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Grünhof den
10 Jun. 1755,

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Herzlich Geliebteste Eltern,

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Ich kann es mir selbst zuschreiben, wenn ich so lange keine Nachrichten von

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meinen lieben Eltern, an die ich täglich denke, v tägl. habe schreiben wollen,

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bekommen habe. Wenn Ihnen mein langes Stillschweigen einige Sorgen

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gemacht, bitte ich um Verzeyhung derselben. Meine Entschuldigungen liegen

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bloß in Zeit v. Umständen. Die Cur, welche ich glücklich zu Ende gebracht, hat

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mich ein wenig magerer aber Gott Lob! leidlich gesund zurückgelaßen. Man

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ist hier auf die andern Güter gereist v ich erwarte sie diese Woche, bin daher mit

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meinen jungen Heerschaften allein. Daher gehen seltener Gelegenheiten,

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unordentlicher wegen der Feldarbeit v dieser Abwesenheit; sie kommen des

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Nachts v sind mit anbrechendem Tage schon wieder auf dem Wege pp. Mehr

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Aufsicht, weniger Einsamkeit, indem ich sie beständig um mir haben muß;

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folglich verdrüslicher und müder dadurch ppp.

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Brief
nicht überliefert
Mein lieber Vater haben mir neulich einen sehr langen Brief geschrieben;

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in dem
er
Sie die glückliche Genesung
seiner
Ihrer Entkräftung mir

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Zinks
nicht ermittelt
gemeldet v die Geschichte eines Freyers, des ehrl. Zinks, mir erzählen, dem ich

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nebst seiner jungen Wittwe viel Glück v Seegen wünsche. Er wird doch wohl

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mit seinem Nebenbuler in keine Verdrieslichkeiten kommen; ich wundere

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mich, daß dieser Mensch sich noch in Königsberg aufhalten darf, von dem ich

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lange geglaubt, daß er ich weiß nicht wo? wäre. Uebrigens, lieber Papa,

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glauben Sie nur vor der Zeit ganz ruhig, daß die Ehrlichkeit da aufhört, wo der

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Eigennutz anfängt, daß die meisten Menschen die vierte Bitte im Vater Unser

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vgl.
Lk 12,24
u.
Ps 147,9
wie die jungen Raben thun, daß Gott auch ihre Stimme erhört, aber noch

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weniger den Gerechten und seinen Saamen es an Brodt fehlen läst, v daß

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wir uns bey geseegneten Bißen glücklicher als gemästeten Ochsen befinden.

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Ich wünschte, v ich habe die Hofnung immer gehabt, daß Sie einen Entschluß,

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den Sie schon so frühe gefast v. an den ich Sie jetzt nicht erinnern mag,

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ausführen würden. Würden Sie nicht ruhiger leben können? Haben Sie an Ihren

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Kindern nicht genung gethan, daß Sie selbige erziehen laßen? v. der
Welt

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Stadt zum Beste
rn
n im Großen genung gearbeitet. Sollten Sie sich nach

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einem Stande nicht sehnen, wo Sie nicht von
z
so viel Leuten abhängen

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dürfen, für deren Aufenthalt, Aufführung v. Geschicklichkeit sie arbeiten v

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sich ärgern müßen, die sich selbst vielleicht mehr als Ihrem Herrn verdienen

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v bisweilen mehr zerstreuen als einbringen? Wenn Sie jemandem alles

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abtreten möchten, zu dem Sie Vertrauen hätten, würde der nicht andern die

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Stange halten und bey Ihrem Namen sich die Gunst der Leute zu Nutz

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machen v
s
Sie aller Verdrüßlichkeiten v entkräftender Geschäfte überheben

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können. Sie scheinen mit demjenigen, der jetzt an Zinks Stelle getreten,

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zufrieden zu seyn. Vergeben Sie mir, wenn mir dieser Plan jetzt noch möglicher

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v. nöthiger scheint als Ihnen vor so viel Jahren. Ich glaube nicht, Sie

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hiedurch beleidigt zu haben, daß ich mich dieser angenehmen Vorstellung eines

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ruhigen Alters vor Ihnen so weit nachgehängt.

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Meine liebe Mutter befindet sich GottLob gesund ich freue mich darüber; sie liebt

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mich noch, ohngeachtet sie nicht an mich schreibt. Sie wird mir wenigstens bald

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einen Aufsatz von Leinwand schicken, den ich hier noch wo es mögl. lieber als

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später zu erhalten wünschte. Herr
Vernizobre
muß schon abgegangen seyn; ich freue

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mich auf alle die Antworten, die er mir auf meine Fragen wird geben können.

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Es ist mir lieb, daß mein Bruder fleißig ist. Ich werde ihm selbst ein paar

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Worte beylegen. Die Gelegenheit eilt zum Abbruch. Ich habe zu einer

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außerordentlichen Zeit schreiben müßen; weil selbige unvermuthet sich findt v bald

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abgehen wird.

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Gott schenke Ihnen Herzlich geliebteste Eltern, beyderseits Gesundheit. Wir

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Meyhof
Gutsbesitz der v. Wittens; wohl Meijas muiža (Maihof) in Jelgava/Mitau, Lettland [56° 39’ N, 23° 42’ O]
möchten vielleicht, so bald Ihre Excell. zu Hause können, nach Meyhof gehen;

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Mietau
heute Jelgava, Lettland [56° 39′ N, 23° 43′ O] (40 km südwestlich von Riga)
addressi
ren Sie ihren Brief nach Mietau auf sicherste: abzugeben bey des HE.

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D. Lindners
HochEdelgeb. Lieben Sie mich, beten Sie, aber sorgen Sie nicht

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für mich. Ich empfehle mich Ihnen mit einem tausendmaligen Handkuß v

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bitte alle gute Freunde auch die Jgfr. Degnerinn zu grüßen. Mit der

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kindlichsten Hochachtung nenne mich Ihren gehorsamst ergebensten Sohn.

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Johann George Hamann.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 1 (28).

Bisherige Drucke

Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, I 69 f.

ZH I 113 f., Nr. 45.