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S. 77
Kgsb. den 6 May 79.

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Herzlich geliebtester Gevatter, Landsmann u Freund,

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Einlage erhalte eben, da ich mit dem ersten Bande des Starkschen Buchs

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über die Kirchengeschichte fertig bin. Wie unter aller Erwartung! Nichts als

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ein
Collegium
akademischer Vorlesungen – Weder Plan noch Oekonomie.

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Wie sein Name auf dem Titel, hinter der
Dedication
und der Vorrede: so ist

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alles doppelt und dreyfältig gesagt. Und was macht ein
Compendium
der

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römischen u jüdischen Geschichte hier zur Sache. Was für eine magere,

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kümmerliche u nachläßige Be
redsamkeit
lesenheit. Den Pansismum hat er

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Ihnen offenbar zu danken und zeigt gleichwol immer gleichsam mit dem

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Finger auf die Erläuterungsquelle. Eben so hat ers mit Warburton gemacht, um

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ihn desto gewißenhafter ausschreiben zu können. Was für elende

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Kanzeltiraden um der Sache einen Schwung zu geben. Doch wir haben hier erst

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vermuthlich nur das geschwätzige Weib; und müßen auf einen
atrum piscem
in

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der Folge warten. Die Vorrede ist ihm in Berl. gestrichen worden und soll

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eine
Geschichte seiner hiesigen Händel
enthalten haben. Kanter beschwerte

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sich damals von unserm Consistorialrath Bock betrogen zu seyn der 100 # für

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seine Apologie des
Χ
stentums empfieng. Decker hat eben so viel gezahlt und

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möchte noch schlechter dabey fahren.

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Vorige Woche habe die 10 ersten Bogen von Nathan gelesen und mich recht

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daran geweidet. Kant hat sie aus Berl. erhalten der sie blos als den 2 Theil

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der Juden beurtheilt und keinen Helden aus diesem Volk leiden kann. So

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göttlich streng ist unsere Philosophie in ihren Vorurtheilen bey aller ihrer

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Tolerantz und Unpartheylichkeit!

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Der deutsche Sprachforscher hat mich nach
Mätzken
grammatischen

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Abhandl. neugierig gemacht, deren ersten Band ich zum Glück noch im

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Kanterschen Buchladen gefunden und die mich sehr unterhalten. Wißen Sie nicht

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ob der zweite Band ausgekommen und können Sie mir einige Auskunft

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wegen des
Domitor
’s erzeigen?? wo der Mann lebt und wie seine Schrift

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heißt. Ich brauche diese Nachricht um Ihren Wink wegen der etwanigen

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Fortsetzung der neuen Apologie des Buchstaben auszuführen, wenn es mir

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mögl. ist
, welches ich noch nicht absehn kann. An Lust und Stoff dazu fehlt

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es nicht; aber Kräfte und
Laune
! Denn mit dem Geschichtschreiber der

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deutschen Republick zu reden, dazu gehört ein anderer Ton als mit dem Exrector

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Damm. Das
Grundgesetz der Aussprache
kommt mir völlig unrichtig vor

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und was Sie in Ihrer Plastik von Bildhauerey u Mahlerey sagen scheint mir

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auch darauf zu paßen:
für das Ohr zu schreiben
! Der erste Period des

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Klopstocks scheint mir ein Verräther seines Circuls im Denken zu seyn; demselben

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zu folge ist die rechte Aussprache durch die Schreibart bestimmt worden. Noch

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weiß ich nicht, ob ich im stande seyn werde meine Idee auszuführen. Allenfalls

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abeat cum ceteris erroribus!

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Haben Sie mein Geschmier schon Muße gehabt zu entziffern und

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durchzulesen? Verdient es eine Ausgabe und haben Sie Wege, dazu beförderlich zu

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seyn? So bald es Ihre Geschäfte und die Umstände der Sache selbst erlauben,

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seh ich Ihrer Antwort entgegen. Denken Sie auch an die Fortsetzung des

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Falk und Ernst
. Ich will mich allen Bedingungen gern unterwerfen. Hat

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unser Landsmann der Kapellmeister Ihren Brutus empfangen u erinnern

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Sie sich noch der damaligen Abrede.

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Ihr letzter Brief kam am Sonntage
Jubilate
an, also
faustis auibus.

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Wegen
Möllerin
werde Sie mit der Zeit befriedigen. Lauson hat mir vor der

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Hand zu verstehen gegeben, daß nichts an ihren Gedichten seyn soll. Ich will

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selbige aber selbst lesen. Werden Ihre Silhouetten und Volkslieder
p

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ankommen, da weder H. noch H. die Meße gemacht, und blos
Hartung
. Aus meiner

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Reise nach Weimar kann dies Jahr nichts werden, weil ich weder 20000 fl.

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noch 300 fl. gewonnen. Ob ich meinen Einsatz bekommen,
vix credo;
denn ich

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habe mich um die Lotterie Listen noch nicht bekümmert. Daß Ihnen meine

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sauersüße Erzählung der häuslichen
p
Angelegenheiten gut bekommen, freut

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mich. Freude macht mich zum alten Weibe und Kummer zum Mann. Der

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arme Stark hat beynahe seine gantze Morgengabe kürzlich hier eingebüßt, und

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sein preuß. Unstern scheint ihn noch zu verfolgen. Aber daß meine kleine

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Chronik zu einer Parabel für Sie gedient, hat mich nur
geträumt
. Wünschte

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wie Paulus gern der vornehmste zu seyn! Ihre gedruckte Einl. ist nach

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Morungen abgegangen in Erwartung des mir zugedachten EhrenExemplars –

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Sie wißen, liebster General Superintendent! wer mir etwas verspricht den

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halt ich so fest wie jener Gläubiger seinen Schuldner im Evangelio.

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Erinnern Sie sich noch eines
Abuzai
– so heist er ungefehr – dem
Rousseau

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ein großes
Eloge
in seinen Schriften macht. Araber waren seine Vorfahren

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er aber ein Socinianer zu Genf. Sind Ihnen seine
Oeuvres
bekannt deren

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ersten Theil ich hier gelesen habe. Sie enthalten unter manchen exegetischen

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Stücken auch einen Schlüßel der Apokalypse. Möchte Ihnen mit einem

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Auszuge dieser Abhandl. gedient seyn; so steht er Ihnen zu Diensten. Ich hab ihn

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vor vielen Jahren gelesen als er zu London auskam. Mein alter
Maecen

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Green
Kant u Kanters Freund hat das Buch.

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Hippel der bisher auf dem Roßgarten gewohnt, zieht auf Michael in

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meinen Sprengel nach dem Steindamm u hat sich ein hochadl. Stammhaus

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gekaufft. Er hat diese Woche meinen Kindern 2 paar Tauben geschenkt und

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ein anderer Freund an demselben Tage ein paar Lachtauben, die meine

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Gesellschafter sind. Bin auf den 2ten Theil der Lebensläufe sehr neugierig, die

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hoffentl. diese Meße erscheinen werden. Er ist jetzt Stadtrath geworden aber

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mit Nachtheil – und auf 2 Stellen verlorne Aussichten gehabt, zu denen ich

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ihm bald Reife wünsche – Lestocq’s als Oberrichter und das Regierungs

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Secretariat statt des seel. Nicolovius. Ich hätte einen Robertin gewonnen

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und wünsch es zu seiner
Zeit
ohne ein Dach zu seyn.

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Es geht mir wie Ihnen – In meiner Laune seh ich auch alles für böse Geister

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an. Gott kennt sie am besten. Ein wenig Weihwaßer – an statt vor Ihnen zu

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laufen – vertreibt solche Gäste.

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Auch ein paar Worte wünschte ich aus
Diderots Essay
von Ihnen zu hören,

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sobald Sie selbigen gelesen haben. Ich habe neul. einen erbaul. Brief von ihm

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an den Ruß. Gesandten von Warschau in einem Berlinschen
Journal
gelesen.

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Diese Woche werde mit Hänschen das erste Buch von
Xenophons
Sokr.

18
Merkw
schlüßen. Ohngeachtet ich es nur
cursorie
mit ihm treiben kann: so

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ist diese Arbeit ein wahres Fest für mich – als wenn ich den alten Mann und

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Märtyrer vor mir schweben sähe und
vis-à-vis
von Angesicht zu Angesicht

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ihn selbst reden hörte, ist mir zu Muth –

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Meiner verehrungswürdigen Frau Gevatterin wünsch ich einen glücklichen

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und geseegneten August. Ihr Pathchen ist diesen 18 ein halb Jahr alt und

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befindt sich Gottlob! nach Herzenswunsch ohne die geringsten Einflüße des

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Scorpions – Ein wahres
Turteltaubchen
und
Pendant
zu meinen kleinen

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Wolfgang
.

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Gott seegne Sie und Ihr ganzes Haus! ist mein
tägl
. Wunsch u. Gebet –

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und hiemit gute Nacht!


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Den 7 May.

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Bin früh gnug aufgewacht zu einem guten Morgen! aber es schlummert

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noch alles in meinem Kopf und die Stunde ist da zum Aufbrechen.

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Empfehlen Sie mich Ihrer besten Hälfte. Ich ersterbe mit allen den Meinigen Ihr

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verpflichtester und ewig ergebenster

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Johann Georg Hamann.


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Adresse:

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HErrn / HErrn
Herder
/ General-Superintendenten pp / zu /
Weimar
/

37
p.
Halle
/ franco.
Halle

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 173–174.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 78–82.

ZH IV 77–79, Nr. 554.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
77/32
mögl. ist
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
mögl.
ist
78/25
geträumt
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
geträumet
79/10
Zeit
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Zeit,
79/18
Merkw
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Merkwk.