481
292/14
Den 24 Jänner 777.
15
GOTT
seegne den Koenig
16
und
17
Seinen braven Capellmeister
18
meinen würdigen Landsmann und Freund!!!
19
Amen!
Amen!
20
Non putaram
– sagt ich den 15
huj.
zu unserm Meistersänger, der bey mir
21
saß als der Briefträger eintratt. Weil er die Hand des Freundes geschwinder
22
als der
Interessent
erkannte und die
Cassie
rerin nicht zur Hand war: so
23
zahlte er den Botenlohn, und ich, ruhig wegen des Innhalts, ärgerte ihn zur
24
Dankbarkeit und casteyte seine poetische Neugierde, indem ich ihn eine volle
25
Stunde auf die Erbrechung des
Sigilli ominosi
warten ließ. Dafür saß ich
26
wider meine Natur und Gewohnheit bis Mitternacht auf, wurde mit meiner
27
Danksagung und Antwort fertig, druckte meinen Sokrates und eilte wie ein
28
Bräutigam zu Bett, und dankte Gott, daß es leer war, mit einem:
peracti
29
labores iucundi!
30
Non putaram
– sagte ich den 16
huj.
beym Aufwachen, daß heute erst
31
Donnerstag und nicht Freytag ist. Meine erste Danksagung und Antwort
32
schien mir nichts als ein Traum zu seyn, und ich entschloß mich zu einer
33
zweyten
beym hellen Sonnenschein. Mitten im Denken, Empfinden und
S. 293
Schreiben erschreckt mich nicht allein der liebe Mann von gestern, mit seinem
2
Schatten vor dem Fensterkopf an dem ich eben saß, und wenigstens denken,
3
empfinden und schreiben wollte, sondern untersteht sich auch in mein Haus zu
4
kommen mit einem kleinen blauen Büchlein in der Tasche:
No
8. Der
5
d
teutsche Mercur
; überreichte es mir mit einem barmherzigen
6
Dedicanten Gesicht, und um mir die gestrige Aergernis baar zu bezahlen, ersucht er
7
mich, gleich einem
Bonifacius
Schleicher
II.
ihm daraus
No II.
laut, ohne
8
zu stammern noch mich zu verfärben, vorzulesen. Da war an kein Stammern
9
zu gedenken, ich
declami
rte und
reciti
rte und
emphasi
rte, trotz einem
Cicero
10
pro domo sua.
Es blieb aber nicht beym Farbenspiel; sondern der gantze
11
Faden meiner Ideen und Empfindungen war von dieser
Lecture
als wie von
12
einer
Parce
zerschnitten. Ich war nicht im stande eine Feder zu halten – und
13
habe seit 8 Tagen nichts thun können als
No
8. u
No
9. und Zeter und Weh
14
über den
d
teutschen Mercur und unsern darinn mishandelten Landsmann
15
lesen und denken.
16
Non putaram
– antwortete ich gestern meinem
militi glorioso,
der
gestern
17
Mittags auf der
Direction
gespeist hatte und mir feyerlichst versicherte, daß
18
von der
Vacantz
zwar mancherley gesprochen worden, aber noch keine
19
Resolution
noch Bestallung eingelaufen wäre.
20
Sie werden, HöchstzuEhrender Freund, meine
Verlegenheit
errathen,
21
womit ich meinen Brief angefangen habe. Ich war wirklich durch ein Haufen
22
kleiner
Phänomene
irre gemacht worden, daß ich wie im
Nebel
die Feder
23
an Sie ergriff. In einer Stunde erschienen 3
Gratulant
en worunter einer des
24
HE
Director
Bedienter selbst war.
Heute
erst ist ein Schreiben der
Gen.
25
Adm.
eingelaufen, wodurch Ihr
freundschaftlicher Vorläufer
erfüllt
26
wird; und ich sehe es für ein eben so gutes
Omen
an,
eben Ihnen
und am
27
heutigen Festtage
für das
Non plus vltra
meiner zeitlichen Glückswünsche
28
danken zu können, oder vielmehr meinen Dank schuldig zu bleiben.
29
In petto
bin ich immer für ein
unmittelbares
Intermezzo
besorgt
30
gewesen, das nicht um ein Haar meine Erkenntlichkeit für Ihr
promtes
31
lebhaftes freundschaftliches
Interesse
verringert sondern vielleicht noch ehe um
32
einige Grade erhöht hatte, nach dem bekannten
Contrast
meiner
33
Denkungsart. Eben so angenehm ist es mir, daß der HE G.
F.
R.
v Morinval
sein
34
Ihnen gegebenes Wort
gut und wahr gemacht hat.
35
Uebrigens hab ich das gute Vertrauen, daß ich die Gewogenheit E. Königl.
36
General Administration
ohne die geringste Schmälerung und Abbruch,
37
sondern
gantz
, genießen werde.
S. 294
Nach der Hand hat man 50 rth vom Gehalt abkürzen wollen, und da die
2
Emolumente
bereits durch die Abnahme der Schiffahrt und Handlung
3
ansehnlich gesunken, so hat man noch obenein an eine
Caution
gedacht, die
4
mein Vorgänger nicht nöthig gehabt und die ich noch ungerner meinem
5
Nachfolger
aufbürden möchte.
6
Da ich in der
Hauptsache
die nöthige Gewißheit habe: so bin ich sehr
7
erleichtert in Ansehung der übrigen Besorgniße, womit ich meinen Brief
8
angefangen hatt, und hoffe das übrige eben so leicht als meine
9
Grillenfängereyen zu überstehen. –
10
Abermal ein
Gratulant
vom Münz-
Departement!
Der allererste war mein
11
Nebenbuler
Balloth.
Alles scheint sich über mein gutes Glück zu wundern und
12
zu freuen. Morgen werde
nolens volens
wieder aus meiner Celle erscheinen,
13
nachdem ich eine ganze Woche mit meinen 3 Kindern um die Wette an
14
Schnupfen, Husten, Fluß- und Autorfieber
labori
rt.
15
Einlage ist durch unsern
Prof. Poes.
selbst bestellt worden. Vielleicht sind
16
Sie bald so glücklich Ihres Herrn Schwagers Erwartung mit eben so vollem
17
Maaß zu belohnen als die meinige; will mich also auch über diesen Punct
18
nicht weiter beunruhigen – und zur andern Hälfte meines Briefes nicht eher
19
schreiten, bis ich erst frische Luft geschöpft, weil mir nicht anders zu Muthe
20
ist, als wenn mir der Kopf geviertelt wäre.
21
Habe wider alles
Denken
und
Hoffen
meine Beyl. an die
Gen. Adm.
22
fertig gemacht unter der vorgeschriebenen
Addresse
des
Chefs
uns.
23
Departements,
um auf allen Fall davon Gebrauch machen zu können.
24
den 26
Domin. Septuag.
25
Bin gestern auf der
Direction
erschienen, habe das Anschreiben der
26
Gen Adm.
gelesen, ungeachtet des
Dati
vom 9ten versicherte mir HE
Dir.
daß es
27
wirklich nicht ehe als den 24 eingelaufen, wünschte mir Glück u versprach die
28
alte
Commission
en
zum Muster zu nehmen, auch in Ansehung der
29
Neuerung wegen
der
Caution
die Sache auf dem alten Fuß zu laßen, ertheilte
30
mir Urlaub, den ich dazu anwandte um meinen Freunden in der Stadt zum
31
Neuen Jahr zu
gratulir
en, oder vielmehr Ihre Glückwünsche
manu forti
32
einzutreiben, fieng mit meinem Freunde
Penzel
im Buchladen an, frühstückte
33
mit ihm Leibkuchen und Goldwaßer, aß zu Mittage
Klops
, trank 2
Bouteill
en
34
verwünschten rothen Wein mit ihm, lief
en passant
bey 2
Officiers,
bey
u.
35
einem
Criminal
Rath an, um sein verwünschtes hochgräfliches Schloß zu
36
besehen, überreichte der kleine
M
lle
Goessche
das erste
Exemplar
einer ihr zu
S. 295
Ehren componirten Romanze im Namen beyder
Componisten,
und eilte zum
2
Caffé
bey der Baroneße Bondely und ihrer Gesellschafterin der Fräul. von
3
Morstein, die sich kreuzten und seegneten vor dem neugebacknen
4
Licent
PackHofmeister – und durchaus zu wißen verlangten, wie ich in aller Welt zu so
5
einem unaussprechlichen dithyrambischen Titel gekommen wäre. Ich erzählte,
6
wie eine junge
Dame,
die seit kurzem verheyrathet wär, sich durch einen
7
gewißen Umstand
, wie HE Klopstock sagt, hätte verleiten laßen zu einer sehr
8
vortheilhaften Meinung für die Preußen und den Magum in Norden zu
9
ihrem
Sigisbio
erwählt hätte, um durch diesen Vorwand gewiße entfernte
10
Ansprüche, die Ihres Gemals Schwager hätte machen können, zu
11
hintertreiben. Albertine und ihre 9 Musen haben sich nicht über die Wahl eines
P.
12
P.
so innig gefreut, als die
ungenannte Dame
und meine
Fiction
Beyfall
13
erhielt. Kaum war ich von der Last des Tages erschöpft in meinen Sorgstuhl
14
angelangt, als der
Componist Kraus,
der mich des Morgens schon überrascht
15
hatte, des Abends wieder zu mir kam, um wegen der Stube in meiner
16
künftigen Königl. Freywohnung, die ich ihm einmal im Scherz versprochen und
17
angeboten hatte, Nachricht einzuziehen. Und so wurde die Woche
à la Shandy
18
mit Aufziehung der alten Hausuhr beschloßen.
19
Heut frühe eilte nüchtern zur Mette und meinem
Caffé
Schenken. Ich
20
bekam zum Willkomm einige Tropfen WunderEßenz, genoß hierauf 2 Pfeifen
21
Cnaster u meine Portion. Das Frühstück beschloß sich zur Seltenheit mit einer
22
kleinen Flasche rothen
Muscat-
Wein und einem Teller mit 4 Lübeckschen
23
Zwiebacken. Ich leerte erstere unter vielen Betheurungen, daß ich keine
24
Neigung zu Wein und nur gestern mir selbigen vereckelt hätte; machte es mit
25
dem Brodt aber gleich den katholischen Pfaffen und
schick
steckte selbige für
26
meine Gemeine zu Hause ein. Hierauf gieng ich mit meinem liebreichen
27
Gastwirth und altem Freunde K. R. Hennings nach der Altstädtischen Kirche, wo
28
ich zu einer
Casual
Predigt des HE. Kirchenraths
Neumann
zu Maaß kam
29
und mit dem letzten Vers meines Leibliedes: Mein ♡ und Sinn ist hoch
30
erfreut – in den Fürstenstand tra
f
t. Der
Text
war 1
Joh III.
1. und das
31
Thema
betraf die Vaterliebe Gottes 1. wie er uns als Kinder liebe 2. erziehe
32
3. versorge und 4 zu Erben mache. Ich gieng also sehr erbaut aber zugl. sehr
33
erfroren aus der Kirche. Hiezu kam eine schaamhafte Gewißensunruhe in
34
Ansehung meines genoßenen edlen Frühstücks, das ich nicht auf öffentlicher
35
Straße gemein machen wollte. Ich schlug eben die Augen in die Höhe mich
36
Raths zu erholen, als ich gerade über einem Hause stand, wo ein Bekannter
37
von mir wohnt, der sich in einem halben Jahr nicht um mich bekümmert
S. 296
hatte,
Doctor Juris p
geworden war, ohne mir
Programm
noch
Dissertation
2
zugeschickt zu haben. Sein Name ist Heinz. Guten Morgen, Herr
Doctor!
–
3
Sind Sie noch so gut wie vor Jahr und Tag gesinnt, als wir bey – u – zu
4
Gast waren?
Dicat
Ja. Nun so borgen – borgen – Sie mir Ihren
Virgilium
–
5
nur keine Ausgabe in 12 sondern wie der
Foliant
dort –
6
Bin nicht im stande meine
Relationes curiosas
des heutigen Tages zu
7
endigen sdn von unserm
designirt
en Prof. unterbrochen worden, der mich 2 ganze
8
Stunden von seiner
biga Dissertationum de Fictionibus
unterhalten. Hat
9
mir ein
bon mot
eines meiner Vorfahren beym
Licent
Packh
aus
off
10
überbracht, der Storch geheißen und von seinem Amt gesagt hat, daß alle andere
11
Eselsarbeit und Zeisigfutter hätten, bey einem Königl. Pr.
Licent
12
Packhofmeister aber die einzige
Ausnahme
wäre
Eselsfutter
und
Zeisichsarbeit
13
zu haben. Wünschte es zu erleben, daß der seel. Mann ein Prophet und kein
14
Vogel gewesen wäre.
15
Morgen früh soll ich
nolens volens
in
Penzel
s
Namen
einen gewißen
16
reichen Becker Namens
Hecht
besuchen, um seine einzige Tochter in
17
Augenschein zu nehmen und zu versuchen, ob sich nicht durch ihre 10000 fl oder rth
18
seine Befreyung bewirken ließe. Kurz, ich habe diese 27 ersten Tage des
19
angetretnen Jahres so viel erlebt als mancher nicht in 27 Jahren und bin
20
zwischen Storch und Hecht so in die Enge getrieben, daß ich besorge durch einen
21
längeren Brief Ihren Kopf so schwindlicht zu machen als der meinige ist.
22
Gesetzt daß ich mich auch zum
vierten
Schreiben entschlöße. Stellen Sie sich
23
also den Neumond als die erste Seite, das zunehmende Licht in der zweiten,
24
den Vollmond auf der dritten und hier das letzte Viertel vor.
25
Erwarte also blos
Nachrichten
in Ansehung des unglückl. Freundes;
26
denn weiter geht unser beyderseitiges Zumuthen nicht. Gott erhalte Sie und
27
meine verehrungswürdige
Protectrice
im besten Wohl. Vergeben Sie das
28
Geschmier; werde kaum in einem Vierteljahr zur Ruhe kommen mich beßer
29
zu erklären. Mit den Gesinnungen einer ewig Ihnen und den Ihrigen
30
geweyhten Freundschaft ersterbe Ihr treuergebenster. Aufschluß ins künftige zu
31
seiner Zeit.
32
Hamann.
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 1.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, V 205–210.
ZH III 292–296, Nr. 481.