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278/5
den 8 April Palmen Sonntag 781.
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Herzlich geliebtester Freund
7
Heute Gott Lob! Die 54
volumes
des
Voltaire
zu Ende gebracht, womit
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ich den 24 Jänner den Anfang gemacht. Vergeben Sie mir also wenn ich den
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Empfang Ihrer beyden Briefe vom 6 u 15
pr.
nicht eher habe bescheinigen können.
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Mittwoch erhielt den ersten Brief in diesem Jahr vom Gevatter
Asmus,
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Donnerstags von unserm lieben
Collegienassessor
aus St. Petersburg, und
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vorgestern die 30 ersten Bogen der Kritik der reinen Vernunft. Hatte die
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Enthaltsamkeit denselben Tag nichts anzusehen, um mein
Pensum
im Voltaire
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bestreiten zu können. Gestern bin den ganzen Tag zu Hause geblieben und
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nachdem ich mich durch 2 Loth Glauberschen Saltz zubereitet, habe in einem
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Zuge alle 30 Bogen verschluckt – im Capitel über das Intereße der Vernunft
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brach mir der Faden – und ich sollte meynen, daß es dem Buch ebenso wenig
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an Lesern, als Klopstocks deutscher Republick
und
Subscribenten, fehlen wird.
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Ein paar Bogen habe überhüpft, weil Thesis und Antithesis auf
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entgegengesetzten Seiten liefen, und es mir zu sauer wurde den doppelten Faden zu
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bestreiten, in einem rohen Exemplar. Sauber von Druckfehlern scheint es mir
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auch zu seyn; habe ungefehr ein Dutzend in die Augen fallende bemerkt. Die
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Probe von dem Äußerl. ist sehr nach dem Wunsch des Verfaßers gewesen. –
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Dem Ueberschlage nach wird es Aufsehen machen und zu neuen
25
Untersuchungen, Revisionen
p
Anlaß geben. Im Grunde aber möchten sehr
wenige Leser
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dem scholastischen Innhalt gewachsen seyn – Mit dem Fortgange wächst das
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Intereße – und es gibt reitzende und blühende Ruheplätze, nachdem man lange
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im Sande gewatet. Ueberhaupt ist das Werk reichhaltig an Aussichten – und
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Sauerteige zu neuen Gährungen inn- und außerhalb der Facultät. Doch weil
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sich das Schicksal keines Buchs zuverläßig vorherdeuten läßt, so wünsch ich
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wenigstens zu dem warmsten Abgang, nichts von den nöthigen Maasreguln
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bey den gelehrten Herolden zu versäumen, und danke für das
antici
pirte
33
Vergnügen mit sehnsüchtiger Erwartung des
Endes und des Ganzen, vom
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Bogen Hh incl. bis zur Vorrede.
S. 279
Gott gebe daß Weygand ebenso sorgfältig seyn möge mit der Humischen
2
Uebersetzung! Das
Geld habe von HE. v. Auerswald empfangen
. Er
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ist nach dem Regiment abgegangen u hatte wenig Hoffnung – – – –
4
Den 10
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Bin den ganzen Sonntag durch Besuche unterbrochen worden. Kam der
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polnische reformirte Prediger
Wanowski
mit seinem
Neveu,
Prof. Kreutzfeld,
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Secr. Dorow
mit seiner Frau,
Pr.
Kraus,
Mlle
Schimmelpfenningin mit ihrem
8
Chapeau
Brahl (zum Abendbrodt). Gestern habe ich mich den ganzen Tag
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umtreiben müßen zum
Coge intrare
zu Wetzels Wilhelmine, und nicht mehr
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als 5 baare u einen unbaaren angekuppelt –
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Zur Fortsetzung der ersten Seite umzukehren, so wird HE v Auerswald
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kaum die Erlaubnis erhalten noch ein Jahr die hiesigen
Ingenieur
Uebungen
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fortzusetzen. Er freute sich sehr über den Besitz des
Buffons
und dankt nebst
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mir dafür. Ein großer Gefallen würde ihm mit
Buffons
Geschichte der Vögel
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geschehen. Es muß aber die Ausgabe in 12
o
seyn, u. ein
complettes Exempl.
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neml. von allen Theilen die heraus sind. Er läßt Ihnen aber
alle mögl.
17
Zeit zu einer guten
Gelegenheit ein solches
complettes
Exempl. in 12
o
18
hierher zu
expedi
ren.
19
Herder hat mich auf
Temples Denkw
. Aufmerksam
keit
gemacht. Nach
20
unendl. Suchen erhielt ich endl. ein Exemplar, weiß aber gar nicht, was mein
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lieber Gevatter an dem ganzen Buche gefunden, und werde ihn deshalb zur
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Rede stellen.
23
D.
Stark hat sich hier über 14 Tage aufgehalten, zum Theil wegen eines
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Falls, wodurch seine Frau im Umwerfen beschädigt worden. Man sagt, daß
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er dem König vorgestellt werden wird.
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Was ist das für ein liefländischer Himmelsstürmer unsers herrschenden
27
Weltsystems? Nach seiner Claßification der Schriftsteller sollte man ihn für
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einen Layen oder Avtodidacten oder Idioten halten.
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Diedrichs ist gestorben und läst eine schöne Bibl. nach.
Christiani
wichtige
30
Auction
steht uns auch vor, aber der Catalog ist noch im Druck. HE
Courtan
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wird schon Sorge tragen und ich werde auch nicht vergeßen ihn daran zu
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erinnern. Sie bedauerten damals Ihren
besten
Schwager verloren zu haben.
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Ich kenn die engl. und französische Dienstfertigkeit, halt es aber mit der
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deutschen – und der junge
Courtan
scheint mir auch hierinn ein würdiger Sohn
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seines ehrlichen, betriebsamen Vaters zu seyn.
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Für den
Caviar
hab ich mich schon bedankt, ich hab ihn aber aus Memel
37
erhalten –
S. 280
An meinen beyden Recensionen ist nichts. Wer weiß was Sie sich unter dem
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schwäbischen Wörterbuch vorgestellt haben. Ich meynte keinen andern als den
3
Cleß
, auf deßen Namen ich mich nicht besinnen konnte, und diesen kahlen
4
Extract
machte ich bloß, um die Druckfehler des recensirten Blatts zur
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Chronik verlaßen zu können, weil der Abgedruckte Anfang weder Sinn noch
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Verstand hatte, wie Sie aus den für Sie beygelegten zwo Blättern ersehen
7
werden, so bald ich Gelegenheit habe selbige
beyzulegen
zu übermachen. Im
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letzten Vierteljahr des Mercurs 80 ist das Berenssche Stück
recensi
rt und
9
in den neuesten Bänden der Allgem. Bibl. läßt sich selbiges auch leicht aus
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dem Verzeichnis ersehen.
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Schlötzer hat auch bereits den Empfang des Blatts bescheinigt, und wird
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vermuthl. auch davon Gebrauch machen.
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Beyde HE Gevatter in Weimar und Wandsbeck warten auf den Monath
14
May
als den Termin einer neuen Hausfreude und Hausseegens.
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Ich schreibe dieses auf meiner Loge an einem glühenden Ofen bey der
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heutigen Sommerwitterung. Was aus meinem alten Kopf werden wird, weiß
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ich nicht. 54
Voltaire
– 30 Bogen Kritik in Einem Tage – und ein ewiges
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Wirrwarr und Gewühl von mehr als hundert Kleinigkeiten, die mich von
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allen Seiten, Kanten und Ecken necken. Wundern Sie sich also nicht, liebster
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Hartknoch, daß ich keine kluge Zeile zu schreiben imstande bin – vor Freuden
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über jeden Brief auffahre und wie Butter an der Sonne stehe, wenn es zum
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Antworten kommt.
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Wagner ist vor 14 Tagen hier gewesen, da Dängel eben abgereist war wegen
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der
seiner sterbenden Mutter,
wie es hieß
, und die sich gebeßert hat, daß er
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seine Reise ausgesetzt u sich im Oberlande umtreiben soll. Also ist wenig
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Hoffnung, daß aus dem Handel etwas werden wird. Er ist in Lebensgefahr
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gewesen sein Postillon oder Fuhrmann ist ertrunken, und hat vielen Schaden
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an seinen Sachen gelitten.
29
Lese jetzt
Joh. Müllers
Geschichte der Schweitz. Der Verf. ist ein Freund
30
unsers Kraus. Es ist so grauerlich, schauerlich u entzückend geschrieben, als
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das Land selbst.
Le Procès de trois Rois – Londr.
780
p.
192 gr 8
vo
mit einem
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großen Kupfer habe auch anzugucken bekommen, vermittelst eines
33
Durchreisenden. Eine der
confisca
belsten u seltensten Schriften, welche eben nicht
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6 # werth ist. Ich zweifle daß es von
Linguet
geschrieben, vielleicht von eben
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dem Verf. des
Partage de Pologne.
Der Anfang
frappi
rt; aber je weiter
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man liest, desto ermüdender, eckler –
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Die 7 fl. liegen bey mir eingewickelt mit einer
Etiquette
für wen
und
von
S. 281
wem
und
wofür
en depot.
Sind Sie bald imstande die Vögelgeschichte zu
2
schaffen; so werde für Eintreibung des Geldes sorgen. Er liegt in
Bartenstein
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in Garnison, u ich stehe unmittelbar u durch Kraus mit ihm in Verbindung.
4
Haben Sie auch die Londoner u Lausanner Ausgabe des
Voltaire,
die sich
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mit 70 angefangen. Der letzte 54ste Theil ist von 780. Sie wißen also wol
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nicht, ob seitdem ein neuer
Tome
ausgekommen und diese Ausgabe
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geschloßen ist? Hier haben wir Hofnung die neueste Ausgabe von
Beaumarchais
8
zu erhalten. Ich warte auf den Plan, welchen mir
Wagner
versprochen, weil
9
der Oberb. Graf Lust gehabt ihn
für die Schloßbibl
. zu verschreiben. Ist
10
Luchet
über
Volt.
Leben schon heraus und was kostet er? Wenn etwas an
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ihm ist, so würde er auch wol zu Auerswald Bibliothek gehören, der obige
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Ausgabe besitzt und selbige mir zum Gebrauch mitgetheilt hat. Herder hat
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mir seine Preisschrift zugeschickt. Er wird je älter, desto milder u reifer. Ich
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warte mit jedem Posttag auf Sein zweites Bändchen von Briefen.
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Bis dahin Gott empfohlen, der Ihnen Gesundheit, gut Wetter, Ruhe und
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Freude zur Frühlings Cur bescheeren wolle. Henriettchen
Courtan
hat auch
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einen Ausschlag gehabt, der aber ohne Folgen gewesen u nicht lange gewährt;
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hoffe also auch Ihr liebes Töchterchen widerhergestellt. Gott Lob! meine
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Kinder sind gesund und empfehlen sich bestens vorzügl. Hänschen u Lehnchen.
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Lieschen, das Palmensontagskind tritt diesen grünen Donnerstag in ihr
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10tes Jahr.
22
Was macht der arme Berens? Ist er bey seinem Vater und hat er sich
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erholt?
24
Nehmen Sie sich doch, soviel Sie können der Voßischen Odyßee an.
25
Kreutzfeld ist hier
Collecteur,
wird kaum so weit kommen als ich mit meiner
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Wilhelmine Arend. Bin heute bis Nr 12 gekommen, worunter aber nicht alle
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baar noch
liquide
sind. Dies soll auch das letzte Schaarwerk seyn, dem ich
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mich unterziehen werde.
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Stark ist Verf. des Buchs über den Zweck der Freymäurerey. Ihre
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Vergleichung mit Religion habe noch nicht zu Gesicht bekommen, soll aber hier
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seyn. Wißen Sie nicht den Verfaßer davon? Claudius schreibt mir, daß
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Leßings Fortsetzung von Ernst u Falk nicht durch ihn sondern durch einen
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dritten
herausgegeben worden.
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Dem Gerüchte nach wird der König hier erwartet, wenigstens in Preußen;
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schwerlich hier in Osten. Habe das Privilegium Caffe zu trinken, nicht wie
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Esau seine Erstgeburt verschmähen wollen, sondern ungeachtet meines
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Vorsatzes mich auch mit Brennzedeln versehen. Trinke aber des Morgens
S. 282
Baldrian, und nur die Werkeltage Nachmittags, aber Sonntags zweymal.
2
Das Project alle Königl. Bedienten auf Uniformen
à la Soldatesque
zu
3
reduciren ist ein bloßes Gewäsche gewesen, falls ich in meinem letzten auch
4
daran gedacht haben sollte.
5
Noch habe keinen
so langen Brief
von unserm S. Petersburger erhalten
6
als den letzten. So bald ich das verwünschte
Sub
Praenumerations-
7
Geschäfte abgemacht haben werde, denk ich ihm zu antworten.
8
Hier haben wir einen
Silhouetteur
Namens
Sydow
und eine
Silhouetrice,
9
Polkähnin. Dem ersten habe ich u. Hänschen auch geseßen diesen Montag.
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Ob was draus werden wird, weiß ich nicht. Weil mein Barbierer
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ausgeblieben, so war ihm mein langer Bart und meine
wilden
Augenbräunen, wie
12
er mir zu verstehen gab, im Wege.
Me Courtan
erzählte mir
post factum,
daß
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er Ihren Autor Kant um die Erlaubnis gebeten ihn
gratis
abzeichnen zu
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können. Er gab mir auch so etwas zu verstehen, weil er, ich weiß nicht wie,
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erfahren daß ich in seiner
philos
physiognomischen Bibliothek, die er mit
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sich führt, stünde; ich mag aber für meine Thorheiten lieber büßen als selbige
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gratis
begehen. Daher weiß ich nicht, wie wir uns einander einigen werden,
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und trage solange das
honorarium programmaticum
in der Tasche herum
19
bis zur ausgemachten Sache; worauf es beruht, ob ich meine 4 Fräulein;
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die 3 Mädchens mit ihrer Mutter der
Silhouetrice
anvertrauen werde oder
21
nicht.
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Ein lutherisches
Viuit!
zum bevorstehenden Osterfest. Kuß und Gruß an
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die Ihrigen von Ihrem alten Freunde und sämtl. Hausgenoßen.
24
Johann Georg Hamann.
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 5.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 178–180.
ZH IV 278–282, Nr. 616.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
278/18 |
und ]
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Geändert nach Druckbogen 1943; ZH: an |
279/9 |
Coge intrare |
Druckbogen 1943: loge intrave ; der Textfehler geht wohl nicht auf Hamanns Handschrift zurück. |