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Leipzig den 11 October 1777.

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Hochzuehrender Herr, und Freund!

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Ich muß endl: wohl einmahl ein Zeichen des Lebens von mir geben. Ihre

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beyden letzten Briefe von
Dominica
u
XI.
p. Trinit:
1776 und vom Weihnachts

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heil Abends 1776 habe ich seit beynahe Jahr
u
Tag vor mir, in der guten

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Absicht Ihnen darauf vielerley zu sagen, und vielerley mit Ihnen zu plaudern.

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Dieß ist aber nicht so leicht wenn man 80 bis 100 Meilen von einander

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entfernt ist.

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Ich bin von Geschäfften erdrückt, und weil mich die gerechte Rache

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des Schicksals, dafür daß ich so offt über
Diplomata
gespottet habe, unter

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lauter
diplomati
schen Büchern und
Archiv
Urkunden seit Jahr u. Tag

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begraben hält; so hab ich mir durch vieles Lesen die Augen so rechtschaffen

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verdorben daß ich fast nichts mehr schreiben kann, sondern alles
dictiren
muß.

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Also nur 2 Worte, wie schon gesagt, nur zum Zeichen meines Lebens.

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Wir haltens mit einander gerade um
ge
kehrt wie die meisten Eheleute, wir

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zanken uns öffentlich u. lieben uns heimlich, dafür aber auch schreiben wir

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unsere Zank Schrifften dergestallt, daß sie uns beyden nicht verständl: sind

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unsere Liebesbriefe hingegen, die uns gewiß mehr von Herzen gehen, so, daß

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wir fein wißen, was wir damit sagen wollen.

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Ich habe alle Ihre Zank-Schrifften gelesen, und wenn sie beym Schreiben

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nicht üblere Laune gehabt haben als ich beym Lesen, so ist aus Ihren Herzen

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aller Groll vertilget, bis auf den kleinsten, der an die Wand pißet.
, ausge

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ver tilget.

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Es ist mir sehr angenehm wenn die Vor
räthe
rede des Almanachs Ihnen

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das Gegengift auch nur
das Gegengift
einer halben schwermüthigen Stunde

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geworden ist. Die Schwermuth ist eine Kupplerinn die uns den Genuß der

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zärtlichsten
lieblichsten Schönen anbeut und uns mit heßlichen Metzen

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zusammen steckt, welche uns die Fr.– „–“ ins Blut bringen so daß wir glückl:

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genug sind wenn wir nur mit den Verlust der Hälfte unserer Sinne
genoßen

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genesen können. Daß übrigens die Lieder nicht
authenti
sch alt wären,

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haben ihre Freunde eben so ungerecht gemuthmaßet, als daß Bunkel nicht

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ächt englisch wäre. Die Lieder stehen gröstentheils in einer alten Samlung

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Bergmanns-Lieder die im 16 Jahrhundert schon, in Nürnberg gedruckt

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worden selbst
n:
15 von Furwitz den Kramer steht fast wörtl darinnen. Ich dachte

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Ihnen mit diesem Briefe den 2ten Theil übersenden zu können, wovon schon

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seit einigen Monaten 8 Bogen gedruckt sind, die ich aber, wie schon gesagt, jetzt

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in Archiv-Urkunden nach Männern suche die längst vergeßen sind, und nach

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Häußern welche längst umgerißen worden, so habe ich noch in einigen

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Monaten nicht Zeit an Volks Lieder
Genies
und andere solche ungelehrte Sachen

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zu denken. Ich habe diesen Sommer eine Reise nach Brandenburg gethan,

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um die Alterthümer des Doms zu untersuchen und unter andern zu meinen

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großen Vergnügen im Kreutz Gange viele Wände voll fast verloschner

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Inschrifften entdeckt, die vermuthl: aus dem 14 Jahrhunderte sind, und allen

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Brandenburgischen Geschichtschreibern unbekant geblieben; jetzt ist man mit

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den Abschreiben, u. Abzeichnen beschäfftiget, welches sie vielleicht
noch
mehr

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verdienen, als die Inschrifften auf den beschriebenen Bergen Arabiens, sollten

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Sie also
noch
von mir nächstens zwar nicht
marmora brandenburgensia

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aber doch
lapides brandenburgenses
mit einen Gelehrten
Comentario in

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Folio,
im
MeßCatalogo,
angekündiget sehen, so wißen Sie doch wovon die

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Rede ist. Es gebührt sich daß ein
Autor
der sich ehrl: durch die Welt schreiben

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will, von Isop der Friedens-Berloken sich bis zur Ceder eines
diplomati
schen

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Comentars in folio
erhebe. Und hiermit Gott befohlen. Gott behüte Sie vor

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Fiebern, Versen Uhrkunden, und Mißvergnügen mit der Welt, welches ärger

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als die Krätze anstecket, und nicht einmal wie die Krätze ein Heil-Mittel wieder

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die Schwermuth ist. Unser Freund Moses der bey mir ist, ob er gleich nicht

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bey mir ist, grüßt Sie von Herzen und Freund Eberhard welcher zu

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Charlottenburg seine Bauern, die Bürger heißen wollen, in heil.
ordodoxie

S. 381
Orthodoxie
lehret, und vergnügt bey seinen Weibchen und ein paar Freunden

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unter seiner Linde den Sokratischen Becher
trinket
trinkend alles gelehrte

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Geschwirre mehr nicht achtet, als das Geschwirre der Wespen um seine

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Apfelbäume, grüßet Sie desgleichen, u. ist nicht wenig erfreut, daß Ihnen

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seine Apologie nach öffteren Genuß nicht minder schmeckt.
, dieß trägt gewiß

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nicht wenig bey, daß er
Er will nun endl: diesen Winter zum 2ten Theile

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schreiten
will
.
quod D. B. V.
Und hiemit nochmals Gott befohlen. Ich

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bin von Herzen Ihr ergebenster

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Nicolai

Provenienz

Eine zeitgenössische Abschrift von Nicolai. Staatsbibliothek zu Berlin, Nachlass Friedrich Nicolai/I/30/Mappe 11, 1–2.

Vermerk von Nicolai auf der ersten Seite oben: „Copie eines Schreibens an HE. Hamann.“

Bisherige Drucke

Otto Hoffmann: Hamann-Briefe aus Nicolais Nachlass. In: Vierteljahrschrift für Litteraturgeschichte I (1888), 132–134.

ZH III 379–381, Nr. 513.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
379/17
XI.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
XI
379/17
Dominica
u
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Dominica
379/18
u
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
u.
380/29
MeßCatalogo,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Meß-Catalogo,