226
146/27
Königsberg den
16 April. 1762.

28
Herzlich geliebter Freund,

29
Einlage
nicht ermittelt
Einlage richtig erhalten; Sie werden mir gleichfalls eine bey Gelegenheit

30
anvertrauen, weil ich ungern Unbekannten Verbindlichkeiten haben mag.

31
Die Feyertage Gott Lob! glücklich zurück gelegt, wünsche von Herzen ein

32
gleiches. Gott wolle es Ihnen an keinem Guten fehlen laßen!

33
Auf die Woche fangen sich wills Gott! meine Arbeiten an; auf die ich desto

34
Gr.[iechisches] [und] Arab.[isches]
hitziger bin, da ich mein Gr. v. Arab. das ganze Jahr kaum ansehen können.

S. 147
Ich habe Gelegenheit gehabt einen Bogen Ihrer Sammlung hier zu sehen,

2
Provinzial Wörterbuch
Lindner,
Abhandlung von der Sprache
auf dem ihr kleines Provinzial Wörterbuch war, das mir sehr gefiel. Wegen

3
Aplamdwatsch
ebd., S. 220
Aplamdwatsch ist meine Vermuthung eingetroffen, daß es ein
hybridi
sch

4
Wort aus dem lettischen seyn würde. Ein Landsmann war eben bey mir, der

5
mir versichern wollte; daß
aplam, nimis
zu viel folglich
ausschweifend

6
närrisch bedeute. Die griechische Etymologie schien mir an sich schon übel

7
angebracht. Sie haben nähere Gelegenheit sich darnach zu erkundigen. Weil

8
mir der Bißen am ersten ins Gesicht fiel, so halte mich bey selbigen auf.

9
amphigouriques
Vgl.
HKB 225 ( II 145/6 )
Für Ihre Mühe wegen
amphigouriques
danke recht sehr, liebster Freund,

10
ohngeachtet selbige fruchtlos gewesen. Erfahr ich etwas zuerst, so theile

11
Ihnen gleichfalls mit.

12
Iuuenilia
Jugendwerke; gemeint sind die
Kreuzzüge des Philologen
, die wohl Anfang April aus dem Druck kamen.
Meine
Iuuenilia
werden Sie auch schon erhalten haben. Das Glück muste

13
sich fügen, daß ich Ihnen die
Erstlinge
schicken konnte; noch ehe ich selbst

14
Abälard
Unter diesem Pseudonym erschien
Hamann,
Chimärische Einfälle
, die sich ebenfalls in den
Kreuzzügen
finden.
ein Exemplar hatte, so warm gieng
i
Ihres ab – Der Abälard scheint den

15
eigen Schicksal
Peter Abaelard
wurde auf Betreiben des Onkels der Heloisa, Fulbert, kastriert. Hier auf die Auseinandersetzung mit
Moses Mendelssohn
und die
Briefe die neueste Litteratur betreffend
bezogen:
HKB 219 ( II 128/18 )
.
Uebersetzer der neuen Heloise
Johann Gottfried Gellius
Litteratur Briefstellern ein eigen Schicksal zu drohen. Der Uebersetzer der

16
Anmerkungen für die deutschen Kunstrichter
Gellius,
Anmerkungen zum Gebrauche deutscher Kunstrichter
neuen Heloise hat sich gleichfalls gemeldt, und ein Bändchen
Anmerkungen

17
für die deutschen Kunstrichter
ver
ursacht
anlaßt, aus dem ich nicht recht

18
fl.
Gulden
klug werden kann. Er kostet 3 fl. und ich wünschte auch Ihr Urtheil darüber.

19
Die
Anarchie
in der gelehrten Welt scheint ihren Gipfel erreicht zu haben,

20
Apostem
Geschwür
und ein großes
Apostem
zeitig zu seyn. Zu meinem großen Leidwesen findt

21
sich in diesen Anmerkungen auch Kabbala und blauer Dunst, und französische

22
Schulmeisterstreiche.

23
Die Ode an Cyrus soll einen Hermes zum Verfaßer haben, der in Morungen

24
Diaconus […] über den Frieden
Trescho,
Schreiben des Friedens
ist. Der
Diaconus
hat abermal 1½ Bogen über den Frieden drucken laßen;

25
auch Pastoral
memoires.
Letztere habe noch nicht gesehen; vermuthe selbige

26
aber im Forstmannschen Geschmack. Erstere überschicke mit nächsten.

27
deutschen Uebersetzung des Homers
Die bibliophile Ausgabe der übersetzten
Ilias
war bereits 1754 erschienen.
Ich habe mich eben jetzt an einer deutschen Uebersetzung des Homers

28
geweidet die in Frkf. am Mayn bey den von Düren ausgekommen; und

29
lerne jetzt die
Neue Sammlung
der merkwürdigsten Reisegeschichten aus

30
eben der
Officin
kennen. Ein groß Werk, von dem ich mich beynahe schäme,

31
daß es mir so lange unbekannt geblieben. HE von Loen hat die Aufsicht

32
darüber geführt. Es ist vielleicht unter dem Titel der
allgemeinen

33
Reisegeschichte
bekannter. Ich habe von ungefehr ein
defect
Exemplar zum

34
Gebrauch gefunden. Wenn Sie Gelegenheit haben es kennen zu lernen, so wird

35
es Ihrer Neugierde nicht unwürdig seyn. Der erste Theil scheint an meinem

36
Exemplar nicht ganz zu seyn und der 2 gar zu fehlen. Biß 7 Theile kann ich

37
hier zählen. Wenn Sie was erfahren können von diesem Werk ob es

S. 148
aufgehört hat oder noch fortgesetzt wird, geben Sie mir doch einen Wink

2
davon.

3
Kurl.
Kurland
Aus Kurl. bin schon vor Ihrer gütigen Nachricht befriedigt worden. Der

4
Pastor
Johann Christoph Ruprecht
, Brief nicht überliefert
jüngsten Bruder
Gottlob Immanuel Lindner
Pastor hat mir selbst geschrieben, ich weiß aber nicht: wie? Ihren jüngsten

5
Bruder bin recht neugierig zu sehen. Daß meiner 20 Zeilen geschrieben hat,

6
darauf können Sie sich nicht wenig einbilden. Gott woll ihm helfen und uns

7
allen gnädig seyn! Beyliegende Qvittung zeigt, daß
Popowitsch
hier schon

8
bezahlt worden.

9
Lauson beschwert sich daß Sie ihm nicht die letzte Schulhandl. auf den

10
letzten Geburtstag geschickt haben. – Wolson hat mich nach Jahr und Tag

11
wieder ein paar mal besucht; unser Umgang dürfte kaum jemals zur ersten

12
Hinz, der Gallimafrist
Jakob Friedrich Hinz
, genannt so wegen seiner
Galimafreen nach dem heutigen Geschmack
.
Vertraulichkeit zurückkehren. Hinz, der Gallimafrist ist jetzt der einzige mit

13
dem ich am nächsten stehe. Die Ähnlichkeit der Seelen geht den Geist nichts

14
an. Seine Verfaßung ist eine Gährung, die mit der Ruhe und Sicherheit der

15
Freundschaft nicht bestehen kann. Desto mehr Nutzen kann ich von meiner

16
Muße erwarten.

17
Amsterdamer Ausgabe […] exemplar Vaticanum
Vetus testamentum Graecum Ex Versione Spetuaginta interpretum. Juxta Exemplar Vaticanum Romae editum
(Amsterdam 1683). [Biga 49/500 „Η παλαια Διαθηκη κατα τοτς ὁ Amst. 683“]
Meine Bibliothek hat wieder einen kleinen Zuwachs an einer Amsterdamer

18
Ausgabe von der
Septuaginta iuxta exemplar Vaticanum,
von
Pselli

19
Arithmetik, Geometrie,
Archimedes
v
Procli Sphaera.
Die beyde letztern sind

20
nur lateinisch; sämtl. von
Meurer
zu
Leipz
ig ausgekommen aus des Autors

21
eigener Hand, an deßen
galant
en Bande man den Leipziger Stutzer erkennen

22
Rhetores Selecti von Gale
Gale,
Rhetores selecti
Mornay’s Mystere d’Inquité
Mornay,
Le mystère d’Iniquités
kann. Endlich
Rhetores Selecti
von
Gale ex Theatro Sheldoniano. Mornay’s

23
Gelehrten Lexico
Jöcher,
Allgemeines Gelehrten-Lexicon
, 3. Tl., 1751, S. 686.
Mystere d’Iniquité
gleichfalls. Wenn Sie
Mornay
im Gelehrten
Lexico

24
aufschlagen, so bezieht sich selbiges auf
Anecdot
en in einem Buch, deßen Namen

25
ich schon vergeßen habe. Wißen Sie mehr davon wie ich, so unterhalten Sie

26
mich einmal damit, bey Gelegenheit, liebster Freund.

27
Danielis Gerdesii Introduction …
Gerdes,
Introductio in historiam Euangelii Saeculo XVI
Ich habe den
Mornay
kennen gelernt aus
Danielis Gerdesii Introduction

28
in Historiam Euangelii Saec. XVI. passim per Europam renouati Groning.

29
1744. Ich habe bloß den ersten Theil dieses Buchs bekommen können, und

30
habe mit viel Vergnügen selbiges gelesen, weil ich theils einige Qvellen zur

31
Reformation
sgeschichte, theils viele
particularia
der Theilnehmer darinn

32
gefunden.
Erasmus
beschloß einen Brief an
Zwinglium,
der überhaupt für

33
– videor […] Paradoxis
„Mir scheint, daß ich fast alles gelehrt habe, was auch
Luther
lehrt, wenn auch nicht so trotzig, und daß ich mich gewisser Rätsel und Paradoxien enthalten habe.“ Zitat bei
Gerdes,
Introductio in historiam Euangelii Saeculo XVI
, Bd. 1, S. 151.
mich sehr
interessant
geschienen mit den Worten: –
videor mihi fere omnia

34
docuisse quae docet Lutherus, nisi quod non tam
atrociter
quodque

35
abstinui à quibusdam aenigmatis et Paradoxis.
Als Staupitz eine Vorbitte

36
Caietanus
Thomas Cajetan
für
Luther
einlegte bey dem Kardinal
Caietanus,
soll letzterer gesagt haben:

37
Ego nolo […] capite suo
„Ich will nicht weiter mit dieser Bestie reden, denn er hat tiefliegende Augen und in seinem Kopf wunderliche Gedanken.“ Zitat bei
Gerdes,
Introductio in historiam Euangelii Saeculo XVI
, Bd. 1, S. 227.
Ego nolo amplius cum hac bestia loqui, habet enim profundos oculos et

S. 149
mirabiles speculationes in capite suo. Luthers Paradoxa
haben mir ihres

2
Theologus …
„Der Prediger der Herrlichkeit nennt das Böse gut und das Gute böse; der Prediger des Kreuzes sagt, was die Sache wirklich ist.“ Zitat bei
Gerdes,
Introductio in historiam Euangelii Saeculo XVI
, Bd. 1 (Monumenta), S. 179. In der Heidelberger Disputation von 1518, WA I S. 354/21f.
Tiefsinns
sehr gefallen. Das 21ste unter den
Theologi
schen war:
Theologus

3
gloriae
dicit malum bonum et bonum malum; Theologus
crucis
dicit id

4
Petrus Mosellanus
Petrus Mosellanus [Schade]
Pflugium
Julius v. Pflug
quod res est. Petrus Mosellanus
hat einen Brief an
Joh. Pflugium
über die

5
Heumann […] Sculteti Annalibus
Christoph August Heumann
; vmtl. meint Hamann aber Hermann von der Hardts
Historia litteraria reformationis
, in deren 5. Tl.
Sculteti Annalibus
ediert sind.
zu Leipzig gehaltene
Disputation
geschrieben, den
Heumann
sr Ausgabe von

6
Carlstadt v Eccius
Karlstadt (Andreas Rudolf Bodenstein) (1480–1541), Prof. in Wittenberg u. Johann Mayer von Eck (1486–1543), Gegner von
Martin Luther
.
Sculteti Annalibus
beygefügt, worinn
Luther Carlstadt
v
Eccius
geschildert

7
sind mit einer Meisterhand. Meine Lüsternheit mich in dieser
Reformations

8
Geschichte näher umzusehen muß Zeit und Umstände wegen noch

9
unterdrücken. –

10
Eine kleine
Regist
ratur Ihrer
Empfindungen
, womit Sie den Philolog.

11
v die
Essais
lesen werden, erwarte ehstens von Ihrer
Freundschaft
und

12
Manum de tabula!
dt. „Hand vom Bild!“ (im Sinne von: nicht weiter anrühren, nach
Plin.
nat.
, XXXV,36,80)
Aufrichtigkeit
.
Manum de tabula!
bleibt jetzt mein Vorsatz. An Nicolai

13
selbst unter meinem Namen und an Moses habe anonymisch schon vor den

14
Feyertagen geschrieben. Ich glaube, daß der Briefwechsel jetzt aufhören wird;

15
weil ich
wenigstens
für mein Theil alle meine Hauptabsichten dabey erreicht

16
Krickende
Samuel Krickende
, der als Hofmeister bei Johann Peter Süßmilch in Salons verkehrte, die auch Mendelssohn und Co. frequentierten.
habe. Denken Sie ja nichts daran an Krickende, daß ich in einigen

17
Verbindungen dort zufällig gerathen bin. Mein wahres
Interesse
erfordert es noch

18
unbekannt
und außer aller
Connexion
zu seyn.

19
liebe Frau
Marianne Lindner
Schreiben Sie mir doch im Ernst, was Ihre liebe Frau macht. Ich umarme

20
Sie herzlich und bin nach den zärtlichsten Grüßen von meinem alten Vater

21
mit der aufrichtigsten Hochachtung Ihr ergebenster Freund

22
Hamann.


23
Ist
Runtzen Advocat
bey Ihnen geworden?
Hippel
steht in
Condition
bey

24
dem
Praesident
en von
Schroeder,
besuchte mich gestern mit seinem jungen

25
Baron, bey deßen Vater ich heute speisen sollte,
wenn
– ich Lust hätte.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (80).

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 144–146.

ZH II 146–149, Nr. 226.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
149/2
Tiefsinns
]
Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): Tiefsinns
wegen