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Galanter Freund,
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Eger
nicht ermittelt
Sie haben gegenwärtige Zeilen ihrem Herrn Eger zu verdanken. Er hat mir für
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eine viertelstunde eine sichere Gelegenheit an Sie zu schreiben angeboten. Ich
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war unentschlüßig mich derselben zu bedienen. Er hat mich zu beschämen
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gesucht durch Gründe, die sich von selbst auflösten. Er hat mich gedroht mich
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bey Sie zu verklagen. Seine Verrätherey beunruhigt mich eben so wenig.
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Wenn er sichs ja unterstehen solte mich als einen nachläßigen, kaltsinnigen
etc.
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Freund bey Ihnen anzuschwärzen; so wird er sich durch keine neue
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Entdeckungen bey Ihnen verdient
hat
machen. Sie haben dies alles eher als er
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gewußt, v. demohngeacht mich niemals an Ihrer Neigung zweifeln laßen. Es
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ist nicht meine Sorge, ob dieselbe aufrichtig oder nicht gewesen ist. Ich habe
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die Würkungen derselben genoßen, sie
sind
haben mir angenehm v
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beneidenswerth geschienen. Ihre Ursache hab ich als aufrichtig vorausgesetzt. Eine
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nähere Untersuchung ist ihre Sache; ich schmeichle mir, daß Sie sich dieselbe
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nicht werden leyd thun laßen. Um allen Verdacht vorzukommen, muß ich
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erinnern, daß ich diese Stelle mit einer philosophischen v keiner hönischen Miene
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geschrieben habe.
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Ich habe Ihnen keine Neuigkeiten zu berichten v. an meinen Briefen wird
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Ihnen wenig gelegen seyn. Mit dieser Antwort hab ich den HErrn Eger zum
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Stillschweigen gebracht. Ist es aus Eigensinn oder aus einer kleinen Freude
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über meinen Sieg, daß ich einen Brief an Sie angefangen habe, davon ich den
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Innhalt noch nicht weiß. Doch an dem soll es auch nicht fehlen. In unserm
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Garten hab ich gestern zwey Mädchen gehabt, davon mir die jüngste mehr als
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sonst gefallen. Es hat mir an nichts als dem Willen gefehlt verliebt zu
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werden. Hüten Sie sich, lieber Freund, für den; der kommt unserm Verstande in
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Dorchen
nicht ermittelt
unsern Neigungen immer zuvor.
Mademoiselle
Dorchen hat einen Mund, auf
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den ich zum ersten mal aufmerksam gewesen bin, v der, wie die Poeten sagen,
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zum Küßen geschaffen ist; so klein, von so einem artigen Zuschnitt, daß er mit
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nächsten die Probe aushalten soll, es mag kosten, was es will; Augen denen
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es nicht an Reitz fehlt, v die sehr unbehutsam sind; eine Miene, die übermüthig
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im höchsten Grad ist.
Wenn Sie
Ein wenig mehr Witz fehlt ihr bey ihrem
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Trotz; in Mangel des ersteren sieht der letztere etwas unartig aus. Kurz es ist
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ein Mädchen für die Sinnen, v für die Eitelkeit. Ihr Naturell ist nichts
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weniger als spröde; heftig, zur Wollust geneigt, voller Eigenliebe. Lauter Blößen,
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von denen der ungeschickteste Liebhaber Vortheil für sich ziehen kann, er ist
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sicher keinen Ausfall umsonst zu thun. Noch ein kleiner Umstand! wenn Sies
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nicht übel nehmen wollen. Sie kennt ihr Herz so schlecht als der Manns Leute
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ihrs. Ihre Erfahrung erstreckt sich nicht weiter als derjenigen Schäferinn ihre
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von 14 Jahren, die Hagedorn so liebenswürdig geschildert in einem von seinen
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Liedern, davon Sie den Anfang beßer wißen werden als ich ihn weiß;
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Unschuld von der einen Seite, Muthwillen v. Boßheit von der andern. Verdient
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sie bey diesen Eigenschaften eine Stelle in meinem Lebens Lauf? Ich will Sie
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nicht um Rath fragen; laßen Sie mir diese Frage nur selbst beantworten.
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Ich habe gestern auf einem kleinen Spatziergang den Herrn Hoyer gesprochen,
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v zurück begleitet. Der mir aufgetragene Gruß ist von mir richtig bestellt
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worden. Er ist Ihnen für ihr gütiges Andenken sehr verbunden. Ich bin von ihm
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gebeten worden Sie seiner Freundschafft zu
besuchen
versichern. D
as
ie
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beste Art ihm darauf zu antworten, wäre
es
, wenn Sie ihren Vorsatz
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ausführten an ihn zu schreiben, zu dem Sie sich anheischig gemacht. Ich habe ihn
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gewiß versprechen müßen vor meiner Landreise zu besuchen. Ohn daß ich Ihnen
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eine Schmeicheley sage; wenn es mit einem Brief von Ihnen geschehe, so
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könnt ich mir versprechen, ihm angenehmer, ja noch einmal so angenehm zu
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seyn. Thun Sie es doch. Brauchen Sie aber die Vorsicht ihre Einlage nicht zu
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stark zu machen, wenn Sie Verdacht bey mir verhüten wollen.
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Sie werden es nicht von mir umsonst verlangen, daß ich mir die Mühe
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gegeben
sollen
habe
soll
einen Charakter zu machen, (den Sie sich nicht
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unterstehen müßen zu rathen,) ohn daß ich
mich
dergleichen von allen den
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litthauschen Schönen von ihrer Feder erwarten solte, die Ihnen gefallen oder
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denen Sie das Glück haben zu gefallen. Ihre Empfindungen dabey bitte ich
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nicht zu vergeßen; als ein Freund kann ich diese Geheimniße von Ihnen fordern.
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Erlauben Sie mir noch, mein schöner Landjunker, daß
S
ich Sie Ihres
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Versprechens erinnere an mich zu schreiben; nichts vom Fluß- nicht vom Brust-
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Fieber; sondern von ihrem Vergnügen v von ihren Mädchen, sie mögen
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Brunetten oder Blondinen seyn, wenn sie nur schön oder wenigstens artig, artig
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will ich sagen oder wenigstens schön sind. Es würde mir vielleicht sehr gut
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laßen, wenn ich Ihnen zum Schluß ein paar verliebte Augen machte, die
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Hände sanfft drückte, Ihnen einige süße Worte von meiner Freundschafft sagte,
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mich über ihre Abwesenheit v meinen Verdruß darüber beschwerte. Ich hoffe
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aber daß Sie so klug seyn werden das letzte von sich selbst einzusehen, ohne
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daß ich Ihnen ein
Compliment
daraus mache, wie offt ich mich Ihrer in
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Königsberg erinnere, v öfterer als Sie in Litthauen an uns gedenken mögen.
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Das erste will ich einhohlen, wenn ich
Sie
in Person dasjenige thun werde,
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was ich jetzt in Gedanken thun muß. Ich umarme Sie mit dem aufrichtigsten
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Herzen in meinem v. meiner Freunde Namen. Leben Sie gesund v. vergnügt.
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Zum letzteren ziehen Sie weder einen gar zu zärtlichen Geschmack in der Wahl
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noch ein gar zu zärtlich Gewißen im Genuß zu Rath. Das Herzogthum
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Ernst Johann von Biron
; dessen Tod ein Gerücht gewesen ist, so wie in dieser Zeit immer wieder Gerüchte über ihn aufkamen, wie dass er aus seiner sibirischen Verbannung nach Moskau zurückgekehrt sei (
Wochentliche Königsbergische Frag- und Anzeigungsnachrichten
1753, Nr. 28).
Curland ist durch den Tod des Grafen von Biron ledig geworden; ich wollte
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Ihnen wohl rathen – – – Doch bleiben Sie lieber in Litthauen! Ich bin Ihr
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ergebenster
Hamann.
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Königsberg den
5. May 1752.
der Ältere.
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Zu einer kleinen Uebung im Frantzoischen hab ich es mir nicht verdrüßen laßen
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Gresset,
La Chartreuse
, V. 474–524
Ihnen folgende Stelle aus dem
Gresset
abzuschreiben, die ich sehr empfunden
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habe. Sie sollen sie mir
exponiren,
wenn Sie wieder herkommen werden.
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Heureux, qui dans la paix secrette
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D’une libre et belle retraite
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Vit ignoré, content de peu,
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(bis Briefende: Abweichungen vom Orig.:) voit point sans cesse
Et qui
ne se voit
sans cesse
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Jouet … Déesse
Jouët de l’aveugle Deesse
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Ou dupe de l’aveugle Dieu.
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Misantropie
A la sombre misanthropie
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sentimens,
Je ne dois point ces sentimens;
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D’une fausse Philosophie
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Je hais les vains raisonnemens,
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bigoterie
Et jamais la Bigotterie
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décida
Ne decida mes jugemens.
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suprême
Une indifference suprème,
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loi,
Voilà mon principe et ma Loi:
S. 8
systême
Tout lieu, tout destin, tout Système
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Par là devient égal pour moi;
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Où … naître la journée,
Ou je vois naitre la journée
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content j’en attends la fin,
Là, content, j’en attens la fin
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Prêt à partir le lendemain,
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Si l’ordre de la Destinée
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Vient m’ouvrir un nouveau chemin.
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Pour opposer un gout rebelle
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Domaine
A ce domaine souverain,
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sort
Je me suis fait du Sort humain
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fidelle
Une peinture trop fidelle:
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Souvent dans les champetres lieux
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Ce portrait frappera vos yeux;
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En promenant vos rêveries
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Dans le silence des prairies
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Vous voyez un foible rameau,
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Oui,
Qui par les
yeux
du vague Eole,
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Enlevé de quelque arbrisseau,
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Quitte sa tige, tombe et vole
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Sur la surface d’un ruisseau:
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Là,
Là par une invincible pente
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Forcé d’errer et de changer
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Il flotte au gré de l’onde errante,
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Et,
Et d’un mouvement etranger:
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Souvent il paroit, il surnage;
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Souvent il est au fond des eaux;
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Il rencontre sur son passage
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Tantôt un fertile rivage
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Bordé de côteaux fortunés,
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Tantôt une rive sauvage
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Et des deserts abandonnés:
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continues,
Parmi ces erreurs continuës
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Il fuit, il vogue jusqu’au jour
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Qui l’ensevelit à son tour
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inconnues
Au sein de ces Mers inconnuës
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s’abîme
Où tout s’abime sans retour.
S. 9
Der Betrug ist schlecht ausgedacht, werden Sie sagen, mit dem ich einen vollen
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Bogen von Ihnen erzwingen will. Nun Sie wißen, meine Absicht Ihnen eine
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frantzoische Stelle sehr zierlich v. mühsam abzuschreiben ist gut gewesen. Sie
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werden eine kleine Uebung der Sprache nicht für überflüßig für sich halten; v
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mir ist es ohnentbehrlich gewesen einen kleinen Versuch im Schreiben bey der
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Gelegenheit anzustellen, weil ich mich nicht besinnen kann in vielen Wochen
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etwas anders als deutsche Fliegen Füße gemahlt zu
machen
. Weil ich nicht
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über die Post schreibe, so werden Ihnen weder meine Thorheiten noch das
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weiße Papier, das mir aus Mangel der Gedanken übrig bleibt, etwas zu stehen
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kommen. Dank seys diesem Einfall, der meinem Brief so einen artigen Schluß
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giebt! Leben Sie wohl.
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Meine Eltern haben mir noch einen Gruß an Sie aufgetragen.
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 43.
Bisherige Drucke
Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 3–6.
ZH I 5–9, Nr. 3.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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ne se voit ]
|
Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955): lies Et qui ne se voit point sans cesse Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): se voit point |
8/17 |
yeux ]
|
Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955): lies jeux statt yeux Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): les jeux |
8/27 –28
|
Il […] rivage] |
Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955): Zwischen den Versen Il rencontre und Tantôt un ist wohl der Vers zu ergänzen: Tous les jours des pays nouveaux |
9/7 |
machen ]
|
Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955): lies haben statt machen Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): haben Verschreibung |