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Liebwerthester
Freund,
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Weil wir uns einander bald widersehen werden: so haben wir uns einander
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die Mühe eines Abschiedes erspart. Da Sie bereits durch das
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Empfehlungsschreiben des HE
Pr. Kreutzfeld
eingeführt sind: so habe ich blos den HE
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Kapellmeister Reichard gebeten dafür Sorge zu tragen, daß es Ihnen nicht
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zu sehr in Berlin gefällt, und daß Sie unsern heil. Christ. nicht versäumen,
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woran so einem ehrlichen Israeliten, wie Sie sind, allerdings gelegen seyn muß.
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Sie wißen, daß ich den ganzen Sommer wegen meines verfluchten
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Leichdorns
und der engen Schuhe an keine Staatssachen habe denken können. Ich
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weiß daß Sie mich in Ihrem Herzen öfters darüber ausgelacht und an meine
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Philosophie gezweifelt haben, die freylich keine Gärtnerin wie Epicurs seine ist.
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Um Sie in wenig Zeilen sehr mannigfaltig zu unterhalten, meld ich Ihnen
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jetzt, daß ich vorigen Mittwoch nicht im stande war auszugehen, ohngeachtet
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ich eine doppelte Bothschaft von der
Mlle Stoltz
erhielt die ausdrücklich vom
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Lande in die Stadt gekommen war, nicht eben meinethalben sondern einen
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jungen Kaufmann aus Hamburg zu sehen, der aber schon Dienstags abgereist
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war. Da hat sie mir eine schöne
Silhouette
von einer adl.
Dame
eingehändigt,
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die ich Ihnen zeigen will, wenn Sie nur erst hier wären. Sie kam in einer
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Kutsche zu mir und erinnerte sich auch Ihrer.
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Was in unsern Kanterschen Zeitungen gestanden hat, darf ich Ihnen nicht
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melden; das übrige soll Ihnen alles mündl. erzählt werden. Ueber mich ist
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es verhängt, daß ich ohne Leichdorn nicht leben soll. Lehnchen hat die
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Windpocken Gottlob! überstanden; aber Hänschen liegt schlimmer daran. Eben
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erzählte Lieschen, daß ein großer Vogel heute Morgens ans Fenster
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gekommen, und die Mutter hält selbigen für eine Unglücks Eule. Vor einer Stunde
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ungefehr fuhr er auf, und hatte einen Engel im Traum gesehen; vermuthlich
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weil er den ganzen Tag mit einem Engel von Pfefferkuchen gespielt.
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Sie sehen, liebwerthester Freund, aus gegenwärtiger Probe, daß ich wider
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zu schreiben anfange und alles was ich das ganze Jahr versäumt habe,
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einzuholen denke. Wie dem geneigten Leser dabey zu Muthe seyn wird, mögen
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Sie an sich Selbst beurtheilen.
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Und hiemit leben Sie wohl. Beßert
sich
mein
mein winselndes Hänschen: so
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schreib ich nächsten Posttag mehr – So weit kam ich am letzten Sonntage
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unsers Kirchenjahrs. Seit dem ich an Ihren Festen Theil nehme, dürfen Sie
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sich kein Gewißen eben machen sich auch um
unsre
Feyertage zu bekümmern.
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Montags den
24.
nach dem Eßen.
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Da ich doch ein
Couvert
machen muß und dies
Quart
blatt dazu nicht
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brauchbar ist: so erlauben Sie mir auf meinem Sorgstuhl fortzufahren.
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Hänschen hat zwar diese Nacht weder geschlafen noch Öffnung gehabt
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befindt sich aber doch recht munter und trägt mir mit einem lächelnden Ja! auf,
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Sie von Ihm zu grüßen. Bin diesen Morgen beym
Doctor
gewesen den ich
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gestern nicht finden konnte, der blos der Menge des Ausschlages ohne
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schlimmere Folgen alles zuschreibt, auch mich wegen der Pocken in den Augen
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beruhigt hat.
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Lehnchen oder vielmehr Käthchen feyrt morgen ihren Namenstag und über
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8 Tage ihren vierten Geburtstag. Die Feyertage in meiner Haushaltung
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nehmen in eben der Verhältnis zu, wie die öffentliche abnehmen, und ich weiß
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nicht wo ich alle Braten hernehmen soll.
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Je todter es
auf
in meinem Garten aussieht, desto lebhafter ist es auf
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meinem Gehöfte. Ein junger welscher Hahn – der auf Steltzen geht – und
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den man noch kein einziges mal krähen gehört, der folglich gar nicht zu der
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Race
jener Schreyhälse gehört, die unser Prof. K. nicht leiden kann. Ferner
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3 gemeine Hühner. Ich denke daß ein so junger Verwalter, wie ich sich mit
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diesem Besatz von Federvieh behelfen kann vor der Hand –
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Diese Woche kommt
Mlle
Stoltz vom Lande, um in der Stadt zu bleiben
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und ihre Singestunden fortzusetzen und neue anzufangen mit dem armen
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Teufel Uriel der weiland vergötterten Selma. (Das bleibt unter uns beyde
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und wir müßen gemeinschaftliche Anstalten machen, nicht ausgestochen zu
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werden.)
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Doch wenn ich noch länger fortfahre, lauf ich Gefahr in den Ton der lieben
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Medisance zu gerathen.
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An unsern Freund HE Mendelssohn, wenn er von Hannover
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zurückgekommen ist, denk ich mit nächsten selbst zu schreiben, wiewohl ich es schon
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gethan mehr wie einmal aber wegen meiner übeln Laune nichts habe abgehen
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laßen. Empfehlen Sie mich Seinem Reisegefährten meinem künftigen Wirth –
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HE Ephraim bestens zum geneigten Andenken, und sagen Sie mir mündlich,
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ob Sie im stande gewesen meine gelehrte Faust zu lesen. Leben Sie unter
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deßen recht wohl, endigen Sie nach Wunsch Ihre dortige Geschäfte; bringen
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Sie uns gelehrte Neuigkeiten und Näschereyen mit
pour la petite bouche du
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bon gout.
Und hiemit Gott empfohlen
au revoir!
Ihr ergebenster
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Johann Georg Hamann.
Provenienz
Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: ZH zufolge früher in Dortmund, Stadtbibliothek. Text nach dem Faksimile in Erich Schulz (Hg.): Handschriften westfälischer Dichter und Schriftsteller. Dortmund 1925, 13–14.
Bisherige Drucke
Erich Schulz (Hg.): Handschriften westfälischer Dichter und Schriftsteller. Dortmund 1925, 13 f.
ZH III 385–387, Nr. 516.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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Liebwerthester ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Liebwertester |
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sich mein |
Geändert nach der Handschrift; ZH: sich |
386/29 |
unsre ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: unsere |
386/30 |
24. ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: 24 |