469
248/27
Lieber Freund u. Gevatter H.

28
Eben am Tauftage meines zweiten Buben August, Wolfgang, Siegmund

29
kam Ihr Brief, der beiden Eltern herzl. Freude machte. Ihnen, dem ersten

30
Männlichen Gevatter mit zu Ehren, u. unser aller Geburtsmonath zu

31
verewigen, ward ihm der erste Name August bestimmt u. da Sie die

32
Gevatterschaft mit so viel Liebe u. Treue annahmen, so ward unsre

S. 249
Nachmittagstauffreude noch vollkommener. Es war Mittwoch den 21.
Aug
u. Sonntag

2
mit der Morgenröthe zwischen 3. u. 4. war er gebohren. Die Mutter war bis

3
aufs Ende gesund u. wohl, ob sie sich gleich auf diese Niederkunft etwas

4
fürchtete: noch Sonnabend Mittag kamen 3. Ritter zu Pferde zu unserm Besuch,

5
Benzler
ein sehr guter, stiller, tiefer, einfältiger Mensch, Kleuker u. ein junger

6
D.
Barkhausen: die ich angenommen, weil ich kein
puerperium
so nah

7
glaubte.
w
Wir
waren fast bis 11. Abend an Tisch u. kaum war die

8
Gesellschaft zu Bette: so klopfte
Juno Lucina.
Erst in Gestalt von Schmerzen aus

9
Gurkensallat, die aber bald sich andern Sinns zeigten u.
kurz
bald drauf

10
kam der kleine Trimpel, der mit Kopf u. Händchen zugleich heraus wollte u.

11
also seinen Eingang in die Welt sich selbst erschwerte. Mutter u. Kind waren

12
matt, aber mit dem Tage brachen sie beide auf wie Rosen u. ich ging in die

13
Kirche zu meiner Predigt schon mit voller Freude. Beide befinden sich

14
herrlich, die Mutter ist
schon
ganz gesund u. hält sich nur noch der Vorsicht

15
halben im Bette. Der Kleine, dünkt uns, trägt ganz ihr Bild, wie der erste

16
Freß-
u.
Laufmagister das Meinige haben soll. Mutter u. Kind sind auch

17
so ein Stück zusammen, daß es eine Lust ist zu sehen, wie Eins am andern

18
gedeihet. Die Mutter ist wahre Braut, ein Weinstock mit seiner Rebe, u. der

19
andre Junge läuft, die Gesundheit selbst, umher u. sucht
Tutterpapper
d. i.

20
Zuckerzwieback wie ein Wolf auf, der mit sieben Sinnen wittert. Der zweite

21
wird Abel werden, wie der
Erste
Kain ist, oder
Jakob
zu Esau – geben Sie

22
ihm lieber Fr. u. Gevatter, Ihren Segen!!! –

23
Die andern Pathen sind gewesen, oder überhaupt ists ins Kirchenbuch also

24
eingetragen worden: Den 21. Aug. hat der
Konsist. R.
u. Sup. Hder seinen

25
zweiten Sohn A. W. S.
p
Gevatter:

26
1. Die Fr. von Beschefer (die ihn im Namen aller hielt, der Mutter vom

27
ersten Augenblick beistand, unsre treue Nachbarin, Mutter u. mehr als

28
Mutter, die wir nie wiederfinden

29
2. HE. Hamann, Gelehrter zu K. in Pr.

30
3. HE. Claudius in Darmst.
cum pleno titulo

31
4. HE.
Siegmund
Flachsland in Darmst. Mutterbr.

32
5. HE. geh.
Leg. R.
Göthe zu Weimar,

33
von dem er den Namen Wolfgang führet. Letzterer hat sich gegen uns durch

34
Vorsorge, Zurüstung unsres Hauses
p
in Weimar so gut bezeuget, daß die

35
Mutter, der er auch sein Haus antrug im Fall daß Unseres nicht fertig wäre,

36
u. ich ihm auch diese Stelle zuerkannte. So seid ihr denn gepaart, Genies aus

37
aller Welt Ende u. der Junge müßte Kraft seiner Pathen ein Tollkopf

S. 250
werden, wenn nicht, wie ich hoffe, die Bildung der Mutter ihn vor solchem

2
Unwesen gütig bewahret. Nun, lieber H., freuen Sie sich mit Uns u. mit Ihrem

3
ganzen Hause über die Zwei, Einen zur Rechten u. Einen zur Linken, u.

4
wünschen Sie, oder vielmehr trinken Sie ihnen den guten Kelch des Lebens voll

5
zu. Man schwimmt u. schwebt in solcher Zeit im Meer u. Abgrunde des

6
Wunders u. der Güte Gottes. O wären
sie
am Tauftage, da ihr Brief kam, selbst

7
hier
gewesen!

8
Mit unsrer Reise wirds jetzt schnell gehen,
m
Mitte
Septembers, hoffe ich,

9
gewiß: ich habe heut, bei der Wiederkunft des Grafen nach einer
Incognito

10
Reise, um meine Erlaßung, flugs u. langsam gebeten: gerade an dem Tage,

11
da ich vor 6. Jahren an ihn
schrieb
aus Darmst. schrieb u. mein hiesiges

12
Amt annahm. Morgen ist mein Geburtstag u. zugleich der Geburtstag unsrer

13
Ehe, des ersten Briefchens der Liebe, in dem Alles stand, was im letzten Briefe

14
des Romans zu stehn pflegt. Leider aber feire ich ihn nicht zu Hause,
sondern
hi

15
bin mit einer fatalen, zänkischen Visitation beschäftigt: den Ihrigen,

16
künftigen Dienstag auch nicht: da ich eben auf einer so fatalen Introduktion eines

17
hällischen Waiseninspektors seyn muß. Mittwoch indeß, der
Geburtst.
unsres

18
Ältesten Knaben, soll alle 3. Tage zusammenknüpfen: gebe Gott Ihnen in

19
Ihrem Trübsal u. mir in meinem Tumulte daran viel Freude!!!

20
Und nun, lieber H., werden Sie sich wundern, wie ich von dem u. jenem

21
u. noch nichts von der schweren Beischrift u. Beilage, die Ihnen gewiß zuerst

22
Schrecken gemacht haben wird, schreibe. Hat folgende Bewandniß. Als der

23
Priester zu Anathoth im Vorhofe des Gefängnißes lag, kam des Herrn Wort

24
zu ihm: siehe Dein Vetter wird zu Dir kommen, kauf seinen Acker, denn du

25
hast das nächste Freundrecht dazu u. der Prophet wug ihm das Geld dar.

26
Sie wollen Ihre Bücher verkaufen, die Sie nicht verkaufen müssen, sollen u.

27
dörfen (es sei denn, was Ausschuß u. Ballast ist) denn es sind Freunde Ihrer

28
Jugend u. hier ist also die Hälfte eines
Anleihs
auf diese Bücher, deßen andre

29
Hälfte, geliebts Gott, sobald wir unsre Reise überschlagen, folgen soll. Zwar

30
nicht so verbrieft u. versiegelt als dort beim Propheten, aber lieber

31
Landsmann, Freund u. Gevatter eben so rechtmäßig, Rechtskräftig u. eben als

32
dort: also mit der lauten Fodrung u. Bitte, daß Sie Ihre Bücher nicht

33
verkaufen. Verzeihen Sie den Lappenstreich, den ich
vielleicht
spiele,
w
da
Sie

34
vielleicht
viel mehr
brauchen u. Ihre Bibl. auch so viel mehr werth ist: das schadet

35
aber nichts, ich mache das Anleih auf so viel derselben, als mein Anleih wert

36
ist u. so, lieber Nächster! machen Sie sich
kein
Gewißen u. Bedenken, es also

37
zu nehmen u. gebrauchen. Ist doch beßer, ich gebe sie Dir, als einem andern

S. 251
u. mir hilft Gott, Trotz aller meiner Krümmen u. Engen, in Geldsachen nicht

2
nur nöthig, sondern wenn ichs brauche, herrlich, reichlich u. überflüßig durch;

3
also müssen Sie, lieber H., meine förmliche Tauf- u. Gevatterhypothek nicht

4
verschmähen. Den Ballast aber werfen Sie bei Lindners Gelegenheit, der

5
auch gnug Ballast hat, weg: ich solls u. muß es auch thun vor meiner

6
Abreise u. weiß leider! noch nicht
wo?
oder wie? Da hier nur
die
Tutenkrämer allein

7
kaufen u. ich unmöglich Alles mitschleppen kann. Wollt nur, daß ich wäre, wo

8
ich seyn soll! – Meine Frau, Ihre liebe Gevatterin, unterschreibet die Hypothek

9
mit mir: es war
Ihre
ihre Hand, die Sie auf dem neul. Couvert sahen u.

10
nicht erkannten.

11
Nun noch eine Beilage über die kleinen Stücke Ihres Briefes. Zuerst über

12
die Erziehung Ihres Hans Michel, grämen Sie sich nicht, man richtet doch

13
damit Nichts aus. Mit Sorgen u. mit Grämen
p
Auch mein Hans Christoph

14
war u. ist so unnütz hier, daß ichs oft beklagt, ihn nicht auf seiner

15
Geburtsstäte gelassen zu haben, zu der er auch würklich gehöret. Er geht jetzt seit Jahr

16
u. Tag in die öffentliche Schule u. wenn ich nach Weimar komme, so will ich,

17
wenn die Zeit da ist, ihn wo zu einem guten Mechanischen
Mathematischen

18
Handwerk bringen, wozu er am meisten Lust hat. An Ehrlichkeit u. gutem

19
Verstande fehlts dem Buben nicht (Sie müssen dies Wort nicht Preußisch,

20
sondern oberdeutsch verstehen, der Dialekt meiner Frauen hats in unser Haus

21
gebracht) nur Nachläßigkeit
u.
Fr
Träge – Unbedachtsamkeit u.

22
Unvorsichtigkeit, wovon Ihr erster Wink gleich den ganzen Aufriß zeigte. Dulden Sie sich

23
noch mit Ihrem Nazir, lieber harre noch ein wenig: ich rücke jetzt ja selbst dem

24
Pontif. Max.
zu Deßau näher, u. der Meinige wächst auch zu, den
er
aber, so

25
Gott will, nie sehn oder haben soll. Mir kommt alles erschreckl. vor, wie ein

26
Treibhaus, oder vielmehr wie ein Stall voll Menschlicher Gänse. Als neulich

27
mein Schwager-Jäger hier war, erzählte er von einer neuen Methode,

28
Eichenwälder in 10. Jahren zu machen, wie sie sonst nur in 50 oder 100 würden,

29
daß man den jungen Eichen unter der Erde die Herzwurzel nehme, so schieße

30
über der Erde alles in Stamm u. Äste – das ganze
Arcanum
des

31
Basedowschen Planes liegt glaub ich darin, u.
Ihm
, den ich persönl. kenne, möcht’ ich

32
keine Kälber zu erziehen geben, geschweig Menschen. Kurz, lieber Gev., laßet

33
Euren Zorn übergehn u. harret, wie ein Ackermann wartet auf die köstl.

34
Frucht der Erden – –

35
Mit Penzel hat die Irrung nichts zu sagen. Den Ort im Lemgoer Dreck

36
weiß ich nicht; ich glaub, er war n. 19. wornach Sie ihn nur fragen dörfen,

37
ob Er n. 19. einst in der L. Bibl. gewesen. Sie karakteris. sich mit Zahlen, wie

S. 252
Wilkes u. da ich, Bücherschulden wegen, in den 2. letzten Theilen auch ein

2
paar
Recens
hineingeschmissen: konnte ich nichts als die Zahl des Thiers 666.

3
nehmen. Ich bin aber der Journalkritik feind u. habe nichts als
Lavat
.
Phys
.

4
Th. 1. u. 2.
Gesneri isagoge c. commentario Niclasi
, Pfenning. Apellation

5
für Lavater
angezeigt
. Haben Sie einmal einige Minuten zu verlieren, so

6
lassen Sie sich das Kloackpapier holen. Hinter Lavat. Phys. Th. 2. stehn auch

7
einige Reihen über
Tönnies
Offenb. Joh., die (oder vielmehr den Mann

8
selbst) mir Klaudius sehr gerühmt hatte – – Ist aber alles der Rede nicht

9
werth, u. nur Auswurf, zu dem ich gequält bin, u. wo
ich
mir der

10
Stulgang mit
3.
Thl. bezahlt wurde.

11
Eben am Tauftage bekam ich auch von Klaud. gute Nachricht: daß er sich

12
mit dem Präsid., den er sehr rühmt, ausgesprochen, sich mit seinem Gewerb,

13
das er Menschl. u. gut finde, wohl stehe, daß die Irrung nur am ersten

14
Mitgliede der Commißion
gelegen,
– was ich auch Alles zum Theil glaube. Laßen Sie

15
sich also desto weniger etwas merken, da er mir ausdrückl. schreibt, daß ich gegen

16
niemand nichts
auftischen
soll, das denn auch meine Sache nicht ist. Mich

17
freuts, daß er sich der Sache
annimmt
. Anlage zu arbeiten hat er
gnug
,

18
nicht aber
Trieb:
er will wie die Lilie auf dem Felde leben.

19
Nun lieber H., in Weimar oder wo es sey, sehn wir uns gewiß: Ihren

20
Pathen u. Ihre Gevatterin müssen Sie u. diese Sie sehen, auch wir beide sehn

21
uns ja als 2. neue Menschen u. sagen beide vielleicht:
fuimus Troes!
– Der

22
Verfolg meiner Urk. liegt noch im Abgrund meiner Seele: ich
will
f
wills

23
Gott, meine Kinder mit den Theilen derselben bezeichnen: wenn der 3te

24
kommt, soll Th. 5–
7.
folgen, u. wenn ich Th.
5.
anfange wird, hoff ich, der

25
3te seiner Pflicht zu kommen, eingedenk seyn. Es ist schwer, von Embryonen

26
zu reden oder was bestimtes zu denken, so gehts mir mit dem Buche. Leider!

27
schläft mein Feuer auch itzt ganz u. wird in der ersten Zeit zu Weim. gewiß

28
noch mehr schlafen. Wie es mir mit meinem ersten Beitrage, zu dem ich
NB.

29
ersucht war, im Merkur
gegangen
ist, mag Ihnen
Hutten
, Monat Julius

30
zeigen: ich habe
ich
ihn heut gekriegt u. mich recht geärgert, endlich mich
mit

31
dem
durch das Wort „es ist deiner Sünde Schuld“ mit mir selbst

32
zufrieden zu stellen gesucht. Laß laufen! – für Kleuker samle ich soviel ich kann

33
von Ihren Schriften. Es geht noch
erschreckl.
in dem Menschen über u.

34
über, wie Sie auch aus seiner neulichen Schrift „Menschlicher Versuch über den

35
Sohn Gottes u. der Menschen“ sehen werden,
das
die er mir neul.

36
unvermuthet zugeschickt hat u. ich leider! noch nicht ausgelesen habe. Er arbeitet

37
indeß
mit sich u. wenn Lebensumstände dazu kommen, nur erst seine erste

S. 253
Anmaassung
den alten Adam in uns, u. zugleich den Keim zu allem Guten

2
einzugleisen; so wird er gehöfelt werden. Ihr Brief würde ihn sehr erfreuen:

3
er macht Wunderwerks aus Ihnen. Für mich ist er noch zu erschrecklich von

4
Göttingscher Theol. Philos. Polyhistorie voll, ob er gleich auf dies Alles speit

5
u. dagegen brauset. Von Lavat. habe ich lange keine Briefe: mich freuts, daß

6
Ihnen Ihr Bild zu so guter Stunde kam u. ich war auf der Seite des Briefs

7
ganz bei Ihnen. Ich soll auch drinn seyn, aber äußerst verunziert. Wo

8
möglich, schicken Sie mir doch Ihren Schatten im Profil. Sie sollen auch unsre

9
sämmtl. und sonders haben.

10
Nun, lieber H., ich bin vom Schreiben schon krumm u. muß noch an eine

11
leidige Kirchenrechnung, nebst andern Skripturen. Gehabt Euch wohl u.

12
denkt unser in Liebe u. Freundschaft. Meine Wöchnerin näht mit eigner Hand

13
die Hypothek auf u. grüßt Sie herzlich. Gott gebe Ihnen Licht u. Athem in

14
Ihrer Höle.

15
H.


16
Eberh. Preisschr. ist übers Denken u. Empfinden, als 2. seynsollende, von

17
einander wesentl. unterschiedne Urkräfte der Menschl. Seele nach Sulzers

18
Hypoth. Da ist nun gefragt, wie beide sich in Länge, Breite, Höhe u.

19
Vermischung zu einander verhalten. Die neue Aufgabe habe noch nicht gesehen:

20
fällt sie Ihnen im
Journal lit. dedié au Roi
oder sonst in die Hände, so

21
theilen Sie selbe mir doch mit. Ich möchte gern für meinen 2ten Buben noch

22
1mal eine Münze haben: die 2te ließ ich mir in Golde schicken u. dachte, die

23
3te müste mir werden. Und sie soll mir auch werden: denn hör ich auf u. laß

24
andre laufen. – – Noch Einen Brief bekomme ich Ihrem Versprechen nach,

25
hier.


26
Von fremder Hand:
24. Aug. 776

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 140–143.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, V 181–184.

Herders Briefe an Joh. Georg Hamann. Im Originaltext hg. von Otto Hoffmann. Berlin 1889, 116–121.

ZH III 248–253, Nr. 469.

Zusätze fremder Hand

253/26
Unbekannt