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Mehr Ahndung als Combination sagt mir die Reise nach Amerika werde

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wohl nicht geschehen. Unser K. trifft vielleicht in Hamburg erwünschte

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Lavatersche Briefe an welche ihn für Europa determiniren. Blos wegen Kfm.s

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Freunden und
in specie
seinem Weibe bangt es mir vor der Seefahrt. Ich

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hoffe sie mitmachen zu dürfen, neben Kfm. ist mir nichts abschröckend,

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obschon meinem eigenen Character nach alles was
Entreprise
heißt mir Taumel

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u Schrecken verursacht. Aber wie gesagt, ich hoffe zu Gott und einigen guten

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Europäern sie werde nicht geschehen.

S. 362
Das ganze von Kfm.s Bestimmung, Plan & so wie von seinem Character

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bin ich schlechthin unfähig zu überschauen: und wo Sie, bester Hamann,

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nicht verstehen, was will ich einsehen können. Doch bekenne ich frei daß das

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bewußte Motto: man kann &. mir als Symbolum der treuen Befolgung der

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Naturtriebe, der Harmonie zwischen
Können
und
Wollen
, welches beides

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ja der Natur nach
reciproque
sein soll, – verständlich scheint. Ich halte

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Kaufmannen für einen solchen treuen Befolger aller Winke der Natur, und habe

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deswegen einen besondern Glauben an alles was er thut.

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O erfüllen Sie immer den Traum Ihrer Wandsbecker Reise. Wer weiß was

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da alles durch Sie geschieht; und Sie wißen auch nicht wie mancher gute

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Junge sich seelenlich über sie freuen wird.

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Ich schicke Ihnen hiebei ein paar Silhuetten von Kaufmann, so gut ich sie

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habe. Sie sind nach derjenigen gezeichnet die in der Physiognie steht.

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Vielleicht sagen Sie mir: Sie hätten Sie ohne mein Zuthun selbst nachzeichnen

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können, da hab ich denn Unrecht.

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Ich lege ein kleines Briefchen an Motherby bei, welches Sie versiegelt oder

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nicht, zu übergeben belieben. Ich finde mich selber unbegreiflich dreiste;

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wenigstens aber weiß ich doch daß Sie verzeihen können.

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Den Artikel der Lavatern betrifft, ich denke Lavater verstehts besser und

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wills ihm von Wort zu Wort abschreiben, verstehe ich (in Ihrem Briefe) nicht.

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Hahns
Fingerzeig so wie seine Predigten hab ich bestellt aber noch nicht

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erhalten, und in meinem Leben nirgends angetroffen. Es giebt Autoren dies

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den Leuten schwer machen ihre Sachen zu erhalten; Unrecht mögen sie nicht

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haben, denn Perlen für die Schweine & – – – allein zuweilen muß doch ein

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armer ehrlicher Junge
vergebens schmachten
darunter leiden.

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Ich wünsche sehr daß Sie mir mein Geschwäze verzeihen mögen. Gott sei

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mit Ihnen, und und führe uns bald, wenn ers gut findet, zusammen. Leben

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Sie glücklich, bester Hamann,

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Ihr ergebenster Diener
Ehrmann.


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Deßau 13 Jul.1777.

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Um Gottes Willen wenn Sie Nachrichten haben die mich wegen K.

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interessiren können so theilen Sie mir sie die erste u. zweite Post nach Deßau die

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folgenden (denn mit Ende des Monats gehe ich ab) nach Wandsbeck mit.

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Ich schicke an
Kant
und durch ihn an Kanter, jedem 4 Ex. Avertißements

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der franz. Physiognomik. Ich weiß nicht ob Ihnen damit auch gedient wäre.

S. 363
Ein Billet an
Penzel
hätt’ ich wohl
Kanten
einlegen sollen, ich lege es aber

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Ihnen bei, weil ich zu Ihnen mehr Zutrauen habe, obschon ich nicht weiß wie

3
viele Mühe ich vielleicht veranlaße.


4
beiliegend, von der Hand Johann Ehrmanns:

5
Beschreibung eines Sopha a la Hamann

6
verfertigt durch Christophevr Christophovitsch bei Selo Weina
.


7
Man steigt auf einer mit kleinen jungen Weiden beschatteten doppelten

8
Treppe von Rasen hinauf auf die Anhöhe. Da stehen nun 2 junge frutige

9
Eichen auf beiden Seiten des von Rasen gemachten Sopha a la Hamann,

10
den sie mit ihren Aesten beschatten. Ueber dessen Mitte zwischen beiden Eichen

11
steht ein kleiner von weißem Leimen gebrannter Obelisk. In diesen Obelisk

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sezte ich (Kaufmann) des heiligen Mannes Luthers Porträt.

13
Annotatio:
Ich mußte einmal lange Zeit bei dem alten unpäßlichen

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Christoff bleiben, hatte lange Weile, holte endlich meine bei mir führenden in

15
Rahmen gefaßten Porträts, worunter denn auch ein gutgestochenes Porträt

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von Luthern befindlich, fett und stark, im Flor seiner Jugend. Dieß frappirte

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den alten Christoff, er sbrach mit Entzücken: Nun das ist jezt einmal auch ein

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Christus in seiner Jugend, wie ich mir ihn wünschte, ich wollte und konnte ihn

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in seiner Freude nicht stören, ich war froh daß mein Luther ihm wohl machte.

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Er vergaß seiner Hypochondrie hieng seinen neuen Christus in die Stube,

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fieng an sich zu kreuzigen: vorher war er nachläßig darin, aber jezt macht es

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ihm Freude wenn auch der Bauer seine Kreuze in die Länge und die Quere

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zog. Ich ließ ihm diesen neuen Heiligen nicht gern zurück aus Furcht er möchte

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entheiligt werden. Ich wollte ihn zurücknehmen allein ich erhielt ihn nicht: er

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wollte mir ihn vielfach bezahlen, durft nichts dafür annehmen, hätte ihn gern

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mit meines Vaters oder auch mit einem fürstl. Porträt gelöst (so lieb und

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theur sie mir auch sind) aber all mein Bemühen war umsonst: ohne grobe

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Beleidigung durfte ich ihm seinen neuen Heiligen nicht rauben. Wir kamen

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endlich dahin überein daß er in die neue Wallfahrt kommen sollte. Ich gab

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mich zufrieden weil er sich um seines fetten Christus willen nun alle Tage

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Motion machte und sich zerstreute &. Luther also steht in dem Obeliske. Kein

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griechischer Wanderer kommt an die Quelle der diesen Heiligen nicht ehrt. Ich

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muß gestehen so toll auch der Einfall und die ganze Begebenheit ist, so machts mir

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oft Freude und ich verzeihe mir recht gern diese meine vielfachen Schelmereien.

S. 364
So viel hievon. Nun kommen Inschriften die mir zu abentheuerlich lang

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sind kann sie nicht abschreiben.
ad rem.

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Von dem Sopha hinunter sieht man eine Grotte im Felsen, (wo ich der

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Quelle nachgrub) die mit wilden Haselstauden, Brombeeren, schwarzen und

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rothen Johannesbeeren umwachsen ist. In Ihrer Mitte sbrudelt die Quelle die

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sich aber in einen gemachten mit Stein belegten und mit Rasen zugedeckten

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Canal verliert. Die Grotte ist mit einer grünen Schanze umgeben. Am Ende

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derselben ist eine Terrassenförmige grünende mit Birkenbäumen beschattete

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Treppe, an deren Fuß ein geräumiger mit Leimen
bez
belegter Teich stößt.

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Faulbäume und Lindenbäume beschatten und verfinstern diesen Teich, der

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zum Baden bestimmt ist. Aus dessen Mitte strömt das Wasser mit Gewalt

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heraus, erweckt einen sanften Wiederhall in den Wipfeln der Bäume und

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vermehrt dem auf dem Sopha lagernden Müden den Ruhegenuß. Zur

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Bequemlichkeit im Baden ist der Abfluß hoch und tief eingerichtet dem Auge aber

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fast unbemerkbar bald quillt der crystallene Bach in einem kleinen von Wasen

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gemachten Bassin und fließt hernach durch 2 sich kreuzweise schlängelnde dem

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in gleicher Harmonie laufenden Fluß zu.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2553 [Gildemeisters Hamanniana], I 29.

Bisherige Drucke

Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, II 236.

ZH III 361–364, Nr. 506.