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274/26
Königsberg den 22
Xbr.
76.
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HöchstzuEhrender Herr und Freund,
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Εχαρην δε – μεγαλως, ὅτι ηδη ποτε ανεθαλετε το ὑπερ εμου φρονειν ουχ
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ὅτι επιζητω το δομα, αλλ’ επιζητω τον
καρπον
– Mit einer so unschuldigen
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Freude habe ich gestern Ihres
Daniel Seuberlich’s feynen
kleynen
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Almanach
aus der Hand meines Penzels erhalten, der seinen Neid nicht bergen
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konnte, eines ähnlichen Andenkens nicht gewürdigt worden zu seyn; ich habe
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ihm versprochen seine Recension in
unserer
der hiesigen gelehrten
S. 275
gelehrten
Zeitung meinem gegenwärtigen Danksagungsschreiben beyzulegen, und
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Ihnen, HöchstzuEhrender Freund! zu melden, daß er sogl. bey Erhaltung
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dieser angenehmen Neuigkeit eine
Praemie
für jeden seiner
Commiliton
en
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darauf gesetzt, der ihm einen Beytrag zu liefern im stande wäre, so sich
zum
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nächsten Jahrgange
qualifici
rte
. Gestern vor acht Tagen war die
Vorrede
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das Gegengift eines schwermüthigen Abends für uns beyde gewesen. Ich
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nehme an seinem Schicksal wie an dem meinigen Antheil; und da es lauter
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malcontenten
in Preußen giebt: so ist seine Zufriedenheit in einem Lande,
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das Jedermann wenigstens ein
Purgatorium
zu seyn dünkt, eine sehr seltene
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Ausnahme in meinen Augen gewesen.
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Nach einer
Quarantaine
von 15 runden Wochen hab ich heute meinen
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Kirchengang halten können. – Außer mancherley speculativischen
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Bedenklichkeiten und zum theil practischen Schwierigkeiten den Verkauf meines
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Büchervorraths wirklich auszuführen
ereigneten
sich zwey entscheidende
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Vorfälle, welche auch den eigensinnigsten guten Willen zu vereiteln im stande
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sind. Das erste war
ein
der
Deus ex machina
einer Krankheit, die
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anfänglich ein nichts bedeutendes Flußfieber zu seyn
schien
, in ein Gallenfieber
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überzugehen schien, aber sich bald zu einem förml.
Quartan-
Fieber erklärte,
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just im Termin der
Auction.
Drey Tage vorher erhielt ich einen Gevatter
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Brief von einem meiner würdigsten Landsleute und Freunde, der die gantze
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Sache auf eine noch gelindere Art hintertrieb und mir einen Both auf den
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Kern meiner Bücher that auch eine
arrham
baar
übersandte.
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Da ich leider! ein lenksamer Geschöpf bin, als es mir anzusehen und oft
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zuträglich ist; so nahm ich den doppelten Wink mit beyden Händen an, und
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begnügte mich, wegen der bereits gehabten und noch zu
erwartenden
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theilenden Unkosten, einigen Ersatz und Raum zu beßern zu gewinnen, auch mich
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vorzügl. schlechter u für mein Gesicht unbrauchbarer Ausgaben und neuer
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Fortsetzungen zu entschlagen.
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Ungeachtet alle meine Hausgenoßen mit mir
zugl.
Zeit vom Fieber theils
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überfallen theils bedroht wurden, bin ich doch so glücklich gewesen mit einem
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einzigen
Recidiv
davon zu kommen,
ohngeachtet
trotz der Besorgnis
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meines Artzts bey einer so ungünstigen Jahreszeit. Wie viel ich bey einer
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zehnjährigen einfachen, sitzenden und traurigen Lebensart aufgesammelt: so hoff
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ich dennoch wieder auf eine zeitlang erleichtert, und hab nur noch für die
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Gesundheit meiner guten Hausmutter Ursache besorgt zu seyn.
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Zwar war ich kaum im stande mich die ersten Wochen aus dem Bette zu
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rühren; konnte aber mit leichterem Kopf und Gemüthe lesen und denken als
S. 276
gegenwärtig, und hatte den Vortheil, in einen außerordentl. festen Schlaf
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bey einbrechender Hitze zu versinken. Ich habe damals Muße gehabt unsers
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Freundes Eberhards Apologie des Sokrates dritte bis viertehalb mal
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durchzulesen und erst recht kennen zu lernen – vielleicht in einer mit des Verfaßers
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seiner etwas correspondirenden Lage. Sein Geschmack an philosophischen
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Untersuchungen hat mich desto neugieriger gemacht nach seiner Preisschrift,
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wo ich mir gewünscht ihn in seinem rechten Element zu finden. Den 2ten
huj.
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am Geburtstage meiner kleinsten Tochter war einer meiner hiesigen ältesten
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Freunde so gütig mich damit zu er
greifen
freuen. Da ich kurz vorher zum
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ersten mal in meinem Leben mit Leibnitzens
Theodicée
hatte fertig werden
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können: so war es mir desto angenehmer in der neuen Theorie des Denkens
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u Empfindens das Andenken dieses großen Mannes erneuert zu finden, seine
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so übel verstandene Monadenlehre und
harmoniam praestabilitam.
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Ungeachtet meines Vorurtheils für
Cartesii Methodum
und die unvermeidliche
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Hypothesensucht aller systematischen Nachfolger: scheinen selbige doch alle,
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ohne ihr Wißen und wider ihren Willen, mehr den Geist der Philosophie
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unterdrückt als befördert zu haben, und
da
es würde vielleicht eben so
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schwer seyn in allen diesen Schulen ihre wahre Gestalt zu erkennen als das
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Christentum in den herrschenden Secten deßelben. Sollten aber die
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Wißenschaften noch länger fortfahren mit den schönen Künsten in der Täuschung zu
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wetteifern: so werden die Gelehrten in der besten Welt bald eben so glücklich
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seyn, als die Kinder im
Philanthropino.
Doch
manum de tabula!
– –
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Verzeyhen Sie mein eilfertiges Geschmier, HöchstzuEhrender Herr und
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Freund! ich bin weder meiner Zeit immer mächtig, noch eben so wenig meiner
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Feder als meiner schweren Zunge. Tausend Glück und alles mögl. Gute zum
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bevorstehenden neuen Jahre! Hab diese Zeilen
provisorie
geschrieben ohne
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zu wißen, wenn und wie sie abgehen werden. Ich empfehle mich Dero
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geneigtem Andenken und habe die Ehre mit der vollkommensten Hochachtung zu
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seyn Ihr ergebenster
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Johann Georg Hamann.
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Sollte der Verdacht 2 hiesiger Kenner gegen das
authentique
Althertum
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gegründet seyn?
33
Von Nicolai:
Nein!
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Adresse:
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Herrn / Herrn Friedr. Nicolai /
zu
/
Berlin:
/ par
Fav.
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Bei der Adresse vermerkt:
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Herrn Profeßor Bernoulli / zur geneigten Bestellung / empfohlen.
G.
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Erhalten-Vermerk von Nicolai auf dem Adressblatt:
39
1777 30
Jan
40
11
Oct h.
Leipz bean. /
Hamann.
Provenienz
Krakau, Jagiellonenbibliothek, Slg. Autographa der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin (ehemalige Berliner Signatur: Acc. ms. 1910. 90).
Bisherige Drucke
[Wilhelm Dorow]: Denkschriften und Briefe zur Charakteristik der Welt und Litteratur. Berlin 1838, 123–126.
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, II 212.
ZH III 274–276, Nr. 475.
Zusätze fremder Hand
276/33 |
Friedrich Nicolai |
276/37 |
Unbekannt |
276/39 –40
|
Friedrich Nicolai |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
274/29 |
καρπον ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: καρπον. |
274/30 |
kleynen ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: kleinen |
275/14 |
ereigneten ]
|
Druckkorruptel; ZH: reignete Korrigiert nach Handschrift Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): ereignete |
275/22 |
übersandte. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: übersandte |
275/29 |
zugl. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: zu gl. |
276/31 |
Althertum ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Altherthum |
276/32 |
|
Die Handschrift ist bei diesem Wort abgerissen. |
276/33 |
Nein! |
Hinzugefügt nach der Handschrift. |