540
42/14
Am großen Neujahr den 6 Jänner 79

15
Ehrwürdiger, lieber treuer Helfer am St. Peter,

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Freund, Geber, Sie und Du,

17
Den
3
Julii pr.
erfreute mich ein ganzes Pack und ein Vierteljahr langes

18
Billet doux
voll römischer Personalität und individueller Ingenuität. Hab

19
mich und andere an Ihren und Deinen Gaben gelabt. Ist die
wesentl.

20
Lehre des Evangeliums
auch aus dem guten Schatz Deines Herzens und

21
Deiner Hand? Bin arm, liebster Lavater, auch am Geist – muß leider auf die

22
Seeligkeit des Gebens und die Pflicht des Widergebens Verzicht thun. Bin

23
über 2 Jahr mit blinden Wehen,
falschen
leeren Sechswochen, schwindenden

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Hüften und schwellendem Bauche der Autorschaft heimgesucht worden, auch

25
noch nicht im stande einen Wechsel meines Wittwengrams und Waysenleidens

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abzusehen. Hast Dein Monument glücklich geendigt in unserm an

27
Menschenkenntnis und Liebe öden Aeon. Kein Fleiß noch Zweck der Arbeit ist verloren

28
im HErrn. Mich auch darinn auf eine so eigene oder uneigene Art einverleibt,

29
hervorgestochen und verjüngt zu sehen, ist mehr als Eine Waßer- und

30
Feuerprobe
meine
s
r
Menschlichkeit gewesen – und ein Schlüssel vielleicht auch

31
Schwert zur Offenbarung mancher Gedanken in
dieser
und jener
Seele –

32
Nach einer Pause von 14 Tagen ergreife wider die Feder, kaum mit einer

33
besseren Fassung. – Ich bin eine so feige träge Memme, daß ich wie der Teich

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zu Bethesda dann und wann der Erschütterung eines Engels nöthig habe und

S. 43
mehr als ein Gichtbrüchiger für alle Geschäfte des Lebens –
Ein
leidiger Arzt

2
der weder sich selbst noch andern helfen kann. – Für Ihren türkischen Sclaven

3
ist hier ein
Pendant
an meiner Freundin, der Baroneße von Bondeli. Sie ist

4
mein bester Schüler im Engl. und ich lebte bey ihrem seel. Vater nicht

5
als Miethsmann sondern als Kind im Hause. Diese, um nicht an Hunger

6
umzukommen, hat sich entschlossen eine
Pensions
Schule hier aufzurichten.

7
Ein Freund hat für mich die Ankündigung
für
davon
unser
n
m kümmerliche
m
n

8
banquerout
e
m
n leidige
m
n
Publicum gemacht. Ihr einziger leibl. Bruder soll

9
gleichwol
Generalissimus
der Republick Bern seyn.
Möchte doch gern wißen ob es

10
dem Mann so glücklich oder so unglücklich geht, daß er seine einzige

11
leibliche edle Schwester ganz und gar vergessen kann? Kannst Du

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mir nicht, bester Lavater, durch einen deiner dienstbaren Geister

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einen klugen Wink darüber
verschaffen.
Ich glaube daß Bern nicht

14
soweit von Zürch
liegt als Ihr Haus hier von meinem Logis, wo ich kaum

15
diese Woche werde einen Boten auftreiben können um das Project der traurigen

16
Affiche
dieser unglückl. Freundin zu ihrer Genehmigung mitzutheilen. So schmall

17
und eng ist mein Bett für diesen Riesenleib, der nach Verhältnis eine viermal

18
größere
Caffe
kanne, Tafel und Flasche als die Ihrige nöthig hat – nebst 4

19
Prätendenten meines Geschmacks an den Gaben der lieben Mutter Natur –

20
Habe mir an der letzten Michaelismesse nichts als Hahns Fingerzeig

21
angeschaft und
von
der vorigen Ostermesse sein N. T. daß ich
allso
opera omnia

22
des Manns zu besitzen glaube. In diesen Feyertagen habe mich und mein

23
Haus an einer Samml. Deiner Predigten erbaut, die 770 ausgekommen.

24
Bitte recht sehr meinen
Lieblingspropheten
zu endigen, weil ich ungern

25
halbe Bücher lese, und drauf warte. Wünschte daß Sie den 2ten Theil des

26
Allerleys gegriffen hätten, weil ich schon den
1.
Gevatter Kaufmann

27
abgenommen. Ihr
Quousque tandem
– ist ein
wahres
philippisches Schaustück

28
für mich. Bitte recht sehr von Ihren einzelnen Predigten und fliegenden

29
Blättern, die nicht immer bis hieher kommen, mir Eines beyzulegen. Ihre

30
Aussichten habe nach meiner Art durchgelaufen um den
Eindruck des

31
Ganzen
zu genießen, seitdem aber an Freunde verleyhen müßen. Vermiße

32
darinn das
hieher gehörige
Supra nos
– mehr mystischen apokalyptischen

33
Gebrauch der Bibel, die zu
mediis terminis
u Gleichung unbekannter

34
u. unendlicher Größen ergiebiger ist als alle Systeme u Hypothesen alter

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u neuer Philosophie, falls ich meinen Ahndungen hierüber trauen darf. –

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Doch
manum de tabula!
Was komt aus allem Bücher- und

37
Briefschreiben heraus
? Das ist der Wurm der mich nagt, – Gehts mirs doch wie

S. 44
St. Paulo
Rom
VII.
15. Denn ich weiß nicht was ich schreibe und ich schreib

2
nicht das ich will – –

3
Gott segne Dich, Herzens Lavater, die Freundin Deines Busens mit Ihrem

4
Netteli
und
Heirli
. Bleib in Deiner Schuld bis über die Ohren. Gott schenk

5
neue Lebens und Geisteskräfte zur neuen Stuffe – sey Dein Schild und großer

6
Lohn, wie Er allen frommen und getreuen Knechten verheißen. Bin unter den

7
herzlichsten Seegenswünschen und Liebesküßen Dir und den Deinigen mit

8
Geist Mund und Hand verpflichtet und gewiedmet.

9
Johann Georg H.


10
Den 21 Jänner 79.

11
Ich bin heute den ganzen Tag herumgelaufen, um dies und jenes zu

12
bestellen und abzumachen u habe auch liebster Lavater! meine kranke Freundin

13
besucht, oder recht zu sagen die Aermeste, die
wegen
um ihrer kranken Freundin

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14 Nächte keine Ruhe gehabt wegen eines schwindsüchtigen Hustens und drum

15
Schmerzens
in der Seite davon der Arzt keine Ursache errathen kann. Die

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öffentl. Ankündigung
an die ich oben dachte, ist ein Misverständnis von

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mir gewesen. Sie ist nur in der Stille entschloßen mit
Pension
oder

18
Erziehung einen Versuch zu machen; wozu
Sie
gewiß das
Talent
einer
Beaumont

19
hat. Weil mir einmal Ihr Name entfallen und ich auch ein Misverständnis

20
bei Ihnen veranlaßen
könnte:
so besteht meine ganze Absicht darinn, daß

21
wenn
Sie in dem
Connexion
hätten und Sie mir etwas von den Umständen

22
u
Charakter des Bruders zuverläßig u unter der Hand melden

23
könnten; ich solches bey Gelegenheit und nach Bequemlichkeit blos für meinen

24
Privat-Gebrauch wünschen möchte. – Menschenkenntnis u Menschenliebe

25
ist ein
Regale
der Gottheit und Vorsehung. Wie kommen wir zu der

26
Illusion,
daß ohne unser Zugreifen die Bundeslade umfallen würde? und daß wir

27
uns immer für fähiger halten unsern Nächsten mehr zu lieben als es von

28
Gott geschieht –

29
Steinbart’s System, das ich mit nach Hause gebracht, scheint ein reines

30
monstrum
aus Afrika zu seyn. „Der HErr wolle Frucht der Lippen schaffen,

31
die da
predigen
Friede
Friede, beide denen in der Ferne und denen in der

32
Nahe
und woll uns
heilen.
Jes.
57. 19.


33
Unten auf der letzten Seite des Großoktavbogens:

34
Freund Caspar Lavater

35
Helfer an St.
Peter

Provenienz

Zürich, Zentralbibliothek, Signatur: FA Lav Ms 510.274.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 57–59.

Heinrich Funck: Briefwechsel zwischen Hamann und Lavater. In: Altpreußische Monatsschrift 31 (1894), 110–114.

ZH IV 42–44, Nr. 540.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
42/17
3
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
3.
42/30
meine
s
r
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
meiner
42/31
Seele –
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Seele. –
43/1
Ein
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ein
43/6
Pensions
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Pensions
43/7
–8
unsernm […] leidigemn]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
unserm kümmerlichen banquerouten leidigen
43/13
verschaffen.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
verschaffen?
43/21
allso
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
also
43/21
von
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
an
43/26
1.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ersten
44/1
Rom
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Rom.
44/15
Schmerzens
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Schmerzen
44/18
Sie
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
sie
44/20
könnte:
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
könnte;
44/22
u
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
und dem
44/31
Friede
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Friede,
44/31
predigen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
predigen:
44/32
Nahe
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Nähe,
44/32
heilen.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
heilen.“
44/32
57. 19.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
57, 19. –
44/35
Peter
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Peter.