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Werthester Freund.

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Sie sind rachgierig? Nimmermehr hätte ich solches von Ihnen vermuthet;

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und auch jetzo, da Sie es selbst bekannt haben, kann ich es noch nicht glauben.

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Wie? Sie sind mit der mir so empfindlichen Strafe, da Sie mich so lange auf

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Ihre Antwort hoffen lassen, noch nicht zufrieden. Sie begehren gar, daß ich

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Ihnen wegen eines ich weis nicht wodurch erregten Schreckens, eine förmliche

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Abbitte thun soll. Dies wird nicht geschehen. Ich werde vielmehr schelten.

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Warum gehen Sie auch so unbarmherzig mit ihrer Tochter um. Was hat

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dieses liebenswürdige Kind Ihnen gethan, daß Sie es nicht für das ihrige

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erkennen wollen? Sie thun gar so unschuldig, als ob es nach der Chronologie

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nicht möglich wäre, daß dieses Mädchen Ihnen angehören könnte. Wofern

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Sie bey ihrem halsstarrigen Leugnen bleiben, so werde ich mich genöthigt

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sehen, Sie gerichtlich zu belangen. Ich will Ihnen im Vertrauen bekennen,

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daß ich mich mit diesem schönen Kinde schon verlobet habe, und Sie werden

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mich doch wohl hoffentlich zu ihrem Schwiegersohne annehmen wollen?

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Herr Hennings nahm dieses verlassene Mädchen in seinen Schutz, weil Sie

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von demselben nichts wissen wollten. Er war so großmüthig daß er mir sein

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Recht abtrat. Ich habe sie also zu mir genommen, und wir führen eine sehr

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vergnügte Ehe. Es gehet kein Tag vorbey, daß ich ihr nicht die feyerlichsten

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Versicherungen gebe, wie ich sie liebe und beständig lieben werde. Im Ernste

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die Daphne gefällt mir ungemein, und Königsberg kann es den witzigen

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Verfaßern dieser Sittenschrift nicht genug verdanken, daß Sie die Quellen eines

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gereinigten Witzes zuerst nach Preußen geleitet haben. Nach gerade wäre es

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Zeit, daß man den gothischen Geschmack, der so lange in Preußen geherrschet

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hat, verbannete, und die leichte und blühende Schreibart der Frantzosen mehr

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nach ahmete. Andere Gegenden Deutschlands sind uns hierinn mit gutem

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Exempel vorgegangen. Nur Preußen scheinet noch in einem tiefen Schlummer

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zu liegen, und an dem alten Wuste ein Belieben zu finden. Wenn der ehrliche

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Dach,
Sorbuisa
. In Dachs unvollständig überliefertem satirischen Liederspiel
Sorbuisa
, das von dem Königsberger Domorganist Heinrich Albert vertont wurde, versucht Sorbuisa (d.i. „Das Herzogthumb Preussen“) sich von dem „Barbarischen und wilden Menschen“ Wustlieb (d.i. „Die Preußische Barbarey“) zu befreien, indem Apollo im Gefolge der neun Musen eingeführt wird. Domdeyke – ein Name mit Anklängen an dumm – wird im Personenverzeichnis als „Wustliebs Weib“ bezeichnet, spielt in den überlieferten Teilen des Stückes jedoch keine eigentliche Rolle.
Dach wieder aufstehen sollte, so würde er jetzt mehr Ursach haben, als er

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vielleicht zu seiner Zeit hatte, seinen Wustlieb und dessen getreue Gefährtin

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Domdeicke auftreten zu lassen. Doch gnug hievon. Sie möchten sonst gar auf den

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Einfall gerathen, als wenn ich eine Satire auf mein Vaterland machen wollte.

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Sie begehren, daß ich den Herrn Hennings zur Rückreise nach Preußen

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aufmuntern soll. Dazu hat er keine Aufmunterung nöthig. Er schicket sich in

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allem Ernste zur Rückreise an. Er hat gar den Tag dazu schon angesezet.

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Berlin will ihm seit einiger Zeit nicht mehr gefallen. Alles, ja die Luft selbst die er

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einziehet ist ihm zuwider. Unter uns gesagt er ist ein wenig hipochondrisch.

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Heimweh
vgl. Adelung (Bd. 2, Sp. 1084, s.v.
Das Heimweh
): zuweilen wie Melancholie und Abzehrung, verwandt der alten Nostalgia; die an die reine Luft ihres Vaterlandes gewöhnten Schweizer litten unter der dicken und unreinen Luft anderer Länder.
Wenn er ein Schweitzer wäre so glaubte ich daß er das Heimweh hätte. Er ist

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finster und mürrisch. Sobald er aber an Preußen gedenket so fängt er an

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aufzuleben. Er stellet sich schon zum voraus das Vergnügen vor, welches er in

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seinem Vaterlande im Umgange mit seinen würdigen Freunden genießen wird.

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Er machet mir davon eine so reizende Abschilderung, daß ich tiefsinnig werde

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und seufze. Ich fange an ihm sein Glück zu beneiden und auf Mittel zu

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denken, die mir dereinstens das Vergnügen verschaffen könnten, ein Zeuge und

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vielleicht gar ein Mitgenoß eines so liebreichen Umganges zu werden. Allein

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noch zur Zeit sehe ich nicht ab wie ich meines Wunsches theilhaftig werden

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könnte. Sie werden leicht begreiffen daß mir die Abreise des HE Hennings sehr

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nahe gehen muß. Meine Freunde, meine liebsten Freunde werden mir nach

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und nach von der Seite gerissen, und der Himmel weis ob ich jemalen so

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glücklich seyn werde sie wieder zu umarmen. Sie haben ganz recht, daß der

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Bauren Sohn dessen Gedichte ich Ihnen letztens zu übersenden die Ehre hatte,

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Hagedorn,
Die Freundschaft
, S. 10: „Mein alter Wahlspruch bleibt: Zins und Provision! / Den Leuten helf ich gern, nur nicht dem Bauern-Sohn;“ Fußnote: „G[ottlieb] F[uchs] dessen besondere Fähigkeit und Begierde zu den Wissenschaften durch die Gutthätigkeit vieler Standes-Personen, Hamburger und hiesiger Engelländer rühmlichst unterstützt worden.“
eben derselbe ist, dessen HE v Hagedorn erwähnet. Ich weis nicht ob dieses

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letztern sein Horatz an ihrem Orte schon zu bekommen ist. Auf allen Fall lege

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ich hier ein Exemplar bey. Ich muß Ihnen aber aufrichtig gestehen, daß ich

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Lauson,
Die Laute
; zu Hamanns Beziehung zu Lauson siehe
Kohnen (1997)
ein wenig eigennützig bin. Wollten Sie mir dagegen die schöne Laute des HE.

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Lausons zukommen lassen, so würden Sie dadurch meine Sammlung von

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kleinen Gedichten um ein merkliches bereichern. Da ich nicht die Ehre habe mit

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HE Lauson bekannt zu seyn, so muß ich Sie ersuchen, ihm nebst Versicherung

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meiner Hochachtung, in meinem Namen vor die in seinem Gedichte auf

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unsers Freundes Mutter mir
angethanene
unerwartete Ehre, den verbindlichsten

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Dank abzustatten. Ich verharre mit zärtlicher Hochachtung Werthester Freund

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Ihr aufrichtig ergebenster Freund und Diener

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Berlin d.
20. Aug. 1751.
Sahme

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2553 [Gildemeisters Hamanniana], I 42.

Bisherige Drucke

Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, I 18 f.

ZH I 1 f., Nr. 1.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
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angethanene
]
Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):
lies
angethane

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): angethane
Verschreibung Hs.?