Editionsgeschichte
Zur Neuedition
In der historisch-kritischen und kommentierten Neuedition der Schriften Johann Georg Hamanns (HKW) sollen alle Druckschriften oder zum Druck bestimmte Schriften mit Werkcharakter ediert, ihr Entstehungszusammenhang erläutert und mit einem ausführlichem Stellenkommentar sowie Dokumenten zur Entstehungsgeschichte versehen werden. Die Edition soll die Schriften Hamanns erstmals in der von Hamann autorisierten Form zugänglich und erforschbar machen.
Textgrundlage hierfür sind sämtliche überlieferte Druckexemplare und Manuskripte. Bis dato ist der Nachlass Hamanns auf zahlreiche Archive verteilt und noch nicht vollständig erschlossen. Im Rahmen unserer Edition der Werke und Briefe wird dies nachgeholt.
Der Aufbau der Edition wird sich am chronologischen Erscheinen der Schriften Hamanns orientieren.
Da die Entstehungsgeschichte der einzelnen Schriften eng an Hamanns biographischen Kontext gebunden ist und der Publikationsanlass i.d.R. eine Auseinandersetzung mit Texten anderer Autoren war, wird eine ausführliche Einführung in diesen jeweiligen Zusammenhang geboten.
Die Texteinrichtung stellt die spezifische Gestalt der Erstdrucke dar, das betrifft ihre Gliederung, Paratexte, Anmerkungssysteme, Bildelemente und die Typographie. Im Rahmen der typographischen Gestaltung werden die Schriftarten entsprechend der heutigen Lesegewohnheiten übersetzt: Fraktur wird durch eine Serifenschrift, die lateinische Schrift durch eine Groteskschrift und die Auszeichnungsschrift Schwabacher durch eine kursive Serifenschrift wiedergeben. Die Variation von Schriftgrößen wird proportional beibehalten. Die in einigen Druckexemplaren vorkommenden handschriftlichen Randbemerkungen Hamanns werden in einer Marginalspalte aufgeführt und mit Siglen den jeweiligen Exemplaren zugeordnet.
Am Ende jeden Bandes steht ein Werk- und Personenregister.
Editionsgeschichte
Zu Lebzeiten Hamanns erschienen seine Schriften meist in Zeitschriften oder kleineren Einzelbänden; die Ausnahme bilden die Kreuzzüge des Philologen, ein Sammelband von 1762. Pläne für eine Ausgabe ›letzter Hand‹ seiner gesammelten Schriften konnte Hamann nicht mehr verwirklichen, wichtige Schriften wie die Metakritik von 1784 erschienen überhaupt erst postum.
Herder, Jacobi, Goethe u.a. bemühten sich lange vergeblich um eine Ausgabe der Werke, bis Friedrich Roth 1821–1824 in Berlin eine siebenbändige Hamannausgabe herausbrachte. Trotz Unvollständigkeit und zahlreicher Ungenauigkeiten war sie für die Hamann-Rezeption des 19. Jahrhunderts entscheidend. 1842/43 erschienen Ergänzungen sowie ein Kommentar zu Roths Edition von G. A. Wiener.1 Bis dahin ungedrucktes Material, insbesondere der Briefwechsel mit F. H. Jacobi, erschien 1857–1874 in C. H. Gildemeisters sechsbändigem Werk über Hamanns Leben und Schriften.2
1906 begann die Preußische Akademie der Wissenschaften mit der Vorbereitung einer kritischen Ausgabe, die Arthur Warda und Rudolf Unger gemeinsam herausgeben sollten. Warda begann bereits 1899 Hamanniana aus den Nachlässen Herders, Roths, Gildemeisters u.a. in Königsberg zu versammeln.3 Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die neu entstandene Königsberger Gelehrte Gesellschaft hinzugezogen. Nach Wardas Tod übernahm Josef Nadler 1930 die Herausgabe der Werke im Auftrag der Berliner Akademie. Da er wegen politischer Differenzen mit der Akademie 1937 zurücktreten musste,4 wurde die Arbeit an der Werkausgabe erst nach dem Zweiten Weltkrieg fortgesetzt. Die damals in Königsberg versammelten Originale sind im Krieg zerstört worden. Glücklicherweise konnte Nadler noch rechtzeitig Photokopien des Königsberger Nachlasses anfertigen, die er noch zu Lebzeiten der Universitäts- und Landesbibliothek Münster verkaufte.5 Erst 1949–1957 erschien Josef Nadlers Hamann-Edition im Verlag der Thomas-Morus-Presse (Herder/Wien).6
Die Nadlersche Ausgabe steht bereits seit Jahrzehnten in der Kritik. Diese konzentriert sich im Wesentlichen auf vier Punkte: 1. Nadlers thematische, sich auf eine interpretierte Autorintention stützende Systematisierung. 2. Textkritische Mängel. 3. Fehlerhafte Transkriptionen besonders fremdsprachlicher Zitate. 4. Die spezifische typographische Gestalt der Erstdrucke wird in Nadlers Ausgabe ignoriert.
Zu 1.: Schon kurz nach Erscheinen von Nadlers Die Hamannausgabe (1929/1930), wo er unter anderem die Prinzipien seiner geplanten Edition darlegt, erhebt Christian Janentzky schwere Einwände gegen dessen Vorgehen.7 Nadler bearbeite Hamanns Texte mit einer Pietät des Werk-Vollstreckers, der den letzten Willen Hamanns zu kennen meine, weshalb er bei der Gliederung nicht chronologisch, sondern systematisch vorgehe. Hamanns Werk sperre sich aber aufgrund seines unsystematischen und fragmentarischen Charakters gegen eine solche Systematisierung. Walter Boehlich schließt sich dieser Kritik 1953 an und führt sie weiter aus:8 Eine chronologische Anordnung der Schriften Hamanns hätte die parallele Lektüre der gleichzeitigen Briefe und damit das Verständnis des Hamann’schen Werkes erleichtert.9
Zu 2.: Hamann hat in die eigenen Exemplare seiner gedruckten Texte handschriftlich Notizen gemacht, bspw. Zitatnachweise oder neue Zitate und Verweise, die sich aus späteren Lektüren ergaben, aber auch Korrekturen. Nadler fügt alle diese Ergänzungen, u.a. als Fußnoten in den edierten Text ein, scheinbare Korrekturen setzt er stillschweigend um – anstatt sie im Textapparat zu vermerken. So entsteht ein Text, dem nicht anzusehen ist, inwiefern er mit dem von Hamann autorisierten Erstdruck übereinstimmt oder davon abweicht.10 Die Bedeutung der Annotationen für das Verständnis Hamanns steht außer Frage, allerdings darf eine historisch-kritischen Ausgabe nicht versäumen, den Status des überlieferten Textmaterials zu differenzieren. Boehlich deckt weitere Inkonsequenzen Nadlers auf: So seien Hamanns Ergänzungen teilweise in den Text aufgenommen, teilweise unter Verweis auf die Roth’sche Ausgabe in den Apparat eingearbeitet worden, manche fehlten aber auch. Nadlers Apparat wiederum sei eine Mischung aus eigentlichem textkritischem Apparat und Kommentar.11
Zu 3.: Besonders problematisch ist in Nadlers Ausgabe die Wiedergabe fremdsprachlicher Zitate Hamanns. Nadler hat sich dazu bekannt, auch Druckfehler in den Textkorpus aufzunehmen und erst im Apparat zu korrigieren.12 Er hat dies aber nicht kohärent umgesetzt und außerdem zusätzliche Fehler durch vermeintliche Korrekturen der fehlerhaften Zitate Hamanns produziert.13
Zu 4.: Die spezifische typographischen Gestalt der Erstdrucke wird in Nadlers Edition nicht erkennbar. Die im Schriftbild der Erstdrucke inszenierte Dramaturgie ist aber ein wichtiges Element von Hamanns Poetologie und Polemik.14 Das betrifft die Variation der Schriftarten – Fraktur, lateinische Schrift mit Kursive und Schwabacher – wie auch die der Schriftgrößen, die nicht nur auf den Titelblättern, sondern auch im Haupttext angewandt wurde, um die Konstellation von Argumentation und verfügbarem Wortmaterial visuell zu dramatisieren. Oft bedienen sich die Anmerkungssysteme in den Erstdrucken der Schriften Hamanns wissenschaftlich etablierter Notationssysteme auf eine ironische Art und Weise, die Typographie dient dann der Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Wissenschaftsdiskurs der Philologie. Eine historisch-kritische Edition muss dies unbedingt sichtbar machen.
Sämtliche weiteren verfügbaren Auswahlausgaben beruhen auf Nadlers Edition und deren Mängeln, selbst wenn sie diese zum Teil kritisieren.15