3
5/11
Freund
vll.
Finck von Finckenstein
oder Magnus Wolff (
Nadler [1949b]
, S. 47)
Galanter Freund,

12
Eger
nicht ermittelt
Sie haben gegenwärtige Zeilen ihrem Herrn Eger zu verdanken. Er hat mir für

13
eine viertelstunde eine sichere Gelegenheit an Sie zu schreiben angeboten. Ich

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war unentschlüßig mich derselben zu bedienen. Er hat mich zu beschämen

15
gesucht durch Gründe, die sich von selbst auflösten. Er hat mich gedroht mich

16
bey Sie zu verklagen. Seine Verrätherey beunruhigt mich eben so wenig.

17
Wenn er sichs ja unterstehen solte mich als einen nachläßigen, kaltsinnigen
etc.

18
Freund bey Ihnen anzuschwärzen; so wird er sich durch keine neue

19
Entdeckungen bey Ihnen verdient
hat
machen. Sie haben dies alles eher als er

20
gewußt, v. demohngeacht mich niemals an Ihrer Neigung zweifeln laßen. Es

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ist nicht meine Sorge, ob dieselbe aufrichtig oder nicht gewesen ist. Ich habe

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die Würkungen derselben genoßen, sie
sind
haben mir angenehm v

23
beneidenswerth geschienen. Ihre Ursache hab ich als aufrichtig vorausgesetzt. Eine

24
nähere Untersuchung ist ihre Sache; ich schmeichle mir, daß Sie sich dieselbe

25
nicht werden leyd thun laßen. Um allen Verdacht vorzukommen, muß ich

26
erinnern, daß ich diese Stelle mit einer philosophischen v keiner hönischen Miene

27
geschrieben habe.

28
Ich habe Ihnen keine Neuigkeiten zu berichten v. an meinen Briefen wird

29
Ihnen wenig gelegen seyn. Mit dieser Antwort hab ich den HErrn Eger zum

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Stillschweigen gebracht. Ist es aus Eigensinn oder aus einer kleinen Freude

31
über meinen Sieg, daß ich einen Brief an Sie angefangen habe, davon ich den

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Innhalt noch nicht weiß. Doch an dem soll es auch nicht fehlen. In unserm

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Garten hab ich gestern zwey Mädchen gehabt, davon mir die jüngste mehr als

34
sonst gefallen. Es hat mir an nichts als dem Willen gefehlt verliebt zu

S. 6
werden. Hüten Sie sich, lieber Freund, für den; der kommt unserm Verstande in

2
Dorchen
nicht ermittelt
unsern Neigungen immer zuvor.
Mademoiselle
Dorchen hat einen Mund, auf

3
den ich zum ersten mal aufmerksam gewesen bin, v der, wie die Poeten sagen,

4
zum Küßen geschaffen ist; so klein, von so einem artigen Zuschnitt, daß er mit

5
nächsten die Probe aushalten soll, es mag kosten, was es will; Augen denen

6
es nicht an Reitz fehlt, v die sehr unbehutsam sind; eine Miene, die übermüthig

7
im höchsten Grad ist.
Wenn Sie
Ein wenig mehr Witz fehlt ihr bey ihrem

8
Trotz; in Mangel des ersteren sieht der letztere etwas unartig aus. Kurz es ist

9
ein Mädchen für die Sinnen, v für die Eitelkeit. Ihr Naturell ist nichts

10
weniger als spröde; heftig, zur Wollust geneigt, voller Eigenliebe. Lauter Blößen,

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von denen der ungeschickteste Liebhaber Vortheil für sich ziehen kann, er ist

12
sicher keinen Ausfall umsonst zu thun. Noch ein kleiner Umstand! wenn Sies

13
nicht übel nehmen wollen. Sie kennt ihr Herz so schlecht als der Manns Leute

14
ihrs. Ihre Erfahrung erstreckt sich nicht weiter als derjenigen Schäferinn ihre

15
aus
Hagedorn,
Oden und Lieder
„Chloris“, S. 83, „Phryne“, S. 132
von 14 Jahren, die Hagedorn so liebenswürdig geschildert in einem von seinen

16
Liedern, davon Sie den Anfang beßer wißen werden als ich ihn weiß;

17
Unschuld von der einen Seite, Muthwillen v. Boßheit von der andern. Verdient

18
sie bey diesen Eigenschaften eine Stelle in meinem Lebens Lauf? Ich will Sie

19
nicht um Rath fragen; laßen Sie mir diese Frage nur selbst beantworten.

20
Ich habe gestern auf einem kleinen Spatziergang den Herrn Hoyer gesprochen,

21
v zurück begleitet. Der mir aufgetragene Gruß ist von mir richtig bestellt

22
worden. Er ist Ihnen für ihr gütiges Andenken sehr verbunden. Ich bin von ihm

23
gebeten worden Sie seiner Freundschafft zu
besuchen
versichern. D
as
ie

24
beste Art ihm darauf zu antworten, wäre
es
, wenn Sie ihren Vorsatz

25
ausführten an ihn zu schreiben, zu dem Sie sich anheischig gemacht. Ich habe ihn

26
gewiß versprechen müßen vor meiner Landreise zu besuchen. Ohn daß ich Ihnen

27
eine Schmeicheley sage; wenn es mit einem Brief von Ihnen geschehe, so

28
könnt ich mir versprechen, ihm angenehmer, ja noch einmal so angenehm zu

29
seyn. Thun Sie es doch. Brauchen Sie aber die Vorsicht ihre Einlage nicht zu

30
stark zu machen, wenn Sie Verdacht bey mir verhüten wollen.

31
Sie werden es nicht von mir umsonst verlangen, daß ich mir die Mühe

32
gegeben
sollen
habe
soll
einen Charakter zu machen, (den Sie sich nicht

33
unterstehen müßen zu rathen,) ohn daß ich
mich
dergleichen von allen den

34
litthauschen Schönen von ihrer Feder erwarten solte, die Ihnen gefallen oder

35
denen Sie das Glück haben zu gefallen. Ihre Empfindungen dabey bitte ich

36
nicht zu vergeßen; als ein Freund kann ich diese Geheimniße von Ihnen fordern.

37
Erlauben Sie mir noch, mein schöner Landjunker, daß
S
ich Sie Ihres

S. 7
Versprechens erinnere an mich zu schreiben; nichts vom Fluß- nicht vom Brust-

2
Fieber; sondern von ihrem Vergnügen v von ihren Mädchen, sie mögen

3
Brunetten oder Blondinen seyn, wenn sie nur schön oder wenigstens artig, artig

4
will ich sagen oder wenigstens schön sind. Es würde mir vielleicht sehr gut

5
laßen, wenn ich Ihnen zum Schluß ein paar verliebte Augen machte, die

6
Hände sanfft drückte, Ihnen einige süße Worte von meiner Freundschafft sagte,

7
mich über ihre Abwesenheit v meinen Verdruß darüber beschwerte. Ich hoffe

8
aber daß Sie so klug seyn werden das letzte von sich selbst einzusehen, ohne

9
daß ich Ihnen ein
Compliment
daraus mache, wie offt ich mich Ihrer in

10
Königsberg erinnere, v öfterer als Sie in Litthauen an uns gedenken mögen.

11
Das erste will ich einhohlen, wenn ich
Sie
in Person dasjenige thun werde,

12
was ich jetzt in Gedanken thun muß. Ich umarme Sie mit dem aufrichtigsten

13
Herzen in meinem v. meiner Freunde Namen. Leben Sie gesund v. vergnügt.

14
Zum letzteren ziehen Sie weder einen gar zu zärtlichen Geschmack in der Wahl

15
noch ein gar zu zärtlich Gewißen im Genuß zu Rath. Das Herzogthum

16
Ernst Johann von Biron
; dessen Tod ein Gerücht gewesen ist, so wie in dieser Zeit immer wieder Gerüchte über ihn aufkamen, wie dass er aus seiner sibirischen Verbannung nach Moskau zurückgekehrt sei (
Wochentliche Königsbergische Frag- und Anzeigungsnachrichten
1753, Nr. 28).
Curland ist durch den Tod des Grafen von Biron ledig geworden; ich wollte

17
Ihnen wohl rathen – – – Doch bleiben Sie lieber in Litthauen! Ich bin Ihr

18
ergebenster
Hamann.

19
vll. Anspielung auf die Unterscheidung der Brüder Hamann durch
Lauson
.
Königsberg den
5. May 1752.
der Ältere.


20
Zu einer kleinen Uebung im Frantzoischen hab ich es mir nicht verdrüßen laßen

21
Gresset,
La Chartreuse
, V. 474–524
Ihnen folgende Stelle aus dem
Gresset
abzuschreiben, die ich sehr empfunden

22
habe. Sie sollen sie mir
exponiren,
wenn Sie wieder herkommen werden.

23
Heureux, qui dans la paix secrette

24
D’une libre et belle retraite

25
Vit ignoré, content de peu,

26
(bis Briefende: Abweichungen vom Orig.:) voit point sans cesse
Et qui
ne se voit
sans cesse

27
Jouet … Déesse
Jouët de l’aveugle Deesse

28
Ou dupe de l’aveugle Dieu.


29
Misantropie
A la sombre misanthropie

30
sentimens,
Je ne dois point ces sentimens;

31
D’une fausse Philosophie

32
Je hais les vains raisonnemens,

33
bigoterie
Et jamais la Bigotterie

34
décida
Ne decida mes jugemens.

35
suprême
Une indifference suprème,

36
loi,
Voilà mon principe et ma Loi:

S. 8
systême
Tout lieu, tout destin, tout Système

2
Par là devient égal pour moi;

3
Où … naître la journée,
Ou je vois naitre la journée

4
content j’en attends la fin,
Là, content, j’en attens la fin

5
Prêt à partir le lendemain,

6
Si l’ordre de la Destinée

7
Vient m’ouvrir un nouveau chemin.


8
Pour opposer un gout rebelle

9
Domaine
A ce domaine souverain,

10
sort
Je me suis fait du Sort humain

11
fidelle
Une peinture trop fidelle:

12
Souvent dans les champetres lieux

13
Ce portrait frappera vos yeux;

14
En promenant vos rêveries

15
Dans le silence des prairies

16
Vous voyez un foible rameau,

17
Oui,
Qui par les
yeux
du vague Eole,

18
Enlevé de quelque arbrisseau,

19
Quitte sa tige, tombe et vole

20
Sur la surface d’un ruisseau:

21
Là,
Là par une invincible pente

22
Forcé d’errer et de changer

23
Il flotte au gré de l’onde errante,

24
Et,
Et d’un mouvement etranger:

25
Souvent il paroit, il surnage;

26
Souvent il est au fond des eaux;

27
Il rencontre sur son passage

28
Tantôt un fertile rivage

29
Bordé de côteaux fortunés,

30
Tantôt une rive sauvage

31
Et des deserts abandonnés:

32
continues,
Parmi ces erreurs continuës

33
Il fuit, il vogue jusqu’au jour

34
Qui l’ensevelit à son tour

35
inconnues
Au sein de ces Mers inconnuës

36
s’abîme
Où tout s’abime sans retour.

S. 9
Der Betrug ist schlecht ausgedacht, werden Sie sagen, mit dem ich einen vollen

2
Bogen von Ihnen erzwingen will. Nun Sie wißen, meine Absicht Ihnen eine

3
frantzoische Stelle sehr zierlich v. mühsam abzuschreiben ist gut gewesen. Sie

4
werden eine kleine Uebung der Sprache nicht für überflüßig für sich halten; v

5
mir ist es ohnentbehrlich gewesen einen kleinen Versuch im Schreiben bey der

6
Gelegenheit anzustellen, weil ich mich nicht besinnen kann in vielen Wochen

7
etwas anders als deutsche Fliegen Füße gemahlt zu
machen
. Weil ich nicht

8
über die Post schreibe, so werden Ihnen weder meine Thorheiten noch das

9
weiße Papier, das mir aus Mangel der Gedanken übrig bleibt, etwas zu stehen

10
kommen. Dank seys diesem Einfall, der meinem Brief so einen artigen Schluß

11
giebt! Leben Sie wohl.

12
Meine Eltern haben mir noch einen Gruß an Sie aufgetragen.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 43.

Bisherige Drucke

Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 3–6.

ZH I 5–9, Nr. 3.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
7/26
ne se voit
]
Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):
lies
Et qui ne se voit
point
sans cesse

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988):
se voit
point
8/17
yeux
]
Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):
lies
jeux
statt
yeux

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988):
les jeux
8/27
–28
Il […] rivage]
Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):
Zwischen den Versen
Il rencontre
und
Tantôt un
ist wohl der Vers zu ergänzen:
Tous les jours des pays nouveaux
9/7
machen
]
Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):
lies
haben
statt
machen

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): haben
Verschreibung