504
354/6
HöchstzuEhrender Herr Capell Meister

7
Geliebtester Landsmann, Gönner und Freund,

8
Den letzten May erhielt Ihre Antwort zu meiner grösten Beruhigung und

9
Zufriedenheit, als ein Unterpfand Ihrer freundschaftlichen und

10
vaterländischen Gesinnungen, an deren Sympathie der Genuß und die Dauer meines

11
Glücks hängt, so wie ich selbiges Ihrer Vermittelung zu verdanken habe.

12
Es ist kein müßiger Einfall, sondern eine lebhafte Empfindung in mir Ihr

13
Urtheil in der Wahl zu meinem gegenwärtigen Posten zu rechtfertigen und

14
demselben
in
mit der That Ehre zu machen. Ich bin von der andern Seite

15
so mistrauisch gegen mein eigen Urtheil, und die gantze Angelegenheit sieht

16
einem bloßen
Privat-Interesse
und Familien Sache so ähnlich, daß ich mich

17
nicht entschlüßen können dem Rath Ihres vertrauten Freundes vor der Hand

18
zu
folgen
, und die
Gen. Adm.
vor der Zeit
zu behelligen; weil ich hoffe daß

19
die Zeit
die Langsamkeit meiner Schritte in ein günstiger Licht setzen wird.

20
Den 24 May waren wider 3 Leute auf meinem Gehöfte u in meinem

21
Garten, die ohne sich zu melden eigenmächtig Dinge abholten. Den andern Abend

22
drauf schrieb mir Hofr. Hoyer im Namen der Erben ein
Billet
mit der

23
Erklärung, daß mir der
vsus fructus
der Gewächse abgetreten würde mit der

24
Bedingung, daß die Erben entweder selbige aus dem Herbst herausnehmen

25
oder eine öffentl.
Auction
anstellen würden.

26
Daß den Erben nichts an ihren Gewächsen gelegen gewesen, erhellt daraus,

27
weil man bis zum 8 May nicht die Hand angelegt, die Raupen sich im Besitz

28
gesetzt und der Mist noch auf den Spargelbeeten lag. So bald ich aber fieng

29
die Hand anzulegen, fiel es ihnen wie unartigen Kindern ein, zuzulangen

30
weil sie besorgten eben den Einspruch in ihre Früchte, den sie auf den Boden

31
gemacht hatten. Ich sollte also mit dem was die Raupen übrig gelaßen mich

32
abspeisen
laßen
u ihnen Zeit laßen den Gräuel der Verwüstung auf den

33
Herbst auszuführen.

34
Weil es mir nicht möglich war die 3
Billette
vom Hofrath
Hoyer
mit allem

S. 355
dem Nachdruck zu beantworten, wie ich der Wittwe ihre den 7 May

2
abgefertigt hatte: so wurde ich den 5
huj.
des Abends um eine Antwort auf obige

3
Erklärung,
vsufructuarius
der Blomschen Gewächse zu seyn, erinnert, und

4
ich entschloß mich kurz u gut den 7
huj.
den
Curator
selbst in seinem Hause

5
zu besuchen. So sauer dieser Gang mir geworden: so hoffe ich doch selbigen

6
nicht umsonst gethan zu haben, wenigstens hat er mir Stoff zu

7
Betrachtungen
und zum
Lachen
gegeben. Das Betragen der Erben schien er

8
aufrichtig zu misbilligen; aber er konnte es nicht begreifen, daß es für mich eine

9
Beleidigung seyn könnte ein
vsufructuarius
der Blomschen Raupengewächse
p

10
zu seyn und mich für die Henkerfrist ihrer eigennützigen Unverschämtheit zu

11
bedanken, da meine allererste Erklärung darauf hinausgieng den Erben den

12
vsumfructum
für diesen Sommer abzutreten u selbige bis zum May Zeit

13
gnug gehabt haben mehr als wirkl. geschehen auszunehmen und ihre

14
Schadloshaltung so gut wie mögl. zu bewirken. Der Plan war aber darauf

15
angelegt mich um den Grund selbst zu bringen und man hat laut in der Stadt

16
von dem
Partage-Tractat
meiner Nachbarn gesprochen, weil sie meine

17
abgemeßene und überlegte Gleichgiltigkeit für reine Dummheit angesehen.

18
Da ich also HöchstzuEhrender Freund! seit meinem Besuch bey Hofr.

19
Hoyer
nichts weiter erfahren und völlig in Ruhe gelaßen bin: so werden Sie

20
es mir nicht verdenken, daß ich noch ein wenig warte mich zu melden. Das

21
Geschrey der Erben sich in Berl. gemeldet zu haben hat mich am meisten für

22
widrige Eindrücke besorgt gemacht. –

23
Ihre
Freundschaft
und
Patriotismus
und Eifer zu
nützlichen

24
Aufträgen
auch ein wenig gemisbraucht zu werden geben mir Anlaß mich Ihnen

25
gantz zu entdecken.

26
Meine ganze Einnahme von
Januar
bis
vlt. Maii
hat noch nicht volle

27
25 rth ausgemacht, worinn mein monathl. Gehalt besteht. Jahreszeit und

28
das
Vicariat
mögen zum Theil an dem schlechten
Product
schuld seyn. Ich

29
habe bisher
sub tutela
dieses
vicarii
gearbeitet – Vielleicht kennen Sie den

30
Buchhalter
Pinnow
persönlich – und dieser Monath ist eigentl. der erste

31
unsers
meines Finanzjahrs u meiner Amtsführung, übersteigt auch bereits die

32
Einnahme des vorjährigen
Junii.
Unterdeßen bleibt es immer ein sehr

33
ungewißes und durch die billige Herunterlassung auf ⅙ für die Juden,

34
ungemein gesunkenes
Product.
Bey dem großen
Misverhältniße
meiner

35
Arbeit und meiner
Verdienste um das Königl.
Interesse
laufe ich wirklich

36
Gefahr –

37
Sie wißen daß die
Direction
bereits den Einfall gehabt an meiner

S. 356
Befugnis
meiner
zu gegenwärtigen Wohnung
quâ
Packhofverwalter zu

2
zweifeln – Freylich nicht nach der
alten
Einrichtung; aber nach der
neuen
ist dem

3
Licent Inspector
eine Wohnung mit
Gewalt
ausgemittelt worden, womit

4
der
Licent
Einnehmer fürlieb nehmen muß, weil seine vom jetzigen

5
General-Inspector usurpi
rt wird unter dem Vorwand des für den Garten gethanen

6
Vorschußes.

7
Aber nicht nur kraft der
alten Einrichtung
, sondern auch nach de
r
m

8
Natürlichen Laufe der Dinge
sollten die beyden Stellen des
Licent-

9
Inspectors
und Packhof Verwalters verbunden seyn oder wider vereinigt

10
werden, weil der letztere Posten nicht füglich ohne
Einsicht
und
Einfluß
in den

11
Zusammenhang verwaltet werden kann, und der erste Posten als ein
poste

12
de confiance
eben so wenig Arbeit erfordert. Ein
Licent Inspector
allso mit

13
ärgerm Gewißen
über
alterum tantum
zieht
von
über d
em
as Gehalt

14
eines an seinen Flügeln gelähmten Packhoff Verwalters.

15
Der erste
Licent-Inspector
ist ein
infam
er
Dieb gewesen, und anstatt

16
bestraft worden zu seyn durch den eben so ungerechten als klugen Geh.

17
Finantz
Rath
Magnier
seeligen Andenkens statt des Galgens
zum
Prov.

18
Controleur
erhöht worden in West Preußen.

19
Der
dritte
und
zeitige
ist
per fas et nefas
mein getreuer und unglücklicher

20
Nachbar. Er hat mir selbst seine Noth geklagt, daß die leidige Ratzen in seiner

21
Kammer, wo er sich pudert, ihm allen Puder auffräßen – und die
Blom
schen

22
Raupen haben ihm vermuthl. ein Gallenfieber gegenwärtig zugezogen, weil

23
sie sich vielleicht an seinem Garten ohne meine Schuld vergriffen. Um den

24
Instinct der Puderratzen zu verstehen muß ich Ihnen nur anführen, daß der

25
Mann die
Disgrace
zu Berlin erlebt von der Perückenmacher Zunft, bey der

26
er sich gemeldet haben soll um das Meisterrecht zu erlangen, abgewiesen zu

27
werden, und seines Schicksals uneingedenk sehr laut murrt noch nicht Geh.

28
Rath geworden zu seyn, weil er in dem Königl. Dienst so viel von den

29
Einkünften ss
Marquisats
zugesetzt.

30
Sie können sich leicht vorstellen, bester Landsmann! wie es in einer

31
Haushaltung zugehen muß, wo
postes de confiance
solchen Geschöpfen anvertraut

32
werden, und ob derjenige ein
Feind
oder
Freund
seiner Vorgesetzten ist, der

33
bey der tiefsten Unterwerfung und Ergebenheit in das Joch der
Subordination

34
– murrende Seufzer nicht unterdrücken kann – und warum ich mich schäme

35
mit einer Garten
Supplique
Requete
zu erscheinen, und mich um das

36
Blom
sche Raupengeschmeiß im Grunde der Seele nicht bekümmern, sondern

37
keine andere Absicht im Schilde geführt habe als die im Hohen Lied Salomonis

S. 357
II.
15 geschrieben steht: Faht uns die Füchse, die kleinen Füchse die die

2
Weinberge verderben, denn unsere Weinberge haben Augen gewonnen.

3
Sie werden es mir daher bester Freund! nicht verargen, wenn ich den ganzen

4
geschlagenen Tag in meiner Loge bald das Neue Testament im Grundtext,

5
bald den Shakespear oder einen
Autorem classicum
lese, weil ich es zu meiner

6
Maxime
gemacht mich
um nichts zu bekümmern
und die ganze Welt wie

7
einen alten Roman ansehe, der den Titel zu
verdien
führen verdient: Man

8
muß nicht glauben was man sieht.

9
Die
Droits du Roi
sind so beschrien wie Moses Hörner; wenn noch die

10
Chicane
der Zaunkönige und ihr Adler Geschmack am Luder das
Plus

11
dazukommt: so ist leicht zu erachten daß jedermann die Lust zu leben, geschweige

12
zu handeln und zu wandeln vergeht.

13
Den letzten April begegnete mir ein Zuckerbecker, der sich bey mir erkundigte

14
ob ich nicht Citronen
pp
zu verstutzen hätte und man hat mir allerhand

15
Kleinigkeiten umsonst aufdringen wollen, die ich ehrlich bezahlt, ohngeachtet man

16
mir versichert, daß dies eine
Gebühr
meines
müßigen Amts
wäre.

17
Kurz, bester Kapell Meister! Sie werden sich nicht um einen ehrl. Kerl

18
sondern vielleicht um 100 Landsleute, die noch ehrlicher als wir beyde sind,

19
verdient machen, wenn Sie bey einem
günstigen Augenblick Ihr
en
zu

20
nützlichen Aufträgen
gestimmtes Herz dazu verwenden, daß Ihr alter Freund

21
und
Client
als Packhof Meister vom
Accise Etat
ausgestrichen u als
Licent

22
Inspector
oder
als
ein Oberster der Zöllner und
als ein
Αρχιτελωνης

23
oder ErzZöllner
übergetragen werde – und denn besuchen Sie Ihre

24
Vaterstadt und
trinken
in meiner Mooßbude, wie ich das Storchsche Wäldchen

25
nenne – unter Pauken und Trommeten – oder Lauten und Saytenspiel ein

26
TE DEVM laudamus!

27
Thun Sie also Ihr Bestes, wenn Sie es nicht glauben können, sich

28
wenigstens einzubilden und es andern weißzumachen, daß ich ein ebenso
ehrlicher

29
als
gelehriger
Mann bin – dem Gott die Gaben eines
Licent-Inspector
s

30
mit der Bestallung aus Gnaden schenken wird – und da die
Misbräuche
den

31
alten Grund übertreffen: so wird der
alte Grund
auch zum
Gegengift

32
dienen, um das
neue
Gebäude zu erhalten.

33
Ein jegliches hat seine Zeit und alles Vornehmen unter dem Himmel hat

34
seine
Stunde
, sagt der weise Prediger. Schreiben Sie mir also bey einer

35
müßigen Stunde, wie Sie meinen Gevatter
Claudius
u sein Bauermädchen

36
und mein Pathchen gefunden, und eine Zeile von meinen Freunden Klopstock,

37
Bode und
Passavant
– wenn Sie selbige gesprochen haben.

S. 358
Gott seegne Sie und Ihre liebe Hälfte! – und Ihren guten Engel! – 2
Tim

2
II.
7. Ich umarme Sie und ersterbe – die Feder in der Hand
pro aris et focis!

3
Ihr treu ergebenster Freund, Landsmann und Diener

4
Prof. Kreutzf. besucht mich unfleißiger;
Johann Georg Hamann.

5
vorigen Sonntag war er bey mir. Die
Königsberg den 18
Junii
777.

6
Schuld liegt an meiner bösen Laune vielleicht.


7
den 19 des Morgens.

8
Ich habe Ihnen ohne Schaam und Schande den rohsten Entwurf zur

9
Redintegration
meines verstümmelten Postens mitgetheilt, um Ihr Urtheil

10
darüber zu erwarten. Mehr
Arbeit
, mehr
Muße
– es fehlt mir gegenwärtig an

11
beyden. Dieser Widerspruch läßt sich leicht aus den Ecken meiner Lage

12
erklären. Es fehlt mir an einer Sphäre meine Kräfte zu entwickeln – Ich liebe das

13
forte
im denken und das
piano
im handeln. Bin ich hier der
Direction
und

14
dadurch zugl. dem dortigen Ober
ressort
näher; so hab ich mehr Beruff zu

15
sehen, zu untersuchen und mich zu erklären
unmittelbar

16
Die Papiere sind von den Erben dem
General Inspector,
wie ich gesehen

17
ausgeliefert worden, was der damit macht, weiß ich nicht. Der Posten der

18
bereits im vorigen
Sept.
und vom
Vicario
im
Februario
geschloßen werden

19
sollen, sind zu Anfang dieses Monaths von mir eingezogen und zur Einnahme

20
gebracht. Daß ich nicht
den
Licent
Trägern vorgestellt
worden, und nichts

21
als
die
Depot
Kammer der beschlagnen Sachen mir übergeben worden, hab

22
Ihnen bereits gemeldet. Man hat mir ausdrückl. versichert, daß ich mich um

23
die
Judenwirthschaft im Neuen
Magazin
nichts zu bekümmern hätte,

24
sondern blos einzutragen, abzuschreiben in meinem Register und das ½ zu

25
berechnen – ist mir
lieb
, aber weder gut noch recht und geht auch nicht anders

26
an.
Sapienti sat. Vale et faue! Dixi!

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 1.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, V 243–250.

ZH III 354–358, Nr. 504.