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Königsberg, den 1. März 1779.

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Verehrungswürdige Freundin und Gevatterin,

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Gott wolle in diesem ganzen Jahr Ihre geheimsten und besten Wünsche so

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reichlich befriedigen, wie Sie sich beim Schluß des vorigen um mein ganzes

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Selbst verdient gemacht haben. Die Gelegenheit meines ersten Briefes war

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wie vom Zaun gebrochen; aber desto schöner das Geschenk einer glücklichen

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Aufnahme und Anwendung.

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Der kleine Fisch in der Wiege vor meinem Schreibtische, die wahre Muse

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meiner kindischen Antwort, schläft trotz Ihrer Prinzessin, der Vorläuferin

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des Friedens! – –

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Die heilige Sieben unserer Gottes-Familie zusammen zu sehen; so ein

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poetisches Schauspiel würde den heutigen Sonnen- und Mondschein

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übertreffen. Aus Wollüsten und Bedürfnissen dieser Erde besteht unser ganzer

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Vorschmack des Himmels. –

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Will meinen Brief wie St. Johannes schließen, der auserwählten Frauen

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und Ihren
Kindern
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Auch meine Sache ist nicht mit Briefen und Tinten viel

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zu schreiben; sondern Freude und Alter zu vollenden.

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Empfehlen Sie mich Ihrem besten lieben Manne, dem ich noch nie so recht

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gesagt, wie sehr Sie verdienen, Seine Erste und Einzige Freundin zu seyn;

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weil Wahrheit und Freundschaft immer die höchsten Gegenstände meiner

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Oekonomie gewesen, mit denen man nicht für den gegenwärtigen, sondern

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die letzten Augenblicke seines Lebens wuchern muß, gleich jenem Alten der

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Tage mit schneeweißem Kleid und das Haar auf seinem Haupte wie reine

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Wolle. –

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Ich küsse Ihnen die Hände und ersterbe Ihr
ewig verpflichtester

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Gevatter und Freund.

Provenienz

Druck ZH nach Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 73 f. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304. Dort auf pag. 169 der Vermerk: „(102). Hamann an C. Herder. Das Original an Meidinger.) 1 März 79.“

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 73 f.

ZH IV 59 f., Nr. 546.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
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Kindern
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Im Druck bei Roth kein Punkt; vmtl. Druckfehler.