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Musterbrief, wie
Peter Christoph v. Witten
ihm, Hamann, antworten könnte.
I.
Brief

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Mein Herr,

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Wenn mir Ihr Briefwechsel mehr zur Last als zum Zeitvertreib gereichen

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sollte; so geschieht dies wieder Ihre Absicht und ohne Ihre Schuld. Sie

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nehmen beynahe alle Unkosten der Erfindung auf Sich, und ich habe nur

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nöthig Ihre eigene Briefe zu plündern um auf selbige zu antworten. Um mir

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die Mühe zu ersparen lange nachzusinnen,
worüber
und
wovon
ich an Sie

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schreiben könnte, legen Sie mir selbst eine Frage in den Mund und hierauf

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thun Sie mir einen Vorschuß von Gedanken, welche mir dienen können

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selbige aufzulösen, daß ich also nicht einmal weit zu suchen brauche,
was

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sich über Ihre Aufgabe ohngefehr sagen ließe.

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Sie laßen mir die Freyheit so oft und selten, als ich Lust haben werde, und

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so lang oder kurz zu schreiben, als ich im stande bin zusammenzubringen.

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Ich
wi
soll mich dafür eben so wenig daran kehren, wie geschwind oder

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langsam Ihre Briefe einlaufen, und werde es sehr gut und ohne Eyfersucht

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aufnehmen, daß Ihre Feder geschwäziger und geläufiger als meine ist.

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Erlauben Sie mir Sie noch Mein Herr
Sie
an Ihre eigene Erklärung

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zu erinnern. Sie verlangen keine guten Briefe von mir; je schlechter, je

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mittelmäßiger sie sind, desto mehr Hofnung haben Sie mir gegeben, beßere

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mit der Zeit schreiben zu lernen. Ich will mir also die lächerliche und schädliche

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Eitelkeit nicht in den Sinn kommen laßen gelehrte, witzige und schöne Briefe

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zu schmieden. Warum sollte ich mich schämen, natürlich, einfältig, schlecht

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und recht zu schreiben, wenn dies das einzige Mittel und der geradeste Weg

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ist sich eine gute Schreibart zu erwerben? Ist es Ihnen nicht eben so gegangen,

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und geht es Ihnen nicht noch bisweilen so? Ja vielleicht sind einige Ihrer

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Briefe und die Schreibart derselben wirklich nicht so gut, als selbige von

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andern aufgenommen werden. Ich weiß, Sie scheuen sich nicht nach Ihren

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eigenen Worten und Urtheilen gerichtet zu werden.

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Was ist der Beruf eines kurländischen Edelmanns? Diese Aufgabe kam

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mir anfangs etwas seltsam für. Ich war ungewiß, ob ich Sie in Ernst oder

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Scherz verstehen sollte. Ihnen Selbst kann es sehr gleichgiltig seyn, zu was

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für einen Rang vernünfftiger Geschöpfe ein kurländischer Edelmann gehört,

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und worinn die Pflichten bestehen, die er seinem Stande und Vaterlande

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schuldig ist. Es kann mir daher ebenfalls gleich viel seyn, ob Sie bey Ihrem

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Einfall die Nase gerümpft oder die Stirne gerunzelt haben. In Ansehung

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meiner hingegen kommt es mir jetzt anständiger und erheblicher vor, Sie für

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die Wahl dieser Materie zu danken, solche einer Untersuchung zu würdigen

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und mir Ihre Handreichung darinn gefallen zu laßen.

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Ich glaube, daß wir schon das Wort
Cavalier
oft genung in unsern

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Windeln hören, in wie weit es hilfft ihre Farbe zu erhalten und zu schonen, mögen

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unsere Ammen wißen. Diejenigen, die es uns am meisten einprägen, sind

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mehrentheils desto zurückhaltender uns zu erklären, was ein
Cavalier
ist, ob

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er mehr oder weniger Vernunft, beßere Sitten oder schlechtere als ein anderer

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Mensch besitzen muß. Wir junge Herren haben also Grund zu denken, daß

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zum
Cavalier
nichts mehr gehört, als zu wißen und zu glauben, daß man

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einer ist. Das läuft aber auf denjenigen Aberglauben aus, da man mit

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gewißen Wörtern, die weder Sinn noch Verstand haben, Zaubereyen und

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Wunderkuren zu treiben meynt. Durch das Wort v. den Namen
Cavalier
kann der

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Leibpferde
Sueton
Cal. 55,3
Geist deßelben so wenig mitgetheilt werden, als jenem kayserlichen Leibpferde

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mit dem Titul und den Ehrenzeichen die Seele eines Römischen
Consuls.

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Um offenherzig gegen Sie zu seyn, ich habe mich wenig darum bekümmert

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oder darüber nachgedacht, was eigentlich zu einem
Cavalier
gehöre, und

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worinn der Begriff, die Natur und das Verdienst des Adels bestehe, worauf

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unsere Zunge pocht. Ich bin durch das Gefühl und Geständnis dieser meiner

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Unwißenheit gedemüthigt, aber ich fürchte mich zugleich selbige durch eine

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vernünfftige Untersuchung gehoben zu sehen. Vielleicht gehören

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Eigenschafften, Verbindlichkeiten, Vorzüge zu dem Stande eines wahren

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Edelmannes – – daß ich es für einen Verweiß ansehen müste, was ich sonst für

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eine Schmeicheley ansehe, an meine adliche Würde erinnert zu werden. Eine

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Vorstellung, die mir ehmals Dünste und Wind in den Kopf setzte, wird mir

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jetzt Bescheidenheit predigen. Ich werde lernen müßen roth zu werden, mich

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zu schämen und an mich zu halten
entschuldigen
, bey Schwachheiten, deren

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Wiederschall ich sonst mit einem ehrerbietigen Zeichen beantwortete. Gesetzt

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aber, ich käme auf Wahrheiten, die meiner Eitelkeit wehe thäten; soll ich

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durch selbige beleidigt scheinen? Dies wäre ebenso einfältig, als wenn ein

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Ritter die Schläge, welche mit Empfang eines Ordens verknüpft sind, für

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Beschimpfungen ansehen sollte.

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Sie machen es wie ein guter Wirth, der sich nicht die Mühe verdrüßen läßt,

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auch dasjenige vorzuschneiden, was er seinem Gast auftragen läßt. Ich bin

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recht sehr damit zufrieden, daß Sie mir alles so beqvem und leicht als möglich

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machen; und will mir Ihre Handgriffe merken, wie man Gedanken und Sätze

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zergliedern soll.

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Nehmen Sie mit dieser Einleitung in meine folgenden Briefe fürlieb. Der

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nächste soll die erste Frage beantworten, die in Ihrer Aufgabe enthalten ist.

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Ehe ich vom Beruff eines Edelmannes überhaupt und eines kurländischen

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insbesondere etwas sagen will, muß ich vorher ein wenig untersuchen, was

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man unter einen Beruff versteht, und was in dieser Stelle darunter verstanden

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wird. Ich fürchte mich schon für die philosophischen Gesichter, die ich über

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diese Materie schneiden werde. Ungeachtet der Verzuckungen, denen mich

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dieser erste Versuch aussetzen möchte, werden Sie nicht aufhören mich zu

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erkennen für Dero gehorsamen Diener.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 32.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, VIIIa 9–13.

ZH I 267–269, Nr. 125.