277
275/7
Königsberg den
28 Novbr 64.
8
Herzlich geliebtester Freund,
9
Ich schrieb eben nach Braunschweig, als Ihren letzten Brief erhielt. Weil
10
ich selbigen ohnmögl. erbrechen konnte ohne das Siegel der Einlage zu
11
beschädigen, so wurde selbige aufgerißen und ich daher genöthigt mit dem
12
beschädigten Briefe selbst zur Mama zu laufen, um mich theils zu entschuldigen,
13
theils durch den Augenschein von der Unmöglichkeit mehrerer Vorsicht, als
14
ich wirklich anwenden können, zu überführen.
15
HE Herder
Johann Gottfried Herder
HE Herder wird bey Empfang dieses vermuthl. angelangt seyn. Weil kein
16
Fuhrmann in der unglückl. Woche abgehen können so ist der Verzug von acht
17
Tagen nicht ihm zuzurechnen. Außerdem waren alle Handwerker außer Arbeit
18
daß die zur Abreise nothwendigste Sachen nicht früh genug hätten fertig
19
werden können, gesetzt daß auch ein Fuhrmann abgegangen wäre.
20
HE. Kanter
Johann Jakob Kanter
HE. Kanter besuchte uns vorigen letzten
Sontag
im Kirchenjahr
das heißt mit
sr
Frau Gemalin. Er that Vorschläge zu einem
Logis
22
Münzmeister
Johann Julius Göschen
bey der Frau oder den HE Münzmeister. Da Sie die Haushaltung kennen
23
werden, weil sie aus St Petersburg zurück gekommen sind; so machte einige
24
Einwendungen, die Sie vielleicht genehmigen werden. Ich erwarte hierüber
25
Ihre nähere Gesinnungen.
26
Da Sie mir schon eine Erklärung wegen Ihrer Bibliothek gethan, die nach
27
meines Herzens Sinn ist; so eile ich heute Ihnen unsern gemeinschaftl. Rath,
28
HE Bruder
Gottlob Immanuel Lindner
an den Mama und HE Bruder Antheil nehmen, zu berichten, ja alles was
29
Sie an Hausgeräth erhalten können, nicht zu verkaufen; weil hier dergl.
30
Sachen theils gar nicht zu haben, theils unerhört kostbar sind. Die Fracht im
31
besten Winter mag so theuer seyn wie sie will; so gewinnen Sie immer dabey,
32
und HE Kanters Vorschlag Sie mit
dem
einem Schiff im Sommer nach
33
Dantzig zu schicken und von da hieher, ist gleichfalls annehmungswerth.
34
Schonen Sie also liebster Freund, um so kurz als mögl. meinen Sinn
35
zusammen zu faßen,
Effect
en mehr als Geld –
S. 276
mildthätige Beytrag
Spendensammlung für die Geschädigten des Großbrandes vom 10./11. November in Königsberg
Melden Sie mir doch wie viel der mildthätige Beytrag unserer dortigen
2
Landsleute ausgemacht hat, der mit voriger Post abgeschickt worden.
3
Mein Bruder macht jetzt einen Ueberschlag seines Verlustes, nach dem die
4
8441
416 fl. 6 gl.
fl.: Gulden, Goldmünze, hier aber vmtl. 1 polnischer Gulden, eine Silbermünze, entsprach 30 Groschen oder weniger; gl.: Groschen (Silbermünze [ca. 24. Teil eines Talers] oder Kupfermünze [ca. 90. Teil eines Talers], in Königsberg war der Kupfergroschen üblich), für 8 Groschen gab es ca. zwei Pfund Schweinefleisch.
Materie der neuen Bücher die ihm verbrannt 416 fl. 6 gl. die alten 150 fl. und
5
das übrige Geräth 300 fl. beträgt. Wie viel herauskommen wird, mag die
6
Zeit lehren. Er kann sn Schaden gut 1000 fl. aber auch eben so gut
nichts
7
rechnen. Auch Seine Züchtigungen sind Wohlthaten, und was man Glück
8
nennt ein gefährliches Eis. Er macht aus Erde Laub, und verwandelt Laub
9
wieder in Erde. Wir verstehen Seine Regierung nicht und wagen immer zu
10
viel selbige zu loben oder zu tadeln.
11
Haberberge
Stadtteil von Königsberg, südlich des Natangischen Pregels und des Kneiphofs
Ich habe gestern einer Hochzeit auf dem Haberberge beygewohnt, wo ich
12
Wärterin
nicht ermittelt
meine alte Wärterin von 80 Jahren mit vielem Vergnügen gesehen. Die
13
3 Schwestern
nicht ermittelt; sie haben wohl bei der Brandbekämpfung geholfen
3 Schwestern aus diesem Hause kamen in der Noth zu uns gelaufen uns
14
ausräumen zu helfen und diese redl. Gesinnung erforderte einige
15
Erkenntlichkeit.
16
HE Bruder
Johann Ehregott Friedrich Lindner
HE Bruder besucht mich gleichfalls nach Empfang Ihres letzten Schreibens
17
und befindt sich Gottlob gesund und zieml. munter. Ich denke ihm diese
18
Woche
gleichfalls
zuzusprechen und sn kleinen August zum erstenmal zu
19
umarmen.
20
Geben Sie uns bald Nachrichten, und erfreuen Sie uns mit Ihrer
21
Gegenwart. Mein alter Vater freut sich auch darauf. Ich umarme Sie und ersterbe
22
Ihr treuergebenster Freund
23
Hamann.
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (113).
ZH II 275 f., Nr. 277.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
275/20 |
Sontag ]
|
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH: Sonntag |
275/21 |
sr ]
|
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH: sr. |