209
S. 97
Königsberg den
25
Jul:
1761.

2
Geliebtester Freund!

3
Schon 5. Suren Gottlob! über die Hälfte des Alkorans. Das geht

4
spornstreichs. Sie können daraus sehen, daß mir mehr am Alkoran als dem

5
arabischen gelegen; und die Uebersetzung mir anstatt des Wörterbuchs dient. Auf

6
Metaphysik
Aristot.
metaph.
die Woche wills Gott! fange auch die Metaphysik des Aristoteles an. Noch

7
Plato
Platon
Aeschylus
Aischylos
habe keinen Plato. Ehe ich selbigen erhalte – möchte wohl den Aeschylus und

8
Lycophron,
den dunkeln dazwischen schieben.

9
Uebersetzung
Von
Johann Jakob Steinbrüchel
lagen Übersetzungen der
Antigone
, der
Elektra
, des
König Ödipus
und des
Philoktet
vor;
HKB 234 ( II 171/4 )
.
Die Uebersetzung des Sophokles mit Pindars Oden haben mir einige

10
Ulyses
Hom.
Od.
angenehme Stunden gemacht; in Ulyses sind einige Körner von Gold im Sande.

11
Anlage und Ausarbeitung des Stückes selbst kommt mir sehr erbettelt und

12
matt vor.

13
An den
Elegien
und
Briefen
zu Straßburg habe mich nicht satt lesen

14
können; und eben so das
Genie
als den
ausgearbeiteten Fleiß
des kleinen

15
Verfaßers bewundert, dem dies nicht anzusehen ist, wenn man flüchtig liest,

16
da man die mühsamsten Stellen für nachläßig zu halten geneigter ist.

17
Wagner war eben hier und versicherte mich Ihnen den Arleqvin schon

18
geschickt zu haben; ich hab ihn gesagt noch einmal beyzulegen wenn es
no
auch

19
geschehen seyn sollte. Der Gedächtnisfehler mag von seiner oder Ihrer Seite

20
seyn so ist nichts daran gelegen, weil Sie diese Kleinigkeit bald loß werden

21
können. Pastor Ruprecht wird Ihnen dafür danken.

22
Den Sonderling habe auch gelesen und bin mit Ihnen einig. Der Autor

23
hat zu wenig über seine Materie gedacht. Die Schwäche des Kopfs stärkt die

24
Sterlingzeile
Knappheit des englischen Stils
Faust im schreiben. Eine englische Sterlingzeile giebt einer französischen Feder

25
Stoff zu Seiten und Bogen. Um den Verfaßer aus seinen eigenen Worten zu

26
jetzigen Gelde …
Friedrich II. finanzierte den Siebenjährigen Krieg u.a. durch kalkulierte Münzverschlechterungen, die er mit den Pächtern der staatlichen Münzprägestätten vereinbart hatte. Zu diesen gehörten die Nathan Veitel Heine Ephraim (1703–1775) und Daniel Itzig (1723–1799). Mit Bezug auf Ersteren wurden diese Münzen als Ephraimiten bezeichnet.
richten, so könnte man von seiner Schrift urtheilen, wie er vom jetzigen Gelde,

27
das die Juden bereichert und die Unterthanen drückt. Indem er einige Arten

28
von Sonderlingen in seinen Schutz nimmt, werden die Begriffe, die er seinen

29
Lesern mittheilt, sehr vielen ehrlichen Leuten nachtheilig, an denen vielleicht

30
mehr gelegen als an seinen Klienten.

31
Littleton
habe schon lange gelesen; aber es nicht der Mühe werth gehalten

32
ihn anzuführen. Er hat seinen Lobredner an dem Übersetzer gefunden, der im

33
Urtheilen so viele Stärke als im Engl. zu haben scheint. Seine Personen

34
sagen
auf; aber
spielen
niemals. Die Kunst des Dialogs fehlt ganz. – Gute

35
Gedanken kann man in jedem moralischen Buch lesen; aber
einzelne
, die

36
just für
die
oder
jene
Person in
den
und
den
Umständen gemacht sind, die

S. 98
sich hier und sonst nirgends paßen; die würklich die Mine haben, daß sie aus

2
dem Reich der Schatten kommen. An statt eines Lucians sehe ich nichts als

3
einen Engländer von Stande, der bey einer Punch Schaale ganz feine Urtheile

4
mit seinen guten Freunden über allerhand Materien sagt, und Geschmack,

5
Gelehrsamkeit, patriotische Gesinnungen pp sehen läßt; auch einige Sachen ganz

6
artig zu wenden weiß. Wer dies für eine Nachahmung des
Lucians
hält, muß

7
keine Zeile nicht einmal übersetzt von diesem Original gefühlt
haben
noch

8
gelesen haben.

9
Die Abhandl. von den Grundsätzen der Münzwißenschaft ist nach einer

10
flüchtigen Durchsicht nicht uneben und eines Engl. werth. Es würde mir zu

11
viel Mühe machen diese Schrift zu verstehen; ich begnüge mich daher selbige

12
auf eine andere Zeit zu besitzen und andere darnach neugierig zu machen, denen

13
an diesen Materien mehr als mir gelegen.

14
Versuch
Versuch eines Entwurfs von dem Leben und dem philosophischen Lehrgebäude Simons des Zauberers, zur Erläuterung der Worte Apostelgesch. 8, V. 9. 10. Aus dem Holl. übersetzt.
(Cleve: Sitzmanns Witwe o. J. [1750]; Biga 91/264), Verfasser unbekannt.
Versuch über Simon den Zauberer, aus dem Holl. übersetzt hat mir sehr

15
gefallen. Eine Art von liebenswürdiger Mäßigung Billigkeit und bescheidene

16
Untersuchung beseelt die Schreibart. Schade daß der Verfaßer keine beßern

17
Qvellen als
Brucker
und
Cudworth
gehabt; desto mehr muß man

18
bewundern, daß er noch so weit gekommen. Aber daß diese nicht hinreichen, sehr

19
verführen, werden Sie selbst einsehen können.

20
Hier hat sich einige Zeit eine gelehrte Seltenheit aufgehalten, die von einigen

21
ägyptischen Studenten
György Kalmár
unter dem Namen eines
ägyptischen Studenten
bewundert worden. Ein

22
Mann der 12 Jahr die Welt herumgestrichen, und zu seinem Unglück ein

23
großer Linguist geworden, in Asien gewiß, einige sagen auch in
Africa
und
America

24
in natura et effigie
wahrhaftig und bildlich
gewesen. Ich habe ihn gesehen in
natura et effigie;
ein Mann, der Beine wie

25
ein Landstreicher hat, und eine Stirn, wie der Thurm zu Babel. Lauson sagt

26
mir daß seine Physiognomie mit
Hanovs
in Dantzig biß auf die Tracht und

27
den Anstand
harmoni
ren soll. In
effigie
sollen Sie ihn auch kennen lernen,

28
aus folgendem Titel, von dem ich die hebräische Anfangsworte auslaße.


29
Genuina

30
Linguae Hebraicae Grammatica siue uetus illa sine Masoretharum

31
punctis hebraisandi uia. Quam prius (A. AE. Chr. MDCCLVI. MM. Sext. Sept.)

32
ingenui Discipuli
– – hier kam Ihre liebe Mama in die Stube; deren Besuch

33
mir sehr angenehm gewesen, weil ich sie eine Zeit lang nicht gesehen, die mir

34
ihre liebe Noth geklagt. Gedult!)
sui admodum reuerendi P. Cyrilli,

35
Equestris Academiae, quae
Petropoli
est, Presbyteri, priuatum in vsum noua

36
plane aptioreue methodo delineatam; domi demum suae compluribus

S. 99
iisque Criticis augtam Scholiis non modo discentium ac Docentium sed

2
etiam eorum, qui ad
Criticen sacram
se conferunt atque faciles in ea

3
felicesque progressus desiderant, in gratiam publici iam iuris esse uult

4
Georgius Kalmár
, Hungaro-Panon a Tapoltzafó. Imperatoriarum

5
Academiarum Florentinarum adlegtus Socius.
Ψ
. XVIIII. 8. 9. Geneuae

6
Typis P. Pellet Typographi MDCCLX.
7 Bogen. Die Vorrede mit dem Titel

7
und langen
Dedication
an alle
Universi
täten in Deutschland, Engl. und wo

8
nur welche sind, an hundert vornehme Gönner und einer
spezial
Zuschrift

9
Patriarchen
Seraphim II., Patriarch von Konstantinopel von 1757 bis 1761
in neugriechischer Sprache an den Patriarchen zu Konstantinopel machen

10
3½ Bogen. Was ich in diesem Buch verstanden, ist elend Zeug, von dem ich

11
auf das übrige schließe, da
ß
s ich nicht Lust gehabt hab weder zu lesen noch

12
näher anzusehen.

13
Der Verfaßer will eine neue Schreibart einführen, für die er Gründe hat

14
aus seiner weitläuftigen Erkenntnis der lebenden Sprachen. Ein
Specimen

15
davon giebt der
Titel
schon;
gnota
an statt
nota,
weil die Engl. vermuthlich

16
Hheth und Oin
Thet und Ain,
Kalmár,
Genuina linguæ Hebraicæ grammatica
, S. 2
know
schreiben und das
k
nicht lesen.
Hheth
und
Oin
sind seine lange,
He

17
und
Vau
seine kurze,
Aleph
und
Jod
seine Zwitterselbstlauter. Hierinn liegt

18
das Mark seines genuinen Systems. Erzählt beyläufig, was er an diesem und

19
jenem Ort geredt, führt auch wo es nöthig
diem et consulem,
Tag und

20
Monath an, wenn es geschehen; meldet auch, daß er zu
Oxfort
1750 eine
Dissert.

21
Crit. Philol. Theolog.
geschrieben, zu London aber
M. B–e’s Answer to Dr.

22
Sharp’s two Dissertations on Elohim and Berith answered: being a

23
Vindication of the Etymology and true Meaning of the same Hebrew Words

24
1751. encore: A Short Reply to Mr. Holloway’s few Remarks upon Dr.

25
Sharp’s Dissertation on the two hebrew words Elohim and Berith;
noch

26
eine
Dissertationem criticam in Esai. VII.
14 die mit sn. ganzen
Tractat

27
S. S.
nicht ermittelt
in
S. S.
aufgelegt werden wird. Der Autor ist auch ein
Cabalist.
Sie können

28
leicht erachten wie mir der Mund gewäßert hat einen solchen gelehrten Held

29
zu sehen, der jetzt in sein Vaterland geht, um das zu werden, was
Vossius
von

30
Sacrificulus in pago …
Lat. Sprichwort: Er gäb’ einen guten Pfaffen, aber einen schlechten Propheten.
einem seiner Bekannten gesagt haben soll:
Sacrificulus in pago et rusticos

31
decipit.
An Gaben Bauren zu unterhalten fehlt es dem Mann nicht. Eine

32
Liste aller Gelehrten in
Geneve
stand vorn, die auf sein Werk
subcribi
rt

33
hatten
loco viatici;
die Vorrede war am ersten NeujahrsTage
dati
rt. Diese

34
Grammatic
ist sehr rar und der Autor verschenkt bloß
Exemplar.
Unsere

35
Akademie hat auch eins bekommen; was mir in die Hände gerieth war eins was

36
le Fort
Daniel Le Fort
unser neue Prediger
le Fort
nach Berlin schickte mit einer lateinischen

37
Zueignung an einen dortigen Amtsbruder.

S. 100
Weil ich einige Monathe mich mehr als sonst eingehalten, noch gar nicht vor

2
dem Thor gewesen bin, so habe mehr als gewöhnl. gelesen. Das
Leben des

3
Leibnitz von
Joncourt
ist mir eine ganz neue Schrift gewesen. Ich habe in

4
der Schreibart denselben Mann erkannt, der die Herrl. Titel in der

5
Encyclopedie
geschrieben. Dies Buch verdient doch, daß Sie es haben bey allen

6
den schlechten Geschmack, den der Autor hat, sind Nachrichten und Fleiß

7
darinn;
iudicium
aber setzt man beym Lesen zum voraus nach der bekannten

8
französischen Schmeicheley.

9
Geddes
habe mir schon über den Platon verschreiben wollen; vielleicht thue

10
vermischter Nachr.
vmtl.
Sammlung vermischter Schriften zur Beförderung der schönen Wissenschaften
, worin die deutsche Übers. von
Geddes,
composition and manner of Writing of the Antients
erschienen ist.
ichs noch; ich werde gl. die Samml. vermischter Nachr. holen laßen, wenn sie

11
zu haben sind.

12
Auf meinen Bruder zu kommen; so war B‥ vergangen hier und sagte, daß

13
Herr und Frau
Wegner
Herr und Frau mit ihm zufrieden wären – Gut! das geht mir nichts an. Ist er

14
es aber? und kann ich es mit ihm oder mit ihnen seyn? Das ist eine andere Frage.

15
Freylich haben Sie sich, liebster Freund
geirrt
; warum hörten Sie damals

16
nicht, warum dünkten Sie sich klüger. Sie haben sich nicht nur geirrt; sondern

17
Sie haben sich auch geschadt; und uns auf eine unverantwortliche Art, 1.)

18
indem Sie meinen Bruder in seinem Bauerstoltz und Faulheit stärkten, 2. und

19
alle meine Arbeit dadurch vereitelten, daß Sie ihn den Rücken hielten und mir

20
wie der Satan
2 Kor 11,14
entgegen waren, wie der Satan ein Kind des Lichts wird, und lästert, was er

21
nicht versteht. Ich liebe Sie und meinen Bruder; ich wünsche daß Gott

22
jedem gebe und eingebe, was ihm seelig und heilsam ist. Aber das kann ich

23
Ihnen nicht vergeben, daß Ihre Herzen damals harmonirten um sich selbst zu

24
hintergehen; besonders wenn es ihnen gut deucht denselben Weg fortzugehen

25
und die Folgen nicht zu achten, die auf sie warten.

26
Premontval
nicht zu ermitteln, welche Schrift von
André-Pierre Le Guay de Prémontval
Lauson hat durch Wagner geschrieben – von
Premontval
weiß nichts –

27
Ihre GeEhrte Mama ist wieder in der Klemme. Gott helf ihr! Man ist

28
inwendige der Schüßeln
Mt 23,25f.
nicht auf das inwendige der Schüßeln bedacht, und sorgt nur immer für die

29
Tod in den Töpfen
2 Kö 4,39f.
Außenseite. Der Tod in den Töpfen wird nächstens ankommen; ein klein

30
Kolaqvinten
Koloquinten, orientalische Frucht mit stark purgierender Wirkung
Gemüse, das nach lauter
Kolaqvinten
schmeckt.

31
Leben Sie wohl. Mein Vater grüst Sie herzl. Ich umarme Sie und Ihre

32
liebe Hälfte. Gott empfohlen. Ihr treuer Freund.

33
Hamann.


34
Zeitungen
Neue Zeitung von gelehrten Sachen
, Nr. 49, Leipzig 1761, S. 421–423.
In den Leipziger Zeitungen sind Treschos Empfindungen der Religion und

35
Lehrmeisters
Die Rezension bezeichnet
Johann Gotthelf Lindner
, der mit einigen Gedichten in dem Band vertreten ist, als Treschos Lehrer.
Freundschaft gelobt, auf seines Lehrmeisters Unkosten, wie man mir erzählt.

36
Trescho mag Sinngedicht schreiben, wie er auf einen Kandidaten eins gemacht

37
hat; aber meine Leichenrede soll er mir nicht machen.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (71).

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 89–91.

ZH II 97–100, Nr. 209.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
100/30
Kolaqvinten
]
Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): Koloqvinten