612
258/25
Kgsberg den 1 Jänner 81.

26
Herzlich geliebtester Landsmann, Gevatter und Freund,

27
Das alte Jahr gieng für mich mit dem schönsten Abendroth unter, und ich

28
war vor Freuden außer mir über den Empfang Ihres trächtigen Briefes.

29
Kreutzfeld, Wedicke ein Hofmeister eines Grafen von Dohna, Bötticher, des

30
Grafen von Lehndorf
Hofmeister
waren Zeugen und ich jug sie alle zum Hause

31
heraus, oder würde es vielmehr gethan haben, wenn sie nicht von selbst gegangen

32
wären. Nicht nur Ihr freundschaftliches Andenken, sondern auch der

33
glückliche Termin, des zwar
geahndeten
aber immer
bezweifelten
Genußes zum

34
Feyerabend, war für mich ein rechter Seegen. Ich bin, bester Herder, so

S. 259
hypochondrisch, daß ich vor Grillen, Feigheit und Unlust beynahe umkomme. Ich

2
komme fast nicht aus dem Hause – und
bin
daher auch für meine Briefe wie für

3
meinen Umgang besorgt, und fürchte mich, durch beydes andere anzustecken,

4
und meinen Trübsinn weiter auszubreiten. Mangel der Bewegung und der

5
Diät, von der einen Seite, Mangel der Nahrung und eines Reitzes für meine

6
Leidenschaften –

7
Bey dieser Laune hatte ich mir schon vor vier Wochen vorgenommen keinem

8
Menschen hier zum Neuen Jahr zu
grat
uliren. Ihr Brief goß auf einmal so

9
viel Oel in meine Lampe, daß ich mich wie neugeboren fühlte; gieng also heute

10
in die Hospitalkirche, um Ihren Einschluß dem Pf. Fischer abzugeben. Durow,

11
Reichards Schwager, sah mich, kam beym Ausgange zu mir, u bat mich bey

12
ihm anzusprechen. Ich gieng also erstlich zum Pf. der aber noch nicht aus der

13
Kirche gekommen war, ungeachtet ich alles zum Ende abgewartet – ließ also

14
den Brief der Dienstbotin, und gieng nahe bey zu
Dorow,
wo ich wieder mein

15
Erwarten die Sechswöchnerin noch in
praesepio
fand und weder Mutter

16
noch Sohn zu sehen bekam, der ein wahrer Riese seyn soll und der Mutter

17
fast das Leben gekostet. Trunk ein Schälchen
Citronelle,
wie mir mein Sohn

18
sagte, der die
Etiquette
der Flasche gelesen hatte und gieng mit meinem

19
kleinen
Scipio
zu Hause um meine letzte Gans zu verzehren – aber leider! es

20
war ein zäher Ganter, und die 12te war mir am heil. Abend vor Weynachten

21
gestohlen worden. Dem ohngeachtet hatte ich die einzige Freundin u

22
Bekanntin die in meinem Hause verkehrt zu Gaste gebeten; mein Sohn brachte sie

23
zu Hause gleich nach Tische, weil sie selbst Besuch erwartete. Und da hab ich

24
bis 5 Uhr
deliberi
rt bey meinem Beichtvater zu gehen, entschloß mich aber

25
lieber den ersten Tag des Jahres an Sie zu schreiben, oder meinen Brief

26
wenigstens
anzufangen

27
So tumm hat sich also das liebe Jahr bey mir angefangen. Bey mir gehen

28
leider! auch Thaten in Seuftzer über; wenigstens daran hat es gestern nicht

29
gefehlt, daß Ihnen der liebe Gott so einen frölichen Anfang schenken möchte,

30
als mir der Beschluß gewesen durch Ihren Brief u Ihr
Dedications Exemplar.

31
Ich habe die Ahnung gehabt, daß mein erkauftes nicht das rechte Exemplar

32
gewesen; welches ich lesen sollte; und weil mir Kreutzfeld mit dem
Original de

33
la Litterature Allemande
wie wol zu spät und zu zweydeutig erfreut, so gab

34
ich ihm auf der Stelle mein erstes Exemplar mit einem
argumento ad

35
hominem
dergl. mir noch bisweilen einfallen und die ich ungern unterdrücke.

36
Von Pf. Fischer hab ich seit der Einl. nichts gesehen nichts gehört – daher

37
mir recht selbige gewünscht diesen Anlaß mich nach seiner Entfernung zu

S. 260
erkundigen, welches ich noch diese Woche zu thun hoffe, um wenigstens zu

2
wißen, ob ihm Ihr Einschluß auch so willkommen gewesen wie mir. Er hat

3
einige
ausgesuchte
Zuhörer, ohngeachtet meiner widerholten Versuche aber

4
bin ich nicht im stande ihn zu vernehmen und
Dorow
versichert, daß der Mann

5
sich zu keiner einzigen Kirche sondern blos zum
Cabinetsprediger
schickte,

6
welches mir richtiger vorkomt als es mir lieb und in der That Schade ist;

7
denn sein Brief hat mich gantz verliebt in den Mann gemacht.

8
Ich lese Ihre Preisschrift heute schon zum zweiten mal – und mit eben so

9
viel Zufriedenheit als ich Verdruß über die zweyköpfige außerordentl. gehabt

10
habe:
S’il est utile de tromper le peuple –
wie die ursprüngl. Aufgabe

11
gelautet haben soll. Das
Sic et non
zu krönen scheint eben so politisch als die

12
Wendung in die Form:
S’il est utile
aux peuples
d’etre trompé.
Mir komt beydes

13
mehr spitzfindig als klug vor.

14
Die mir gemachte Anzeige der Druckfehler ist mir lieb. Hab ich aber selbige

15
recht gefunden? S. 32 soll wol heißen dem
fernen
Griechenlande? S. 30.

16
trivium
statt
biuium
S 16.
feinern
statt feinem.
Noch S. 76 Z. 24.

17
ergieng
? – trau mir nicht zu, das rechte Wort zu treffen.
Ich habe kürzl.

18
Heumanns Acta
φφ
orum
durchgelaufen, wo
Galilei
Leben darinn steht.

19
So viel
es
ich mich erinnere, kam es nicht bis zu Banden, sondern es blieb

20
bey einem ziemlich gemächlichen Haus
Arrest.
Irre ich nicht in diesem

21
Umstande; so würde es richtiger heißen
sollte
als muste Banden tragen.

22
Den
Orbil
der
Litterature Tudesque
habe zweymal im
Original
und

23
ebensoviel mal in der Uebersetzung gelesen. Was Sie vom
Despotismo
des

24
Geschmacks sagen, ist wirklich seine Absicht, den welschen einzuführen. Alles soll

25
Ein Leisten, Ein Schuh seyn, Fabrike u Heerdienst seiner Eitelkeit, und seines

26
Götzens Mäusim. Das philosophische Antichristentum ist an die Stelle des

27
Päbstischen getreten, und die Philosophie ist der Koran des Lügenpropheten

28
und seines Islamismus. Doch ich will Sie nicht länger mit Ihrem eignen

29
Fette beträufen.

30
Den ersten Weynachtsfeyertag habe Ihrer lieben Schwester geantwortet,

31
weil es mir wirklich aus ihrer Empfindlichkeit schien, daß ich in einigen

32
Kleinigkeiten nicht gänzlich geirrt – und ich ohne Ruhm zu melden auch ein wenig

33
piqui
rt war, daß Sie meinen
ganzen Brief
widerlegen könnte, der mir nicht

34
leicht geworden war. Ich brauchte also Ihr eigenes Bild, was sie von ihrer

35
Lage recht lebhaft gemacht hatte, um
Ihr
Stillschweigen und mein Geschwätz

36
zu entschuldigen – und Sie in ihrem Vertrauen auf die Göttl. Vorsehung

37
zu befestigen. Daher vermuthe ich daß der Mann durch ihre Beflißenheit seine

S. 261
Stelle zu vertreten und zu ersetzen in eine so liderliche Nachläßigkeit gerathen

2
ist; denn ich sehe es immer für sicherer an, mit einem kranken Haupt zu

3
sympathisiren, die Schwäche und Schande deßelben zu theilen, als selbiges

4
unmündig zu machen, und dadurch zu verwöhnen. Eine Macht auf dem Haupte

5
eines Weibes muß seyn, wenn sie auch nur in einem Schleier besteht, und eine

6
Schlafmütze zum Mann ist beßer, als eine solche unnatürliche Wittwenschaft.

7
Die Pfarrin in Morungen hat ihn mir beschrieben als einen Mann von

8
recht artigem Ansehen und Umgange, und
s
Sie klagt am meisten darüber,

9
daß er seine Faulheit mit einem Vertrauen auf Gottes Hülfe zu bemänteln

10
sucht, scheint auch widerum mit seinem persönlichen Betragen zufrieden zu

11
seyn. Bey diesen Umständen ließe sich noch immer vermuthen, daß durch

12
Gedult etwas ausgerichtet werden könnte.

13
Sind Sie
imstande
mir etwas näheres zu meiner Berichtigung oder

14
Beruhigung mitzutheilen, so thun Sies doch. Denn nach allen Nachrichten,

15
scheint mir der Mann auch noch kein solcher Barbar und Bösewicht zu seyn,

16
der muthwillig sein Fleisch und Blut zu betrüben imstande ist – Auch die

17
Intervalla
in seiner Aufführung sind noch ein gut Kennzeichen in meinen

18
Augen.

19
Kreutzfelds Abhandl. wird vermuthl. für den Mercur schon eingelaufen

20
seyn. Wißen Sie schon etwas davon. Am heil. Abend hab ich am dritten

21
Qvartal
mich bis in die späte Mitternacht gelesen, auch in der Erwartung

22
etwas von Ihnen und dem Blatt zur Chronik zu finden. Das letzte Vierteljahr

23
ist noch nicht hier.


24
Den 14
Dom II Epiph.

25
Würde gern diesen Anfang
cass
iren, wenn ich einen beßern mir zutrauen

26
könnte. Bin vorige Woche fast Tag für Tag ausgewesen, mehr aus Noth als

27
aus Lust. Zum vierten mal traff endl. den Pf. Fischer zu Hause und vorigen

28
Donnerstag erhielte Einlage, die er mir zu versiegeln oder zu entkleiden

29
überlies. Ich schicke sie so wie ich sie empfangen. Auf die Woche versprach er mir

30
seinen Gegenbesuch.

31
Kr. Hippel habe auch vorige Woche zum ersten mal im Jahr gesehen. Er

32
scheint seinen Posten mit viel Verdruß angefangen zu haben. Er hat auf seine

33
Kosten nach Berl. gehen wollen; der Minister v
Gaudi
hat ihm aber den Rath

34
gegeben sich ein paar Monate erst recht umzusehen auf seinem Grund u

35
Boden u ihm alsdenn einen Kgl. Vorspann Paß u 2 rthl
Diaeten
versprochen.

36
Kraus ist angekommen als
Prof
der Moral u Politik. Den 4ten
huj.
kam

S. 262
er und Kanter mit einem liebenswürdigen Mann,
Dängel
der den Laden an

2
sich nehmen wird, worüber ich mich herzlich freue, weil bey Hartung nichts

3
zu haben, wie und warum der Kerl die günstige Zeit verschlafen, begreift kein

4
Mensch.

5
Hartknoch soll wider sehr krank seyn; wenigstens ist ihm verboten die Meße

6
selbst zu machen. Kant sprach auch vorige Woche bey meiner großen
Tour

7
die ich gemacht. Er meldete mir daß sein Werk nicht zu Berl. gedruckt werden

8
könnte, sondern zu Halle, worüber er zu einem verdrüsl. Briefwechsel mit

9
dem Verleger gekommen, scheint aber alles nach Herzenswunsch beygelegt

10
zu seyn. An Hartkn. Außenbleiben verliere viel, Gott woll ihn doch noch

11
erhalten

12
Kein Mercur, neml. vom letzten
Qvartal,
kein
Temple,
kein
Buffon,
kein

13
Rousseau,
kein
Daguesseau
– nicht einmal Heinekens Buchstabierbüchlein

14
für mein mittelstes Mädchen ist hier zum Ansehen zu bekommen, geschweige

15
zu haben. Eine solche
Quarantaine
in der
Litteratur
ist nicht erhört, seit

16
Albertinens Stifftungstag.

17
Auf meine Autorschaft zu kommen: so wars auf Hartknochs ausdrückl.

18
Verlangen, daß die Ankündigung der Humischen Uebersetzung geschah, und

19
weil ihm damit ein Gefallen geschah, so wars auch mir lieb. Zwar hat er seine

20
erste Erklärung zurückgenommen, da er von einer andern Uebersetzung hörte:

21
ich mag aber gern bey einer Farbe bleiben, und den armen Kranken nicht von

22
neuen mit abgemachten Sachen beunruhigen. Kant hat mir gestern das
Mst.

23
zurückgeschickt, weil Hippel u Pleßing mich darum ersucht. Ich habe es beyden

24
versprochen, ersterer wird nunmehr keine Zeit dazu haben, da er nicht einmal

25
Nicolai’s Erzehlung: Das Schöne in 3 Wochen ansehen können, und

26
letzterer soll es auch nicht in seine Hände bekommen. Der Götterbote soll übrigens

27
nicht zum Lügner werden – Gönnen Sie mir das Vergnügen, welches ich mir

28
bey der Vergleichung der beyden Uebersetzungen verspreche, und es soll für

29
mich zugl. eine Probe seyn, ob ich in diesem Stück was beßeres als andere zu

30
liefern im stande bin. Im Grunde ist es mir immer lieber wenn ein anderer

31
die Mühe u Gefahr über sich nimmt der Uebersetzer eines verführerischen

32
Buchs zu seyn. Zweytens müste ich doch noch
einmal
die ganze Schrift

33
durchgehen, um die wenige Erinnerungen meiner Freunde zu prüfen und

34
anzubringen. Meine Zeit ist so kurz, daß ich die Viertelstunden stehlen muß, um mit

35
Hänschen ein Kapitel im N. T. ein paar Verse im A. ein Kapitel im
Florus,

36
einen kleinen Abschnitt in der
Odyssée,
die lateinische große Märksche

37
Grammatik (die gr. hab ich voriges Jahr mit ihm zu Ende gebracht) und eine

S. 263
Lection
im Ebert durchzupeitschen. Die meisten sind geliehene Bücher, die ich gern

2
wider los seyn wollte.
Voltai
rens Werke liegen auch bey mir um selbige in

3
einem Zuge durchzugehen. Ohngeachtet meiner übertriebnen Eingezogenheit

4
und übeln Laune fehlt es mir doch nicht an Ueberlauf, die häusl. Störungen

5
ungerechnet, da ich nicht anders als im Gewühl meiner Kinder leben, lesen u

6
schreiben kann, weder spät zu Bett zu gehen noch früh aufzustehen imstande

7
bin, außerordentl. Fälle ausgenommen.

8
Wenn ich von Ziehens
Mst
das gewußt hätte was Sie mir sagen; so hätte

9
ich nicht das Herz gehabt es mir zuzueignen noch Ansprüche darauf zu machen.

10
Tant mieux pour moi! Sic vos non vobis –
für den HE Hofrath.

11
Da Ihre Freundschaft so zuvorkommend ist, darf ich Sie kaum erinnern,

12
darf
mich mit einem warmen Exemplar der Briefe zu erfreuen. Keine

13
Schrift hat auch hier so viel Beyfall gefunden, u wo ich nicht vermuthet, bey

14
Layen und
Clericis;
von keinem öffentl. Urtheil weder gehört noch gelesen.

15
Hippel, Fischer, Kreutzfeld haben mir vorzügl. für meine Mittheilung

16
gedankt. Der mittelste wird künftige Woche kommen Ihre Preisschrift selbst

17
abholen, die ich bisher ziemlich warm gehalten.

18
Die Frage über die Vorurtheile verdient freylich in einem beßern Licht als

19
dem akademischen beleuchtet zu werden. Das Volk wird freylich je mehr
la

20
duppe,
desto mehr
fripon,
und viele sind immer mehr im stande Einen, als

21
Einer viele zu betrügen. Es bleibt also immer das sicherste und vernünftigste

22
für einen Fürsten, keine Lüge und Betrügereyen zu
privilegi
ren. Aber
Mundus

23
vult
– und wären keine Betrüger, die sich einander stürzten: so würd es für

24
das kleine Häuflein der Ausnahmen noch mißlicher aussehen. Der platonische

25
Dialog wäre freylich der beste Weg das
Mysterium stupiditatis
und

26
iniquitatis
in der politischen Aufgabe zu entwickeln.


27
um 6 Uhr des Abends.

28
Ich bin meiner Gäste alle auf einmal entledigt.
Kraus
machte den Anfang

29
mit des Kaufmann
Müllers
jüngsten Sohn, der meinen abholte. Darauf

30
kam
Mlle
Schimmelpfenning
in gleicher Absicht; alsdann
Kreutzfeld
,

31
hierauf
Brahl
, und zuletzt
Wedicke
. Kreutzfeld blieb am längsten, empfiehlt

32
sich Ihnen. Wenn sein erster Dialog Beyfall findt, denkt er mit einem andern

33
über
Vernunft u Glauben
aufzuwarten. Er hat seinen vorigen Bedienten

34
abgeschaft und
ist
darüber verlegen ob Sie den Kypkischen Katalog
franco

35
erhalten haben, weil es ihm acht Tage nachher vorgekommen, daß er zwar das

36
Porto
dem Ueberbringer mitgegeben, aber das
franco
glaubt auf dem Briefe

S. 264
vergeßen zu haben. Wenn Sie sich deßen zu erinnern im stande sind, so

2
beruhigen Sie ihn darüber.

3
Das unglückl. Ende der Princeßin
Czartor.
hat damals in den Zeitungen

4
gestanden. Unser Präsident hat auf eine ähnl. Art seine Tochter verloren.

5
Meine alte Gönnerin u Freundin die Bar. von Bondeli, (welche jetzt 3

6
Pensionaires
hält und sich dabey zu Tode qvält ohne erkannt noch aufgemuntert zu

7
werden für ihre heroische
Aufopferung)
hat mir eine rührende Erzählung von

8
der Gedult dieser Märtyrin gemacht in den grösten Schmerzen und von ihrer

9
Beruhigung, nach einer gänzl. Verunstaltung, der Welt entbehren zu können.

10
Nun Gott mache das halb Dutzend voll und laße Ihre Liebe und Freude

11
nach Verhältnis der Pfänder wachsen. Vielleicht werden meine Wünsche und

12
Ahndungen erfüllt Sie als Präsidenten der Akademie zu besuchen; denn in

13
des Königs Landen, brauchte ich nicht ins Cabinet zu gehen. Doch mir komt

14
die ganze Erde als ein Nasendrücker vor.

15
Wie Sie meine Briefe auszustehen im stande sind, weiß ich nicht. Ich dächte,

16
daß einem über der Mühe zu buchstabiren die Lust zu lesen vergehen müste.

17
Für mich giebt es keinen
nexum
der Dinge mehr und keine Verhältnis der

18
action
und
reaction.
Mein
Organon
zu denken und zu schreiben ist noch

19
schlechter organisirt als meine Zunge.

20
Ein zweyter Theil von Briefen das Mönchswesen betreffend kam mir auch

21
bedenklich vor, da der seel. Brechter für den Verf. des ersten ausgegeben

22
wurde, habe aber meine Neugierde hierüber bisher nicht befriedigen können.

23
Jener erste Theil ist mir ich weiß nicht wie von Handen gekommen.


24
Den 15 –

25
Hatte gestern weder Gedanken noch Sinnen zu schreiben, und eilte in mein

26
coemeterium.
Hippel nicht mehr als ein einzigmal in diesem Jahre gesehen;

27
das lebt alle Tage im Sause u Schmause, u will sich daheim vor Arbeit

28
zerreißen. Er hatte Neugierde einen Brief der Cammerherrin von der Recke zu

29
lesen, welche eine Schwester der jetzigen Herzogin in Curl. ist u die Sie aus

30
einem Leichensermon des Bleßig auf Ihren seel. Bruder kennen werden.

31
Meine Freundin Stoltz hatt mir diesen Brief unter Bedingung ihn

32
widerzuschicken mitgetheilt. Die ganze Svite des Prinzen ist darinn sehr vortheilhaft

33
geschildert. Graf Görz ist ihr Liebling, des Abgesandten in Petersb. Bruder.

34
Cammerherr
von Bielau
, ein Hannoveraner, der sich dort zum Gefolg des

35
Pr. angeschloßen, hat sie mit vielen Anecdoten von
Wieland
Göthe u den

36
Stolbergen unterhalten. Kennen Sie auch den Mann?

S. 265
Bötticher hat mir vom Lande des Magdeb. Rector
Funk
Gedanken von

2
dem Nutzen richtig getriebener Philologie in den Schulen mitgetheilt in 5

3
Programmen, worunter das 4te fehlte. In der ersten Fortsetzung werden Sie

4
auch ein wenig scharf beurtheilt; übrigens läßt sich von dem Mann etwas

5
erwarten in diesem Fach. Ich kenn den Mann nicht weiter als aus 2
Symbola

6
die mir damals gefielen u ich mir anschafte. Ob mehr ausgekommen sind,

7
weiß ich nicht.

8
Heute stand in den Zeitungen ein Kaufmann Berens aus Riga. Carl ist

9
2mal durchgegangen ohne sich um mich zu bekümmern, und ich mag auch

10
weder Hand noch Fuß rühren um Nachrichten einzuziehen. Das 2te Blatt des

11
Chronikers habe noch nicht erhalten. Daß er unsern Prinzen auch beehrt,

12
schien mir Hartknoch zu verstehen zu geben.

13
Sie sind noch der einzige meiner alten Freunde, bester Herder, welcher Stich

14
hält. Vielleicht trägt die Entfernung etwas dazu bey. Werden Sie doch nicht

15
müde mich zu tragen, bey meiner Schwachheit u Unvermögenheit.

16
Wißen Sie nichts vom Gevatter Kaufmann. Ein Graf Kayserlingk hat ein

17
Haufen Anekdoten aus Schlesien wo sein Regiment steht, durch den HE von

18
Haugwitz mitgebracht. Er komt aber erst den 18
huj.
vom Lande zurück wo ich

19
auch etwas durch Kraus zu erfahren hoffe. Ich gehe nicht mehr hin u werde wol

20
die Ehre dieser vornehmen Bekantschaft mit Ihrer Plastick, vom Denken u

21
Empfinden u dem 1. Stück des christl. Magazins bezahlen müßen.

22
Mit Claudius geht es mir eben so wie Ihnen. Bisher weiß noch nicht, ob

23
er das
Billet doux
abgegeben oder nicht; welches mir statt aller Antwort

24
wäre. Eben so angenehm ist es mir, daß der Brief an den Verf. des

25
Universums glückl. eingelaufen und wenigstens von ihm nicht misverstanden

26
worden.

27
Gott vergelte Ihre Treue durch gute Freunde u Nachbarn – und laße

28
Ihre Mayfreude vollkommen seyn. Empfehlen Sie mich bestens Ihrer

29
holdseeligen
Männin
. Meinen herzlichsten Glückwunsch zu Ihrer fünften

30
Mutterschaft und den schönsten Dank für das Andenken Ihrer Handschrift.

31
Gottes Seegen über mein Pathchen u seine Brüderchen. Marianchen war am 2ten

32
Tage des Jahrs sehr krank aber am dritten wider beynah völlig hergestellt.

33
Gott Lob! sonst wächst alles, aber ziemlich
wilde:

34
Ich
hoffe
daß Sie meine Gründe wegen der Uebersetzung genehmigen

35
werden. Mein
Ansuchen
selbige bekannt zu machen geschah in des
Verlegers

36
Namen
. Und aus seiner
Bedenklichkeit
eine zweyte zu verlegen, meine

37
Abneigung ihn der geringsten Gefahr auszusetzen
. Komt die im

S. 266
Meßkatalog versprochene heraus: so hoff ich mich öffentl. zu rechtfertigen. Kants

2
Buch schlägt aber auch in meinen Plan, und ich muß selbiges abwarten, ehe

3
ich selbst zu denken anfange. Die
Litterature allemande
hat mir auch einen

4
Qverstrich gemacht; mein Buchbinder hat ihr einen recht zierl. Pappdeckel

5
gegeben hinter das Schöne von Nicolai. Eberts Naturlehre, sein Begriff

6
menschl. Fertigkeiten u Kenntniße,
Erasmi
Leben von
Knight, Flacii
Leben

7
von Ritter,
Hyde de Religione Persarum
liegen mir noch im Wege ehe ich

8
Voltai
rens 50 Theile durchlaufen kann – Alles dies Schaarwerk leg ich mir

9
auf aus Mangel einer beßeren und selbstgewählten
Lectur
und um der

10
langen Weile zu entgehen in dieser Hunger-
u
KummerWüsten.

11
Erhalten Sie die
Ra
rität von
Irrthümer u Wahrheit
und Sie finden

12
irgend etwas, das sich mittheilen läst und der Mühe lohnt: so werden Sie es

13
von Selbst thun. Hält Tidemans stoische
φφ
ie
nicht mehr in sich als

14
Griechenlands erste Philosophen. Er ist so wenig mein Mann als Meiners, den

15
er geckt u neckt. Vergeßen Sie über Ihr Seminarium, bester Freund, nicht die 3

16
sokratische Gespräche
Χαιρομεν
γαρ ὁταν ἡμεις ασθενωμεν, ὑμεις δε δυνατοι

17
ητε· τουτο δε και
ευχομεθα

18
Ich ersterbe Ihr alter Gevatter Landsmann und Freund

19
Johann Georg Hamann,

20
Ονησιμος αχρηστος
.

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 215–216.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VI 174–178.

ZH IV 258–266, Nr. 612.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
259/26
anzufangen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
anzufangen.
260/16
–17
Noch […] treffen.]
Der Satz steht ohne Einfügungszeichen ganz am Fuß der Seite, unter dem Absatz, in den er aus inhaltlichen Gründen integriert wurde.
260/18
φφ
orum
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Philosophorum
261/13
imstande
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
imstande,
261/36
Prof
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Prof.
262/11
erhalten
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
erhalten.
263/8
Mst
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Mst.
264/7
Aufopferung)
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Aufopferung),
264/35
Wieland
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Wieland,
265/33
wilde:
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
wilde.
265/34
hoffe
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
hoffe,
265/36
Bedenklichkeit
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Bedenklichkeit
,
266/10
u
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
und
266/13
φφ
ie
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Philosoph
ie