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S. 224
Kgsberg den 29 März 76.
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HöchstzuEhrender Herr
Doctor
und Freund,
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Bey unserm vorgestrigen Abschied meines ältesten Freundes
au revoir
hat
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es sein Bewenden gehabt. Sie wißen, daß gleich dieselbe Nacht der heiße
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Brand sich einstellte nach Ihrem hier eingegangenen Schreiben. Ich war
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gestern früh noch an der Tür, wo mir beyde Artzte entgegenkamen nebst der
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Frau
Schwester
Pfarrin Strauchin. Weil mir alle aber versicherten, daß er
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seiner nicht mehr recht bewußt wäre: so erlaubte mir meine Wehmuth nicht
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ein überflüßiger Zeuge seiner Leiden zu seyn. Die Unruhe hat dergestalt
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zugenommen, daß er noch aufstehen wollen um einen Brief zu schreiben. Er hat
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mit zitternder Hand und mit vieler Angst einige Zeilen aufgesetzt, welche an
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die Regierung zu seyn scheinen und ist darauf sehr ruhig geworden, hat auch
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noch einige Zeilen an seine beyde HEn Brüder geschrieben. – Mittags Licht
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gefordert – und von 3 Uhr Nachmittag in völligem Unbewustseyn seinem seel.
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Ende sanft entgegengerückt, nach Mitternacht, in der ersten Stunde des obigen
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heutigen
dati,
im HErrn eingeschlafen
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Ich rung gestern Abend, nach vollbrachtem Posttage auf meinem Bu
reau,
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auch bereits ausgekleidet, mit mir selbst, ob ich nicht noch hingehen sollte.
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Weil ich mich aber selbst nicht recht wohl befand und meine Gemüthsruhe
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soviel wie mögl. schonen muß: so hätte ich einen sauren Weg umsonst gethan,
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da ihn von 3 Uhr Nachmittag Niemand mehr zu sehen bekommen –
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Das höchste also, was man vom Versuche des Pulvers hätte erwarten
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können, wäre eine Verlängerung seiner Noth gewesen und noch mehr in
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Ansehung der Lebenden. Die Frau Consistorialräthin hat eine außerordentliche
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und recht männliche Standhaftigkeit bewiesen – hat die letzte Nächte in seinem
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Hause zugebracht, ohne wie Sie erachten können, viel geschlafen zu haben –
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Was die Fr. Pfarr
Strauchin
ausgestanden, wird Sie am besten Selbst wis-
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sen, da sie vor ungefehr acht Tagen für das Leben Ihres Kindes zugl. besorgt
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war – Ich habe diese würdige Frau erst jetzt kennen lernen, und wie ich hoffe,
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daß Gott Sie für ihre Treue vergelten wird: so bin ich eben so sehr versichert,
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daß meine beyde Freunde
Lindner
Ihr Gutes und Barmherzigkeit thun
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werden für das, was sie Ihrem ältesten seel. Bruder gethan hat.
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Der Abgang der Post, die mich voriges mal übereilte und Etwas in meinen
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Empfindungen haben mir nicht erlaubt der Frau Consistor. Rathin u Fr
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Pfarrin beyderseitiges dringendes Gesuch anzuhängen, daß wenigstens Einer
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von Ihnen seine Herüberkunft
beschleunigen
möchte, weil man gleich nach
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dem Absterben zu einer Versiegelung aller Sachen durch einen
Notar
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schreiten würde –
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Lauson und mir hat
e
Er ausdrückl. aufgetragen für seine Bibliothek
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zu sorgen und an den
Catalogum
derselben zu arbeiten, wobey er mir
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mündlich erlaubt meinen Freund
Pentzel,
den er auch noch einmal mit
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mir in seiner Krankheit gehabt (am Ascher-Mittwoche) zu Hülfe nehmen zu
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können.
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Ihre zärtliche brüderliche Liebe, Ihr zuversichtliches Vertrauen habe aus
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Ihren zween Briefen ersehen, und es thut mir leid daß Ihr häusliches und
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einheimisches Leiden durch gegenwärtige traurige Bothschaft vermehrt
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werden muß; unterdeßen haben Sie weit mehr Ursache Gott für die viele Gnade
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zu danken mit
uns allen hier
, daß unser seel. Freund u Bruder gewürdigt
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worden so frühe und bald durch Leiden vollkommen zu werden.
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Er hat vom Anfange seiner Krankheit an sich zu Seinem Tode gefast
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gemacht, und sowohl
Zeit als Lust
gehabt sein Haus im eigentlichsten
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Verstande bis
auf
die
geringste Kleinigkeiten
zu bestellen, bis auf das Lied
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vorgeschrieben, das man ihm beym Verscheiden noch vorsingen
sollte
: „Wenn mein
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Stündl. vorhanden ist“ – Ich habe ihn bis auf die letzten Tage fast immer
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arbeiten gefunden und mehr als einmal im halben Scherze gesagt: daß er
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noch mit der Feder in der Hand verscheiden würde, welches beynahe
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eingetroffen, da er gestern noch so viele Zeilen mit zitternder sterbender Hand
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geschrieben.
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Mich hat sein Siechbette sehr erbaut; so wie unsere Freundschaft seit der
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letzten Hälfte des vorigen Jahrs von neuen wider gegrünt hat und zur vorigen
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Vertraulichkeit unserer Jugend zurückkehrte, welche durch meine eingezogene
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Lebensart und
S
seine Amts- Beruffs- und übrige Zerstreuungen ziemlich
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unterbrochen worden war.
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Erfreuen Sie uns bald mit Ihrer Herüberkunft und persönlichen
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Gegenwart. Gott hat mir eine kleine baufällige Hütte und 3 gesunde Kinder
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gegeben, die mir den Kopf bisweilen recht warm machen, aber zugl. meine
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gröste Freude und Wonne sind, und denen nichts als Vater und Mutter zur
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Erziehung
fehlt. Nun es wird alles zu seiner Zeit kommen. Wer Leben und
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Gesundheit giebt, wird es auch an der Hülle und Fülle nicht mangeln laßen –
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und an dem übrigen Zubehör dieses eiteln Lebens unter der Sonne.
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Empfehlen Sie mich bestens Ihrer Frau Gemalin, deren Widerherstellung
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ich herzlich wünsche. Gott erhalte Ihre liebe Familie unversehrt und vermehre
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Selbige – Ich umarme Sie und die Ihrigen sämtlich und sonders und
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empfehle Sie dem Schutz des Allerhöchsten als Ihr alter aufrichtig ergebenster
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Freund und Diener
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Hamann.
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Lauson hat mir gl. seine freundschaftlichste Grüße aufgetragen. Einschluß
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an HE Bruder bitte zu besorgen, weil nicht recht weiß wohin.
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den 30 März auf der
Lotterie Direction
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Liebster
Doctor
komm eben von der Frau Consistorialräthin, die mir gantz
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gewiß versprach Selbst zu schreiben. Es ist Ihr aber nicht mögl. gewesen; ich
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kann es mir am besten vorstellen, da ich weiß wie mir über und bey diesem
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Geschmier zu Muthe gewesen. Sonst hatt sie sich diese Nacht durch den Schlaf
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etwas erholt – und Gott schenkt Ihr außerordentl. Gnade u mehr als männl.
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Stärke. Sie läßt durch mich melden, daß bereits alles versiegelt worden. (Die
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Leiche fand auch nicht mehr im
Auditorio
sondern ist schon im Gewölbe.) Sie
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werden beyderseits flehentlich gebeten, daß wenigstens einer als des zweiten
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Bevollmächtigter so bald und geschwind als mögl. überkommen soll. Thun
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Sie Ihr bestes diesen Willen Ihrer lieben alten Mutter, worinn zugl. der letzte
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Wunsch u die letzte Hoffnung Ihres seel. Bruders bestand, zu erfüllen. Ich
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umarme Sie mit herzlicher Freundschaft, grüße tausende mal Ihre liebe
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Gemalin, Kranke und gesunde Kinder – und hiemit Gott empfohlen.
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Lauson habe die Ankündigung in den Zeitungen überlaßen, als seinem
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ältesten Freunde, und ihm des
s
Seel. Vorschrift gesagt.
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Adresse mit schwarzem Lacksiegelrest:
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à Monsieur / Monsieur Lindner / Docteur en Medecine / tres celebre / à /
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Mitow
. / par
faveur
.
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 3.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, V 167–169.
ZH III 224–226, Nr. 464.