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270/14
Königsberg den
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ten
Octobr:
64.
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Herzlich geliebtester Freund,
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Sie können leicht erachten, wie mir nach dem besten Winter verlangt, der
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uns Ihre Ankunft verspricht. Wir wollen alles übrige bis dahin versparen und
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Feder und Dinte schonen, bis wir uns einander sehen werden von Angesicht zu
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Angesicht. Der dringende Innhalt des gegenwärtigen betrift meinen Freund
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Herder
Johann Gottfried Herder
Herder, und der Anfang ist der zärtlichste Dank für Ihre schon
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zuvorkommende Sorgfalt und Treue in dieser Angelegenheit. Bey einem ziemlichen
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Umfange historischer, philosophischer und ästhetischer Einsichten und einer
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großen Lust den fruchtbarsten Boden anzubauen, bey einer mehr als
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mittelmäßigen Erfahrung der Schularbeiten und einer sehr glücklichen Leichtigkeit
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sich zu bequemen und seine Gegenstände zu behandeln, besitzt er die
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Virgils
Vergil
Parthenios
Parthenias, Beiname des Vergil: der Jungfräuliche
jungfräuliche Seele eines Virgils, den Rom
Parthenios
hat, und die Reitzbarkeit des
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Gefühls, welche mir den Umgang der Liefländer immer so angenehm gemacht
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und dem Winkelmann ein so erbauliches Sendschreiben in die Feder geflößt
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Gesellschafft Ihrer jetzigen Landsleute
die Freundschaft mit der Familie Berens
hat. Sie wißen es noch, liebster Freund, wie sehr mir immer die Gesellschafft
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Ihrer jetzigen Landsleute in meiner Jugend gefiel und die Idee eines
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Liefländers war damals das Oel, welches die eiserne Räder einer spartanischen
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Sin
Denkungsart
vor dem Rost bewahrte, der mich nun unbrauchbar macht. Ich kann
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Ihnen
also
nach meinem besten Gewißen versichern, daß Sie an diesem
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triefenden Augen
wegen einer Fistel
liebenswürdigen Jüngling mit etwas triefenden Augen, ein Andenken bey Ihrer
S. 271
Schule hinterlaßen werden, das Ihre übrige Verdienste um selbige krönen
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wird. (Hintz ist mein guter Freund und ich weiß jetzt nichts von ihm. Daß er
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ein Pohl ist, dafür kann er nicht. Wenn er aber
klüger
und
ehrlicher
gewesen
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wäre: so würde er selbst, Sie und ich dabey gewonnen haben.) Nach dieser
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HE. Bruder
Gottlob Immanuel Lindner
kleinen
Parenthese
auf Ihren HE. Bruder zu kommen: so war sein Vorsatz
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dies Frühjahr abzugehen. Mit der
Theologie
ist es seiner Saage nach vorbey
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und er möchte am liebsten
Medicus
werden. Aus Frankf. habe 2 mal
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geschrieben aber keine Antwort erhalten. Mit meinem eignen habe schon in
14
Tagen
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einen guten Anfang gemacht muß aber die Hand zurück ziehen, – Hier kam
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HE. Doctor
Johann Ehregott Friedrich Lindner
Venus Metaphysique
Lindner,
Vénus métaphysique
der HE.
Doctor
auf ein Paar Stunden um die
Venus Metaphysique
& etc zu
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haben. Wir werden uns alle mögl. Mühe geben selbige aufzutreiben. – Daß
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ich mit meinem Bruder wieder abbrechen müßen, daran ist mit zum Theil Ihr
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HE. M. S.
Martin Friedrich Siebert
Schwager HE.
M. S.
schuld. Sie wißen daß ich nicht gern am fremden Joch
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poetischen Versuchen
Pfeffel,
Poetische Versuche in drey Büchern
ziehen
mag –
HE Hofr. Pfeffel hat außer poetischen Versuchen in 3 Büchern
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Philemon und Baucis
Pfeffel,
Philemon und Baucis
u. andern noch ungleichern Arbeiten den Philemon und Baucis geschrieben.
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Behalten Sie ja Ihre Bemühungen für meinen Freund Herder
in petto
und
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beschleunigen Sie die Ausfertigung seines Berufs, auch alles übrige zu seiner
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precor et serues...
„[navis, quae tibi creditum debes Vergilium finibus Atticis; reddas incolumem] precor et serves animae dimidium meae“, dt. „[Schiff, das du den dir anvertrauten / schuldest, Vergil. Dem Gestade Attikas / bringe ihn unversehrt, so bete ich, / und] behüte die Hälfte meiner Seele!“ (
Hor.
carm.
, I,3,5–8)
dortigen vortheilhaften Einrichtung –
precor et serues animae dimidium
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meae. Horat.
Ich umarme Sie und bitte um einige Nachricht, wenn es Zeit
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ist, wegen Ihrer Bibliothek. Brauchen Sie alle mögl. Sorgfalt nichts zu
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verlieren aber auch nichts unnöthiges mit sich zu schleppen. Mein Vater empfiehlt
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sich
mit dem ich übrigens nicht recht zufrieden bin. Leben Sie wohl und
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vergeßen Sie nicht Ihren alten treu ergebenen Freund und Diener
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Hamann.
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Adresse:
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à Monsieur / Monsieur
Lindner
/ Maitre de la Philosophie / et de belles
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lettres, Recteur / du College Cathedral de et / à
Riga
.
Provenienz
Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 4.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 302.
ZH II 270 f., Nr. 274.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
270/14 |
17 ten |
Geändert nach der Handschrift; ZH: 17″ |
270/14 |
Octobr: |
Geändert nach der Handschrift; ZH: octobr: |
270/32 |
Sin Denkungsart ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Denkungsart |
271/8 |
14 ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: 14 |
271/14 |
mag – ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: mag –. |
271/22 |
sich ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: sich, |
271/26 |
Lindner |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Lindner |