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Kgsberg den 4 März 776.
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HöchstzuEhrender Herr CapellMeister und Freund.
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Gestern
Dom. Reminiscere
besuchte mich unser Freund Kreutzfeld und
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erfreute mich mit Ihrem
Reminiscere,
da ich in der
übelsten Laune
von der
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Welt war – Ohngeachtet ich ihm die Ursache derselben anvertraute und den
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Bericht davon überlies, fällt es mir diesen Augenblick ein bey der grösten
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Dürftigkeit der Zeit und des Gemüths der
eigene Bote meines Gewerbes
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zu seyn: da Sie sich in gleichen Umständen mit mir befinden, Zeit zur Lesung
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freundschaftlicher Briefe übrig zu haben, u diejenige entschuldigen zu können,
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denen es an Augenblicken fehlt selbst zu schreiben.
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Der Handel betrift meinen
jüngsten Freund
Penzel, deßen gutes Glück in
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meinem Vaterlande mich ziemlich mit selbigen ausgesöhnt hatte. Vor einigen
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Wochen ist er hier vorm
Gouvernement
vorgeladen u über die Art sr
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Anwerbung
verhört
worden, weil der König davon
instrui
rt werden
s
wollte auf
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Vorsprache eines
Bernouilli
,
den wir anfänglich zu unsern großen Wunder
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in Basel suchten, der aber, wie man jetzt hört, ein Sohn jenes u in Berlin
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seyn soll. Vorigen Donnerstag brach das Gerüchte aus, daß der König
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geantwortet: er sollte Soldat bleiben, weil er ein
lüderlicher Mensch
wäre,
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der die junge Leute verführte. Ungeachtet der
Auditeur
des Regiments
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versichert, daß der Bericht des
Gouvern.
vortheilhaft für ihn gelautet hätte: so
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ist doch, wenn dies wahr seyn sollte, um desto mehr zu zweifeln, da der
Gouv.
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wie Sie vielleicht noch wißen werden, durch die Vorbitte ss gewesenen Lehrers
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Crichton,
der in sr. Unschuld vorgestellt, daß ein solcher Mensch
zu Schade
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wäre
für sein gegenwärtiges Schicksal, aufgebracht worden, sich an das ganze
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Reich der Gelehrsamkeit und die ganze deutsche gelehrte Republik, durch den
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Fang
eines Magisters
, als ein leibhafter Satan zu rächen und ihn nicht aus
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seinen Klauen zu laßen – – Daher sind alle Anerbietungen eines andern
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Recrouten,
worunter einer ein Goliath in Vergleichung des
Penzels
gewesen
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seyn soll, bisher fruchtlos gewesen und die Gerechtigkeit und
Religion
des
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Königs
scheint
durch einen
erlogenen
Bericht, wie es leider alle Tage 7 × 70
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geschicht, hintergangen zu seyn.
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Was ich vorgestern und gestern vor Angst und Unruhe für
diesen ehrlichen
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Mann
ausgestanden zu haben und wie in eine kranke hypochondrische
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Einbildungskraft für ihn aufgebracht worden – überlaße ich Ihnen als einem
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Virtuosen selbst zu beurtheilen.
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Giebt es zu Berlin einen
Bernouilli,
der ohne ihn zu kennen sich seiner
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angenommen hat und Sie wären im Stande ihn selbst zu sehen oder seiner
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Bekannten einen: so danken Sie Ihm für sn guten Schritt – und melden Sie
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Ihm, daß er denselben für keinen unwürdigen oder lüderlichen Menschen
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gethan, den ich mein bestes thun werde
fest zu halten
, daß er seinen
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Fürsprecher
und
seinen eigenen Character
rechtfertige.
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Ich habe
P.
den 16
Jul. p. Dom. V. p. Trinit.
durch u bey m Freund
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Krause
kennen gelernt. Er besucht mich ordentlich
e
Einmal
die Woche,
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des Sonnabends und pflegt mir von allen sn Schritten u selbst Thorheiten
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Rechenschaft abzulegen. Ueberhaupt hat er eine
Offenherzigkeit
u
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Aufrichtigkeit
, die mit keiner Niederträchtigkeit bestehen kann.
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Er hat mir sein gantzes
Schicksal
in Würtzburg anvertraut, und sein gantzes
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Leben ist ein
wunderbares Gewebe
, das es noch mehr bey sr. Jugend u
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Unerfahrenheit wird, und mehr
Mitleiden
u
Erstaunen
verdient als ihn auf
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irgend eine Art erniedrigen sollte. Es wäre himmelschreyend, wenn eine so
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glückliche Anlage zum großen Mann
durch Tummheit und Bosheit
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unterdrückt und zur Verzweifelung gebracht werden sollte.
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Mit
D.
Büsching steht er im Briefwechsel und kennt auch unsern Freund
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Nicolai, wo ich nicht irre persönlich, da er noch nichts als ein
gelehrter
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Bursch
gewesen; der durch sein Schicksal nunmehr weit über seine Jahre
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ausgebildet worden, und
diese Schule
wohl schwerlich hätte entbehren können.
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So viel, Geliebtester Freund, werden Sie also wohl sicher thun können den
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Character
eines unglücklichen Mannes besonders gegen sn. unbekannten
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Mittler
u übrige Freunde und Gelehrte zu retten. Da er weder zum Soldaten
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noch akademischen Körper gehört, dem letzten vielleicht Eingriffe gethan und
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sich den
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Neid beyder zugezogen durch
Unbehutsamkeiten
, die im Grunde
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nichts als zieml. gleichgiltige
Thorheiten
und Leichtsinnigkeiten sind und
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jedes
ingenium sine venia
nicht bestehen kann – Melden Sie doch unserm
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Freunde
Kreutzfeld
mit erstem, wenn Sie dort etwas mehr wißen sollten, als
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wir hier. Daß Sie mir einmal selbst schreiben, erlaube ich Ihnen nur bey
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recht guter
Muße.
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Ist mein Freund
Director Stockmar
noch dort; so empfehlen Sie mich
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demselben aufs beste. Gevatter
Kanter
ist noch in Marienwerder; meinem
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Gönner
Nicolai
werde den Empfang des 2ten Theils bescheinigen.
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Leben Sie gesund und glücklich, Vergeßen Sie Ihr
Vaterland
nicht und
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laßen Sie sich vom
Mardochai
ins Ohr gesagt seyn: Gedenke nicht, – weil
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du im Hause des Königs bist, vor allen Juden –
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Ohngeachtet ich keine Neigung habe Berlin zu sehen, so hätte ich desto mehr
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Lust durchzureisen und eine Brunnencur zu brauchen, weil ich nicht weiß wie
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Gesundheit
mit meiner
Lebensart
noch bestehen kann.
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Können Sie meine Hand lesen? – Grüßen Sie meinen alten Freund
Moses
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Mendelssohn
, dem ich noch das
Agio
von 10
Louis d’or
schuldig bin – aus
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verfluchter Tummheit, weil ich nichts von Geldhändeln verstehe – Kennen
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Sie meinen gewesenen Freund den Prediger Eberhard in Charlottenburg?
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Der gute gnädige Gott sey mit Ihnen und bewahre Sie vor der argen
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Hofluft. Ich bin Ihr ergebenster Landsmann, Diener u Freund
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Johann Georg Hamann.
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Postskript Kreuzfelds:
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Die ganze Angelegenheit unsers Hamanns, um zugleich meine eigene mit meinen
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eigenen Worten zu wiederholen; (denn er hat mir in einem beygefügten
Bilett
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zuverstehen gegeben, daß, wo ich Undeutlichkeit des Ausdrucks oder der Buchstaben
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wahrnähme, ich beydes in einigen Noten Ihnen aufklären sollte. Dazu hat er mir
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diese Seite Raum gelaßen den ich ausfüllen soll. Er kann kein
vacuum
in Briefen
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leiden.) Also: Penzel wurde vor drey Wochen für den
Gouverneur
gefodert um sein
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Geständnis von dem
Malheur
seines
Engagements
pünktlich einzuliefern, damit
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dieses dem Könige, der es vom
Gouverneur
verlangt hatte, auf das eiligste eingehändigt
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würde. Das geschahe auch. Man gratulierte Penzeln, und er sich selbst; theils weil
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die Veranlaßung dieser Nachfrage von der Vermittelung eines unpartheyischen
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Mannes herrührte,
der, wie
von
Bernoulli
in
Basel,
oder wie man nachher sicherer
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erfahren von deßen Sohn
Bernoulli
in
Berlin;
theils, weil man Versicherung hatte,
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daß der abgelaßene Bericht des
Gouverneurs
keine Verläumdung in sich hielt. Aber
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die Entscheidung des Königs soll anders ausgefallen seyn. Er soll Soldat bleiben;
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unter dem Vorwande, daß Penzel ein lüderlicher Mensch wäre. Rührte diese
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Beschuldigung vom
Gouverneur
selbst her, so dürfte man sich nicht verwundern. Oder
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von wem rührt sie her? gegen wen soll und kann er sich rechtfertigen? In
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Königsberg rechtfertigt ihn alle Welt vermöge der guten Aufführung, die ihn seit kurzem den
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anständigsten Gesellschaften einverleibt hat; wozu ihm nicht nur sein Fleiß als
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Gelehrter, sondern auch seine gute Einrichtung der Oekonomie beförderlich ist. Wer hat
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Herz, sein jetziges Betragen durch seinen vorigen Leichtsinn zu zernichten; oder auf
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Rechnung seines künftigen Rückfalls zu verschwärzen!
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 1.
Bisherige Drucke
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, II 186–188.
Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 90–92.
ZH III 217–220, Nr. 461.
Zusätze fremder Hand
219/35 –220/19
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Johann Gottlieb Kreutzfeld |