663
420/26
Kgsbg den 27
Aug.
82.

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Liebwerthester Freund,

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Den 1
Julii
kam HE Hartknoch an gleich einem
Regi de Saba
beladen mit

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Gaben, Geschenken und Briefen aus der Schweitz, die mir viel Freude

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gemacht und treflich geschmeckt – und d
ie
eren ich mich mit Dank abermal

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erinnere, da ich eben heute mein 52stes Jahr beschließe. Ich habe mich an

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Ihrem doppelten Käse wenigstens um den andern Abend erqvickt – weil

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meine gewöhnl. Malzeit alsdann in einem
Butterbrodt
besteht, das ich mit

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ihren Trauben Eskol gewürzt und mit dieser
Diät
fortfahren werde bis zum

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consummatum est.

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Vom Ueberbringer habe noch keinen Laut aus Riga gehört. Er kam mit

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einem gesunden Ansehen aus Ihren Gegenden zurück – ich besorge aber

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Nachwehen von seiner nachzuholenden Arbeit, die er zu Hause finden wird. Auch

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mich würde vielleicht der Anblick Ihres gelobten Landes und so mancher

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patriarchalischen Seelen – und
sonderlicher Liebhaber und Brüder
, die

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mir anheim gefallen, verjüngen, erwärmen und gleichsam auferwecken von

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meiner verjährten Lethargie – – Was ich aber so wenig als Barsillai

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mehr hoffen kann, wünsch ich wenigstens meinem einzigen Sohn Michel

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der unter obigen
dato
des nächsten Monats Gottlob in sein 14tes Jahr

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tritt –

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Unsere Gedanken begegnen sich aber vermuthlich sehr oft in W. und Ihre

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Silhouette hängt über Ihres künftige
s
n
Bett
Freundes (wenn er deßen

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würdig ist) Bett, neben dem meinigen.

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Danken Sie Gott für Ihr
äußerliches
Glück, und überlaßen Sie eben

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Demselben auch Ihr inneres, denn beydes, Schöpfung und Ruhe, ist Sein

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Werk.

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Ihres würdigen Bruders
Reisen der Päbste
habe mehr wie einmal mit

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Vergnügen durchgelesen, und fast muß ich sagen, mit mehr Sympathie als

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den ersten Theil seiner Geschichte, in der er mir zu sehr eingenommen zu seyn

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schien für unsere Tactik und martialisches System. In jenen Blättern find

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ich mehr den Geschmack der Odyßee.

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Nun, lieber Herr Candidat, hüten Sie sich
für das
vor dem

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Bücherschreiben
und nehmen Sie sich recht viel Zeit
kurz zu
predigen, und thun sich

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recht viel Gewalt selbst an,
einfältig
zu seyn, mit Verleugnung alles deßen,

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was nicht zur Sache, zum Beruff, zum Amt gehört. Sie können nicht

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glauben,
wie
als ich es leider! aus der Erfahrung weiß, wie sehr von diesen

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kleinen Hausmitteln
Oekonomie
und
Genuß
des Lebens abhängt. Wenn

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Sie bey Ihrer gegenwärtigen glücklichen Lage nicht Ruhe haben, wie können

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Sie selbige von einem Amt erwarten – Sie haben freylich Recht; es müßen

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uns Sorgen
aufgelegt werden
: sonst machen wir uns selbst welche, die

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immer am schwersten sind, und sich zu jenen verhalten wie Moses Stab zu

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der Pharisäer und Schriftgelehrten ihrem Joch und Stachel.

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Während Ihrer gegenwärtigen Muße und Feyer nehme ich Ihr Anerbieten

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mit beyden Händen an, alle Jahr ein Paar Briefchen oder Briefe – durch

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die Beqvemlichkeit der nach Leipzig
reisender
Buchhändler – zu erhalten. Wie

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Sie in Ansehung Ihrer Zuschriften ohne Noth besorgt sind, hab ich weit mehr

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Fug es für die meinigen zu seyn, da meine 3 dortigen Freunde mit Geschäften

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und Verbindungen überhäuft sind, daß ich mich eben so schäme als fürchte

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Sie mit meinem Geschmier zu beunruhigen, und dennoch bisweilen Licht und

3
Erörterung über Ihre dortige Erscheinungen wünsche. Da
s
fällt mir gleich

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eine Frage ein, die Sie mir vielleicht zu beantworten im stande sind. Wie heißt

5
der Verf. der
Geschichte des Chiliasmus
? Dies Buch kam mit der
Apologie

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der Vernunft
zu gleicher Zeit heraus, von der ich auch noch nicht den Verf.

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habe erfahren können. Ein Schweitzer wird er kaum seyn, wie jener – der

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auch an einem
Journal
viel Antheil haben soll, das ich kaum dem Namen

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nach kenne.

10
Melden Sie mir doch was von Ihrem
Pestalozzi
,
an deßen

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Volks
buche
roman ich mich recht erqvickt und erholt, nachdem ich mich an des
Raynal

12
10
Vol.
hungrig und durstig nach Philos. und Politik gelesen hatte. Mit

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seinem Lienhard u Gert. habe alle mögl. Experimente von Lesern gemacht; und

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es hat allen geschmeckt, so verschieden auch ihr Geschmack seyn mochte. Ist

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nicht auch
Obereit
ein Landsmann von Ihnen? Auch seinen
Gamaliel
habe

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ich nachgeholt; die kleine Schrift, welche er noch anführt, habe
n
noch ich

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nicht hier auftreiben können; werde deshalb in Riga Nachfrage thun.

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Frischens
entscheidende Gründe gegen das Steinbartsche System haben mir

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auch Genüge gethan.

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Endlich hab ich auch das einzige Exempl. der Physiog. im franz. hier

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ansehen können. Ist Ehrmann Uebersetzer? Bey aller Sorgfalt besorge ich wegen

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Styls
u
Kupfer
in Fr.

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Melden Sie mir doch zu Ihrer Silhouette auch den Tag u das Jahr der

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Geburt – und wo mögl. wenn Sie auch solches in Ansehung meines

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Gevatters Kaufmann
u seiner
Frau
erfahren, nach deren
Familiennamen

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ich mich auch bisher umsonst erkundigt, nun, mein liebwerthester Freund,

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ich wünsche Ihnen bald eine Versorgung nach Ihrem Herzen – und eine

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Gehülfin die um Ihnen sey, wie unsers H. seine. Unterhalten Sie mich

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bisweilen mit Ihren W. Erinnerungen. Gott seegne Ihre fromme Mutter, und

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erhalte Sie zu beyderseitigen Freude und Trost! Empfehle mich unter herzl.

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Gegengruß der Meinigen und bin mit aufrichtiger Hochachtung Ihr

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verpflichtester Freund u Diener

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Johann Georg Hamann


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Da HErr Häfeli Ihr alter Freund und wie es scheint, gar
Tutor
und Wirth

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gewesen; so erinnern Sie ihn doch wenn die letzte Hälfte des 3ten Theils

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fertig ist, mich nicht zu vergeßen. Die erste Hälfte hat mir einen der schönsten

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Sonntage in diesem Jahre gemacht – und er scheint auch den guten Wein

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zuletzt aufbewahrt zu haben.


3
Adresse:

4
An / HErrn Johann Georg Müller / in /
Schafhausen
.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 63.

Bisherige Drucke

Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 67–68.

ZH IV 420–423, Nr. 663.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
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reisender
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Geändert nach Druckbogen 1943; ZH:
reisenden