaubte mit dem, was Sie

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übers
Gefühl
und
Gesicht
sagen. Komm weder mit
Untersuchen
noch

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Schreiben
von der Stelle. Muß jetzt zum Prof. Kant laufen ihm die 10 Bogen

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des Nathans zu überbringen –

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Bin endlich wie ein verirrt und verloren
Scha
d
f
wieder zu Hause gekommen,

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leerer wie ich ausgegangen bin. Weiß Ihnen also nichts zu melden, womit

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Ihnen gedient seyn möchte. K. arbeitet frisch drauf los an seiner Moral der
ges

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reinen Vernunft und Tetens liegt immer vor ihm. Er wies mir einen Brief von

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Feder, den ich fast gar nicht kenne, aber sein Werk über den Willen lesen will.

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Nun liebster Gevatter, Landsmann und Freund! Gott schenk Ihnen auch

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Freude und fördere das Werk Ihrer Hände, daß wir beyde mit Hiob sagen

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können:
Mein Bogen beßerte sich in meiner Hand
. Den ganzen August

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hab ich mir vorgenommen im Geist zu Weimar zu feyren. Sophiechen hat

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vorigen Sonnabend ihren ersten Namenstag bey ihrer hiesigen Pathin

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gefeyret, und giebt dem kleinen
Pendant
nichts nach – verhält sich zum
Mignon,

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wie seine Hälfte im verjüngten Maaß –

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Wenn kein Vater im Himmel wär, wer möcht sich Kinder hienieden

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wünschen – Der für uns gesorgt, sorge für sie. Amen!

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Ihre Einlage soll mit erster Post nach Riga befördert werden. Es schlägt

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Mitternacht! Ich umarme Sie, Ihr würdiges
Adiutorium
und den ganzen

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kleinen
Circul
Ihrer häuslichen Glückseeligkeit. Bitte mit
gegenwärtigem

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Schein des Empfangenen und Genoßenen
für lieb zu nehmen von Ihrem

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alten H.


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Adresse:

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HErrn / HErrn
Herder
, / General-Superintendenten pp / zu /
Weimar
. /

14
franco
.

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 176–177.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 82 f.

ZH IV 80–82, Nr. 555.