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420/26
Kgsbg den 27
Aug.
82.

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Liebwerthester Freund,

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Den 1
Julii
kam HE Hartknoch an gleich einem
Regi de Saba
beladen mit

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Gaben, Geschenken und Briefen aus der Schweitz, die mir viel Freude

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gemacht und treflich geschmeckt – und d
ie
eren ich mich mit Dank abermal

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erinnere, da ich eben heute mein 52stes Jahr beschließe. Ich habe mich an

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Ihrem doppelten Käse wenigstens um den andern Abend erqvickt – weil

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meine gewöhnl. Malzeit alsdann in einem
Butterbrodt
besteht, das ich mit

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ihren Trauben Eskol gewürzt und mit dieser
Diät
fortfahren werde bis zum

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consummatum est.

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Vom Ueberbringer habe noch keinen Laut aus Riga gehört. Er kam mit

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einem gesunden Ansehen aus Ihren Gegenden zurück – ich besorge aber

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Nachwehen von seiner nachzuholenden Arbeit, die er zu Hause finden wird. Auch

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mich würde vielleicht der Anblick Ihres gelobten Landes und so mancher

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patriarchalischen Seelen – und
sonderlicher Liebhaber und Brüder
, die

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mir anheim gefallen, verjüngen, erwärmen und gleichsam auferwecken von

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meiner verjährten Lethargie – – Was ich aber so wenig als Barsillai

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mehr hoffen kann, wünsch ich wenigstens meinem einzigen Sohn Michel

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der unter obigen
dato
des nächsten Monats Gottlob in sein 14tes Jahr

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tritt –

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Unsere Gedanken begegnen sich aber vermuthlich sehr oft in W. und Ihre

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Silhouette hängt über Ihres künftige
s
n
Bett
Freundes (wenn er deßen

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würdig ist) Bett, neben dem meinigen.

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Danken Sie Gott für Ihr
äußerliches
Glück, und überlaßen Sie eben

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Demselben auch Ihr inneres, denn beydes, Schöpfung und Ruhe, ist Sein

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Werk.

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Ihres würdigen Bruders
Reisen der Päbste
habe mehr wie einmal mit

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Vergnügen durchgelesen, und fast muß ich sagen, mit mehr Sympathie als

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den ersten Theil seiner Geschichte, in der er mir zu sehr eingenommen zu seyn

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schien für unsere Tactik und martialisches System. In jenen Blättern find

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ich mehr den Geschmack der Odyßee.

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Nun, lieber Herr Candidat, hüten Sie sich
für das
vor dem

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Bücherschreiben
und nehmen Sie sich recht viel Zeit
kurz zu
predigen, und thun sich

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recht viel Gewalt selbst an,
einfältig
zu seyn, mit Verleugnung alles deßen,

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was nicht zur Sache, zum Beruff, zum Amt gehört. Sie können nicht

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glauben,
wie
als ich es leider! aus der Erfahrung weiß, wie sehr von diesen

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kleinen Hausmitteln
Oekonomie
und
Genuß
des Lebens abhängt. Wenn

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Sie bey Ihrer gegenwärtigen glücklichen Lage nicht Ruhe haben, wie können

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Sie selbige von einem Amt erwarten – Sie haben freylich Recht; es müßen

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uns Sorgen
aufgelegt werden
: sonst machen wir uns selbst welche, die

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immer am schwersten sind, und sich zu jenen verhalten wie Moses Stab zu

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der Pharisäer und Schriftgelehrten ihrem Joch und Stachel.

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Während Ihrer gegenwärtigen Muße und Feyer nehme ich Ihr Anerbieten

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mit beyden Händen an, alle Jahr ein Paar Briefchen oder Briefe – durch

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die Beqvemlichkeit der nach Leipzig
reisender
Buchhändler – zu erhalten. Wie

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Sie in Ansehung Ihrer Zuschriften ohne Noth besorgt sind, hab ich weit mehr

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Fug es für die meinigen zu seyn, da meine 3 dortigen Freunde mit Geschäften

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und Verbindungen überhäuft sind, daß ich mich eben so schäme als fürchte

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Sie mit meinem Geschmier zu beunruhigen, und dennoch bisweilen Licht und

3
Erörterung über Ihre dortige Erscheinungen wünsche. Da
s
fällt mir gleich

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eine Frage ein, die Sie mir vielleicht zu beantworten im stande sind. Wie heißt

5
der Verf. der
Geschichte des Chiliasmus
? Dies Buch kam mit der
Apologie

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der Vernunft
zu gleicher Zeit heraus, von der ich auch noch nicht den Verf.

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habe erfahren können. Ein Schweitzer wird er kaum seyn, wie jener – der

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auch an einem
Journal
viel Antheil haben soll, das ich kaum dem Namen

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nach kenne.

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Melden Sie mir doch was von Ihrem
Pestalozzi
,
an deßen

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Volks
buche
roman ich mich recht erqvickt und erholt, nachdem ich mich an des
Raynal

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10
Vol.
hungrig und durstig nach Philos. und Politik gelesen hatte. Mit

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seinem Lienhard u Gert. habe alle mögl. Experimente von Lesern gemacht; und

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es hat allen geschmeckt, so verschieden auch ihr Geschmack seyn mochte. Ist

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nicht auch
Obereit
ein Landsmann von Ihnen? Auch seinen
Gamaliel
habe

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ich nachgeholt; die kleine Schrift, welche er noch anführt, habe
n
noch ich

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nicht hier auftreiben können; werde deshalb in Riga Nachfrage thun.

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Frischens
entscheidende Gründe gegen das Steinbartsche System haben mir

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auch Genüge gethan.

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Endlich hab ich auch das einzige Exempl. der Physiog. im franz. hier

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ansehen können. Ist Ehrmann Uebersetzer? Bey aller Sorgfalt besorge ich wegen

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Styls
u
Kupfer
in Fr.

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Melden Sie mir doch zu Ihrer Silhouette auch den Tag u das Jahr der

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Geburt – und wo mögl. wenn Sie auch solches in Ansehung meines

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Gevatters Kaufmann
u seiner
Frau
erfahren, nach deren
Familiennamen

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ich mich auch bisher umsonst erkundigt, nun, mein liebwerthester Freund,

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ich wünsche Ihnen bald eine Versorgung nach Ihrem Herzen – und eine

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Gehülfin die um Ihnen sey, wie unsers H. seine. Unterhalten Sie mich

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bisweilen mit Ihren W. Erinnerungen. Gott seegne Ihre fromme Mutter, und

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erhalte Sie zu beyderseitigen Freude und Trost! Empfehle mich unter herzl.

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Gegengruß der Meinigen und bin mit aufrichtiger Hochachtung Ihr

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verpflichtester Freund u Diener

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Johann Georg Hamann


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Da HErr Häfeli Ihr alter Freund und wie es scheint, gar
Tutor
und Wirth

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gewesen; so erinnern Sie ihn doch wenn die letzte Hälfte des 3ten Theils

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fertig ist, mich nicht zu vergeßen. Die erste Hälfte hat mir einen der schönsten

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Sonntage in diesem Jahre gemacht – und er scheint auch den guten Wein

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zuletzt aufbewahrt zu haben.


3
Adresse:

4
An / HErrn Johann Georg Müller / in /
Schafhausen
.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 63.

Bisherige Drucke

Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 67–68.

ZH IV 420–423, Nr. 663.