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den 23 Jänner 79.
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HöchstzuEhrende Freundin u Gevatterin
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Ich habe meine schuldige Antwort bis auf den heutigen heil. Abend eines
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Staatsfestes verspart. Anstatt Wünsche zu Ihrem Geburtstage durch meinen
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kleinen Deputirten zu empfangen haben Sie mir welche ausgetheilt. Ich bin
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zwar nicht arm, aber zu geitzig mit baarer Münze zu bezahlen – und was
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jedem wirkl. gut aber nicht allemal lieb ist, weiß jener
Andere
der nicht nur
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Herzen sondern auch Nieren prüft, beßer als wir beyde.
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Was die 20/
m
fl. betrift, so kann ich Ihnen H. F. G.
wahr und
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wahrhaftig
versichern, daß alles Menschmögl. bereits von meiner Seite geschehen
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war u ist u wird, ehe es Ihnen erst am heil. Abend Ihres Neujahrs
oder
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Geburtstages
eingefallen den Grund zu legen. Weil aber Eitelkeit keine Tugend
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meines Geschlechts noch Geschmacks ist: so besteht das gröste Opfer das ich
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der spröden Glücksgöttin bringen kann, darinn, mich jedem
zureichenden
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Grunde
ihrer Güterverwaltung blindlings zu unterwerfen. Nicht stark gnug
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die Freuden des Lebens zu verleugnen geschweige zu verachten, bin ich
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wenigstens durch tägl. Erfahrungen gewitzigt worden, nicht drauf zu bauen noch
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selbige zu Grundsätzen zu machen.
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Ich gestehe es Ihnen aufrichtig H Fr G daß der Einfall einer Spaarbüchse
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für meine liebe Marianne Sophie meinen ganzen Beyfall und besten Dank
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verdient. Ich habs ihr selbst heute schon angekündigt, da ich sie auf meinen
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Armen trug und hab’s ihr in allen mögl. Tönen vorausgesagt: „Eine
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Spaarbüchse! eine Spaarbüchse! mein Mädchen, keine Puppe!“ – Daß das
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vortrefliche gelehrige Kind von der Idee einer Spaarbüchse gerührt worden war,
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bewies mein Schlafpeltz bis unten zu. Ein Beweis deßen keine Puppe fähig
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ist. Mein künftiger Schwiegersohn soll Ihnen danken, denn ich werd es ihm
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nicht verheelen, daß Sie mir den ersten Wink gegeben nicht leidige Puppen! –
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sondern eine Spaarbüchse mit geharnischten Männern unter Schlüßel und
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Schloßchen zum Bestimmungsgrunde ihrer Erziehung zu legen.
Ainsi soit-il!
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Daß Sie aber Ihre
Pathenrechte
soweit ausdehnen der armen Mutter
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Vorwürfe einer muthwilligen Nachläßigkeit zu machen ohne Untersuchung
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der Sache und Umstände, komt mir als ein gewagter Eingriff in meine –
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Rechte eines Hausvaters vor, in deren Erhaltung u Behauptung ich
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unbestechlich u eifersüchtig bin.
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Ich! eine
Negligence
in meinem Hause
statui
ren? Das sagt mir keine
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Freundin nach –
Beweis
oder
Gnugthuung
–
Negligence
soviel Sie wollen
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in Beyträgen – aber in meinem Hauswesen von meinen Hausgenoßen ist
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mir der bloße Verdacht einer
Negligence
Hochverrath und
Negligence
in
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meinen Augen ärger als Straßenraub und Meuchelmord – Feuer u
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Waßersnoth – der einzige verbotene Baum meines häuslichen Paradieses, deßen
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Cherub ich bin. –
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Beweis oder Gnugthuung! wenn ich nicht wahr u wahrhaftig (mit dem
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braven Thoris im verdeutschten Pathos zu reden) alle grosmüthige Beyträge
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zur Freude meines Lebens Ihnen eben so zurückliefere als ich es mit den
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beykommenden vier Theilen thue des
Catilina ou Retz.
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König Salomon Selbst – nicht unser nordische Virtuos Parisien u Evnuch,
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deßen unwürdiger Packhof-Güterverwalter und Freywohner Ich ohne Ruhm
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zu melden bin – sondern der morgenländische Weisheitsprediger,
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Minnesänger, Splitter Sitten u Policeyrichter würde in dem Nabel meines Göttl.
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Mädchens Marianne Sophie einen Pendant seiner Sulamith finden und nach
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meiner französischen Schweitzer Bibel den Spruch thun:
Ton nombril est
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comme une petite tasse ronde toute comble Voy le Cantique Ch VII. v.
2.
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Warum erschracken Sie
Madame
da Hänschen eben eintratt – Warum
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nicht der Nabel Ihres
Billet.
Beweis oder Gnugthuung für Ihren beschämten
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aber keiner Nachläßigkeit fähigen noch schuldigen
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den 23 Jänner 79.
Gevatter Freund u Diener
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 2.
Bisherige Drucke
ZH IV 46 f., Nr. 542.