507a
365/5
Auszug aus Hamanns Brief
.


6
Liebster Seelenfreund
Christoph,

7
Vorgestern Einlage von einer
guten Frau
erhalten die eines beßern

8
Schicksals werth zu sein scheint, durch eine
neue Bekanntin
, sonst hätt

9
ich eher geschrieben aber ich mußte selbige abwarten. Ihre Antwort laßen Sie

10
gleichfalls durch
meine
u. der hiesigen
Busenfreundin
Hände gehen.

11
An allen Ihren theils mitgetheilten theils verborgenen Schicksalen nehme

12
innigen Antheil. Gott führt die seinen wunderlich u. die Entwicklung seines

13
Raths ist Seligkeit. Man kann immer nicht was man will – desto beßer! u.

14
daß man nicht alles will was man könnte ist bisweilen auch gut. Sorgen Sie

15
dafür, lieber Freund Christoph, daß ich den Kupferstich mit Ihrem

16
mystischen
u.
apokryphischen
Motto durch den ersten Landsmann der nach

17
Preußen kommt, erhalte; um meine Betrachtungen über das
Bild
u.
den

18
Spruch
eines mir so lieben Menschen u.
Lezers
fortzusezen. Der bekannte

19
St. Germain, jeziger Graf Dalton wird hier erwartet u. es wurde mit der

20
ersten Nachricht davon das
Gerücht zugleich
ausgebreitet daß die Absicht seiner Reise

21
wäre Sie in Petersb. aufzusuchen. Der lächerliche Einfall kam mir nicht ganz

22
unwahrscheinl. vor wegen Ihrer amerikanischen Aussichten. Kommt er; so

23
wird er bei der Gräfin v. Kaiserling logiren die sich meines Freundes Christoph

24
fleißig erinnert u. der ich willens bin bei erster Gelegenheit einen persönlichen

25
Dank dafür abzustatten.

26
Den 24. Jul. ist mein lieber Phädon Moses Mephiboseth angekommen und

27
den lezten
ej.
nach Memel mit s. Schwager abgereist. Den 26 erschien zu

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meiner unaussprechlichen Freude der jüngste Lindner ganz unerwartet u. geht

29
schon diese Woche zurück. In 8 Tagen erwarte Moses zurück u. hoffe ihn noch

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mehr zu genießen. Also ist die mislungene Erwartung von Ihrer Seite ersezt

31
u. die von meiner wird es auch werden. Im Geist werde alle Tage in

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Wandsbeck sein u.3 Gäste wären wirklich zu viel für meinen armen Gevatter

33
Matthias. Bei
meiner
gegenwärtigen Crisi
verlange ich keinen in
der

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seinigen
zu sehen; aber in jenem Thal ausgegohren, älter u. milder, zum

S. 366
wirklichen Ehmann u. Hausvater deiner Elisa gereift – lieber Christoph! soll

2
eine Wallfahrt über Weimar,
Wandsbek
nach der Schweiz der Feierabend

3
meines köstlichen Lebens u. der Vorschmack der künftigen Welt sein. Ist dieser

4
Wunsch eitel:
abeat cum caeteris omnibus.

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Melden Sie mir aus Ihrer Heimat: ob meine Ahndungen der Erfüllung

6
nahe sind, u. ob so große Anstalten zum sanftesten Joch des menschlichen

7
Lebens nöthig sind, u. ob eine solche Verschwendung der Zeit u. Kräfte der

8
wahren Oekonomie unserer Bestimmung angemeßen ist.

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Wie ich selbst lebe. Noch immer auf dem alten Fuß, ohn zu wißen was

10
eigentlich daran Schuld ist daß ich so unthätig bin. Ich habe mir vorgenommen

11
diesen ganzen August zu feiern u.
so viel
Thorheiten zu begehen um den lezten

12
Monat meines 47 Jahres mir merkwürdig zu machen. Ist mir die 3 ersten

13
Tage ziemlich gelungen; muß heute
nolens volens
Briefe schreiben ohne meines

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Kopfes recht mächtig zu sein, werde vielleicht noch mehr Briefe schreiben als ich

15
in diesem ganzen Jahr geschrieben. Aber noch nicht an unsern lieben Apostel

16
Caspar. Nimmt er mir mein Stillschweigen übel so hat er Unrecht
et tant

17
pis pour lui.
Umarmen Sie ihn tausend mal in meinem Namen vergeßen

18
Sie nicht mir den schönen Stich mit dem Motto
zu senden
damit ich Ihre

19
Sammlung complet habe. Kommen Sie nach Weimar so bitten Sie Herdern

20
um aller Freundschaft u. Gevatterschaft willen mir doch noch einmal in diesem

21
Jahr zu schreiben. Unser hiesige Recensent schnaubt u. knirscht über den armen

22
L… u. seine
Spießgesellen
. Weil ich auch darunter gehöre so ist meine

23
Freundschaft desto gleichgültiger u. langmüthiger. Kurz ich fühle das Elend

24
der Menschheit in mir u. andern daß ich oft der Last des Gefühls unterliege.

25
Gott der Vater im Himmel, sei Ihr treuer Rathgeber, Gefährte Schild u. Ihr

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großer Lohn! Erfreuen Sie mich bald mit Nachrichten aus Ihrer Heimath u.

27
erlauben die folgende Seite für unsern gemeinschaftlichen Freund Ehrenfried.

28
Willkommen in Wandsbeck! verlaufener Philanthropist! Dank für Ihre

29
8
Silhuetten. Eine davon hab ich meinem Krause verehrt u. meine jüngste

30
Freundin Stolz (
nomen et omen habet
) soll mir
die beiden
übrigen ausstaffiren mit

31
einer Unterlage von schwarzem Seidenzeuge. Das
Billet
u.
der offene

32
Brief.
sind sogl. bestellt worden. Der Uebersetzer des Strabo kam eben zu

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mir hat aber lange schon ein Danksagungsschreiben vom Fürsten selbst

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erhalten. Hahns Postille ist eben das Geschenk von Lavater; ich habe am Sonntag

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Trinitatis zu lesen
angefangen
den Anfang gemacht, u. der Mann ist je

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länger je mehr für meinen Geschmack, daß
ich mir
wirklich seinen
Fingerzeig

37
auch wünschte oder wenigstens einen Wink von dem Inhalte dieses Buchs.

S. 367
Ich war am Fest der Dreieinigkeit so voll von einem förmlichen

2
Danksagungsschreiben – u. nach entdecktem Betruge daß der
Geber
nicht der

3
Verfaßer
war abermal so voll – demungeachtet muß ich Ihnen und Consorten

4
auftragen gemeinschaftlich mein unnatürl. Stillschweigen zu entschuldigen,

5
bis ich nicht nur im Stande sein werde meine
Schuld wenigstens zu

6
bekennen
wo nicht zu
bezahlen
.

7
Währender Zeit daß ich an diesem halben Bogen schreibe sind mir so

8
unangenehme kleine Auftritte vorgefallen die mein Gemüth so zerstreuen
u.

9
angreifen daß ich mich bei mir selbst
schäme
Ich schließe also mit dem

10
herzlichsten Wunsch das Ziel Ihrer Wallfahrt gesund u. zufrieden zu erreichen,

11
mit der gut gemeinten Warnung die
harmoniam praestabilitam
zwischen

12
Können u. Wollen zu keiner Glaubenshypothese zu machen sondern ebenso

13
muthig in Verleugnung als Befolgung der heiligsten Naturtriebe zu sein.

14
Erfreuen Sie mich bei Weile
u.
Muße mit Nachrichten u. erhalten Sie mich

15
in gutem Andenken. Der Genius der Freundschaft sei Ihr dritter unsichtbarer

16
Reisegefährte bis zum Sehen u. Widersehen u. Eintreffen beßerer Zeiten. Ich

17
bin u. werde niemals aufhören zu sein der beiden
fahrenden
Freunde

18
stätiger,
unbeweglicher niet- u. nagelfester Oelgöze Hans
Görgel.

Provenienz

Ein Auszug aus Hamanns Brief nach einer Abschrift vmtl. von Johann Ehrmann oder einer Schreibhilfe Lavaters, aufbewahrt in Zürich, Zentralbibliothek, Signatur FA Lav. Ms. FA Lav Ms 510.268. Original verschollen. Letzter Aufbewahrungsort unbekannt.

Bisherige Drucke

ZH III 365–367, Nr. 507a.

Digitalisat

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
365/5
Auszug […] Brief.]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
(Auszug aus Hamanns Brief)
365/6
Christoph,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Christoph
365/17
u.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
und
365/18
Lezers
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Lesers
365/20
Gerücht zugleich
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Gerücht
365/33
meiner
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
meiner
366/2
Wandsbek
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Wandsbeck
366/11
so viel
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
soviel
366/30
die beiden
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
die
366/32
Brief.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Brief
366/36
ich mir
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ich
367/8
u.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
und
367/9
schäme
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
schäme.
367/14
u.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
und
367/18
stätiger,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
stätiger