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Aus einem Briefe vom Vorgebürge der guten Hofnung.
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Den 8. Septbr. 1783.
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– Ich lebe hier übrigens recht vergnügt. Man hat in der Stadt angenehme
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Gesellschaften und artigen Zeitvertreib. Die hier Eingebohrnen scheinen mir
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freilich in Kenntnissen gar weit zurük zu sein; auch fehlt es hier völlig an
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Schulen und Erziehungsanstalten. Die hiesigen Damen übertreffen die Männer
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daher bei weitem. Die erstern besitzen recht feine Lebensart. Sie sprechen, außer
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dem Holländischen, auch alle fertig französisch und engländisch, wegen der
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vielen Fremden beider Nationen, die hier immer ankommen. Daß sie völlig
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französisch gekleidet und aufgesetzt sind, versteht sich von selbst; wohin wäre
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nicht diese Herrschaft Frankreichs gedrungen? Oft mögen sie ihre Haare
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altmodisch genug getragen haben; itzt finde ich sie aber nach dem neuesten Pariser
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Geschmak aufgesetzt, so wie er nemlich zu meiner Zeit in Europa war. Und
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dieses hat ihnen
die Armee von Pondichery
verschaft, bei welcher
eine
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unglaubliche Menge von Friseurs
war.
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Ich bin verschiedenemale auf der Jagd gewesen; man muß dabei immer zu
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Pferde sein, wegen der vielen wilden Thiere, vornemlich der Tiger. Einmal
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stellten wir eine Hyänenjagd an. Löwen und Elephanten sieht man hier äußerst
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selten; sie sind tiefer im Lande hinein. Hirsche und Dammhirsche habe ich in
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Rudeln, von zweihundert stark, beisammen gesehn.
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Seitdem der Chirurgus
Riebek
vor 130 Jahren zuerst diese Kolonie stiftete,
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hat sie sich sehr vermehrt, und ins Land hinein wohl an 300 Meilen verbreitet.
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Man findet auf dem Lande eine Art von Patriarchen- oder Nomadenleben, voll
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Gastfreiheit, und ohne Komplimente. Der Landmann (oder will man ihn Bauer
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nennen?) baut hier alle Arten Getreide, vorzüglich aber Weizen, welchen ich in
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meinem Leben nie schöner gesehen habe. Auch wird Weinbau hier viel getrieben.
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Der Wein von
Konstantia
, einem Ort zwei Meilen von der Stadt, ist in
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Europa berühmt genug. Der Eigenthümer dieses Grundstüks heißt
Kluthe
.
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Sonderbar klingt es, wenn man einen ehrlichen alten Bauer ganz ohne
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Umstände von allen Königen in Europa sprechen hört, die von seinem Weine haben
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wollen; in dessen Vertheilung er nach der Gunst verfährt, worin sie bei ihm
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stehen. Jetzt wird
der König von Preussen
von ihm zum besten bedient, weil
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dieser (wie er sagt) zum höflichsten schreibt und zum richtigsten bezahlt. Auf
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andern Ländereien wird auch sehr guter Wein gebaut, der oft genug für ächten
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Konstantia nach Europa geschikt wird.
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Die Leute in der Stadt gewinnen viel Geld damit, daß sie die hier
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anlandenden Fremden beherbergen. Diese Sitte ist so allgemein und hat so wenig
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Schimpfliches, daß, außer dem Gouverneur und noch ein paar andern Personen,
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es alle hiesige Einwohner thun. Um der Sache mehr Anstand zu geben, hat man
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folgende Methode erfunden, die zugleich ganz einträglich ist. Ein Schifskapitän,
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seine Offiziere, und andre Leute vom Stande logiren in einem Hause,
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frühstükken, und essen zu Mittag und Abend mit ihren Wirthen; und bezahlen bei
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der Abreise, jede Person, eine
spanische Matte
*)
für jeden Tag. Dieß ist
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einmal festgesetzt, niemand fragt mehr nach dem Preise, und er wird auch weder
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erhöht noch erniedrigt. Indeß ist dieß für die Fremden auch ganz angenehm.
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Man wohnt ziemlich gut, isset recht gut, genießt der Hausgesellschaft, und am
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Abend hat man im Hause eine Assemblee oder einen Ball, denen man als Glied
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der Familie beiwohnt. Man kann selbst Fremde zu Tische einladen. – Die
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Häuser hier sind nicht schön; doch bequem und ganz artig eingerichtet, vorzüglich
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aber gegen die erstaunliche Hitze die hier herrscht. Gleich beim Eintritt kömmt
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man in eine Art von Gallerie, wo Tische und Stühle stehn; dieß ist der
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Gesellschaftssaal. Dann folgt eine noch größere, wo zu Mittag und Abend gegessen
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wird. Links und rechts sind Schlafzimmer und Wohnstuben für Fremde. Man
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wird hier bloß von Sklaven bedient, mehrentheils Negern. Nur der
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Gouverneur hat weiße Bediente. Die in den Häusern aufwartenden Sklaven sind
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sehr zierlich gekleidet, müssen aber alle bloße Füße tragen. Hier ist also nicht der
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Hut, wie im alten Rom, sondern der
Strumpf
oder
Schuh
das Zeichen der
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Freiheit.
*) Eine Silbermünze, dem
Ludovici
zufolge, ohngefähr 1 Thlr. 3 Gr. A. d. H.
Provenienz
Druck ZH nach Berlinische Monatsschrift. Hg. von F. Gedike u. J. E. Biester. 3. Bd., 3. Stück, März 1784, 282–285. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort unbekannt.
Bisherige Drucke
ZH V 74 f., Nr. 712.